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u. Fürften:

Wie die kraftlose Vertretung des deutschen Staatskörpers das ganze Reich um alles Ansehen und alles Gewicht in den europäischen Staatenverhältnissen brachte, so raubte der traurige Zustand des Gerichtswesens dem Schwachen jeden Schuß und gestattete dem Verwegenen, Klugen oder Mächtigen jede Art von Un= gerechtigkeit und Bedrückung. Das Reichskammergericht in Wezlar, „das Kleinod der deutschen Verfassung“, vor welchem die Klagen der Reichsstände unter einander oder mit ihren Unterthanen zur Untersuchung kamen, verlor mehr und mehr an Ansehen, theils indem sich die mächtigern Reichsglieder der Wirksamkeit desselben zu entziehen wußten, theils weil es mit solcher Bedächtigkeit und Weitschweifigkeit verfuhr, daß die Processe viele Jahre anhängig waren, ehe es zum Spruche kam, daß die klagenden Parteien oft darüber starben oder verarmten und daß die Gerichtsacten sich ins Unermeßliche anhäuften. Dabei sahen sich die Richter, wegen der unregelmäßigen Einzahlung der von den einzelnen Staaten zu leistenden Matricularbeiträge, hinsichtlich ihrer Besoldung größtentheils auf die Sporteln angewiesen, wodurch der Bestechung Thür und Thor geöffnet war. Daher die häufigen Klagen über Parteilichkeit, Ungerechtigkeit und Berrath des Amtsgeheimnisses. Was aber die niedere Gerichtsbarkeit angeht, so war es bei der großen Verschiedenheit der Landesgefeße, bei den kleinen Territorien und bei der unbegrenzten Herrschaft der Beamten und Richter für den geringen Mann sehr schwer, sich Recht zu verschaffen. Juristen und Advocaten hatten ihr goldenes Zeitalter. Am schlimmsten stand es um die ausübende Regierungsgewalt. Die Macht des Kaisers war zu einem leeren Schatten, sein Einkommen auf wenige tausend Gulden herabgesunken. Damit der Kaiser nichts Böses thue, war ihm das Vermögen genommen, überhaupt etwas zu thun.“ Ungefähr vierthalbhundert erbliche oder gewählte Fürsten und republikanische Gemeinheiten mit der verschiedensten Macht und dem ungleichsten Länderbesig, nicht zu gedenken der zahlreichen reichsunmittelbaren Ritterschaft in Franken, Schwa ben und am Rhein, herrschten mit vollkommenen Hoheitsrechten in Deutschland und ließen dem gemeinsamen Oberhaupte nichts übrig als die Bestätigung gegenseitiger Verträge, Standeserhöhungen, Volljährigkeits- und Legitimations - Erflärungen. Alle Größe im politischen Leben des deutschen Volks war erstickt; Niemand fühlte sich als Glied eines großen Ganzen, für welches man leben und sterben müsse."

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Die reichsunmittelbare Fürsten-, Grafen- und Ritterschaft und die ReichsGrafens städte. Am schlimmsten waren die öffentlichen Zustände in den zahlreichen Grafenthümer. und Fürstenthümern von „reichsunmittelbarem“ Rang. „Auch in diesen Gebieten, in denen höchstens für eine patriarchalisch-einfache Verwaltung Raum war, versuchte man zu regieren, bestand ein Hof, existirten Minister, wurden Rechtspflege, Kirchen- und Schulwesen, Finanzen und Militärsachen wie umfassende Departements gesondert, und je mehr die Kleinheit der Mittel einen Zweifel an der fürstlichen Herrlichkeit wecken mochte, um so eifersüchtiger ward auf die Machtvollkommenheit der von „Gottes Gnaden“ eingeseßten Souveränetät gehalten." In solchen Händen war die souveräne Gewalt „ein furchtbares Spielwerk, ein schneidend Schwert in der Hand des schwachen Kindes, zum Ernst zu weReichsrit- nig, zum Scherz zu viel.“ — Auch die zahlreiche „Reichsritterschaft“ übte auf ihrem Gebiet nicht nur Gesetzgebungs- und Besteuerungsrecht, sondern auch die Regalien ber Münze, des Zolls, des Geleits, der Posten, der Jagd, der Gerichtsbarkeit und Polizei, also eine Reihe von Hoheitsrechten, welche dem landsässigen Adel versagt waren." Die Ritterschaft hielt gewöhnlich zum Kaiser, der ihr dafür allerlei Privilegien zuwendete. Durch Verbindungen schüßten sie sich gegen die Angriffe der größern Landesherren und hielten das durch die Incorporation ab. Sie zerfielen in Cantone mit eigenen Ortsvorständen",

terschaft.

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Reichs

welche bei dem Kaiser und Reichstag die Freiheiten und Gerechtsame der Ritterschaft zu wahren hatten. Durch Verschwendung und schlechte Wirthschaft in ihrem Vermögen und Einkommen beschränkt und in ihrem Lebenswandel vielem gerechten Ladel ausgesetzt, war die Ritterschaft ohne Kraft und moralischen Halt und vermochte nur mühsam den Uebergriffen der Landesfürsten zu widerstehen. Die schlechte Beschaffenheit des ritterschaftlichen Staatswesens war der Entwickelung der größern Staaten, deren Nachbarn oder Enclaven die ritterschaftlichen Gebiete waren, sehr hinderlich. „Laut klagte man, daß sie den Verlehr störten, die öffentliche Sicherheit beeinträchtigten, daß durch sie jede strenge Handhabung der Justiz und Polizei unmöglich werde. In den ritterschaftlichen Gebieten, hieß es, kann keine Commerz- und Zollordnung aufkommen, dort findet man die trefflichen Schulen nicht, die überall ringsum bestehen. Wohl aber hausen dort die Vagabunden, Zigeuner, Betteljuben und Afterärzte." Steuerdruck und Frohnden stürzten die Unterthanen in Armuth und Elend. Auch von den einst blühenden und stolzen Reichs. tädte. kädten waren nur noch wenige in einer gedeihlichen Lage. Zwar bestanden im 18. Jahrhundert noch 51 reichsunmittelbare Städte, deren Abgeordnete, in zwei Bänke vertheilt, ein besonderes Collegium auf dem Reichstag bildeten; aber wie tief waren sie durch die verheerenden Kriege des 17. Jahrhunderts von ihrer ehemaligen Bedeutung herabgesunken! „Die Zeit war vorüber, wo sich die friedlichen Künste des Lebens, bürgerlicher Fleiß, Wis= senschaft und Kunst fast nur hinter den Mauern der Reichsstädte in ungestörter Blüthe entfalten konnten; die größeren fürstlichen Gebiete waren jezt der Raum geworden, auf dem sich das staatliche und Culturleben rührig und wohlthuend entwickelte." Die Reichsflädte waren in ihrem Gebiete und in ihrer ökonomischen Lage heruntergekommen, ihr Handel lag darnieder und in ihrer Verwaltung und Rechtspflege standen sie hinter den gröfern und mittlern Staaten weit zurück. Magistrate und Bürgerschaft waren häufig im Streit; Bestechlichkeit, Parteilichkeit und Nepotismus waren stehende Klagen gegen die städtischen Berwaltungen, und die Einmischung der Reichsjustiz mußte häufig angerufen werden. „Das früher so blühende bürgerliche Gewerbe war verfallen; der handwerktreibende Theil der Bevölkerung theils in eine tiefe Erschlaffung gerathen, theils durch eine verlehrte Zunftgesetzgebung gehindert, sich zu einer freien und selbständigen Thätigkeit zu entwickeln." Und mit der materiellen Kraft war auch zugleich das Selbstvertrauen und der fühne Freiheitsstolz der alten Zeit verloren gegangen. Die städtischen Contingente der Reichsarmee waren der Gegenstand des Spottes und Gelächters. „Ein Zustand solcher Art konnte eine größere Erschütterung nicht mehr überdauern. Von der geistigen Bewegung der Nation abgesperrt, aller der Vortheile entbehrend, welche das Staatsleben auf einem größern Raum gewährte, in materiellem Wohlstande tief herabgekommen, und zugleich in Schlaffheit und Verknöcherung befangen, ohne lebendigen Trieb aus der Zerrüttung sich emporzuarbeiten, sondern eben nur von dem Schatten alter Größe und Herrlich, keit zehrend — so konnten die Reichsstädte wohl noch in friedlichen Zeiten fort vegetiren, aber dem Sturm nicht mehr trozen, der eine neue Weltepoche brachte. Sie theilten mit den geiftlichen Staaten und den Gebieten der kleinen reichsunmittelbaren Herren das Loos, von Stoffen der Gährung am stärksten erfüllt und jeder revolutionären Berührung am meisten ausgesetzt zu sein. Darum erlagen sie auch mit jenen am raschesten dem ersten Einflusse der neuen Zeit.“

1765-90.

§. 685. Josephs II. Pläne. Der traurige Zustand des deutschen Reichs erfüllte den thatkräftigen Kaiser Joseph II. mit Widerwillen und er ofevh II. jeugte den Wunsch in ihm, durch zeitgemäße Reformen die Uebelstände zu heben. Kaum war er daher durch den Tod seines Vaters Besizer des deutschen Kaiserthrones geworden, als er dem Reichshofrathe von Wien, der dem Reichskammergericht mit gleichen Rechten gegenüber stand und hinsichtlich der

1765.

Unbescholtenheit und Rechtlichkeit der aus Adeligen und Gelehrten bestehenden Richter wie in Betreff der Geschäftsführung und Gerechtigkeitsliebe in noch viel schlimmerem Rufe stand als der Gerichtshof in Wezlar, die Annahme jeder Art von Geschenken und „Erkenntlichkeiten“ streng untersagte und ihn zu einer beschleunigteren und geordneteren Rechtspflege anhielt. Sodann be1767. wirkte er bei dem Reichstage die Niedersehung einer Prüfungscommission für das Kammergericht in Wetzlar; allein so sehr auch Jedermann von der Nothwendigkeit einer Verbesserung der Rechtspflege überzeugt war, so gerieth bei der Furcht der Stände vor jeder Neuerung die Untersuchung doch bald wieder in Stocken, und das Unternehmen blieb ohne namhaftes Resultat. Nach 1776. neunjähriger Arbeit trennte sich die Commission,,mit gegenseitiger Erbitterung."

Mat

1777.

Hatte schon dieser Versuch, den morschen Bau von den offenkundigsten Schäden zu heilen, den Fürsten Besorgnisse eingeflößt, so machte sie der Plan des Kaisers, den Thronwechsel in Bayern zur Erwerbung einiger ihm günstig gelegenen Länder zu benußen, noch mehr bedenklich. Mit Maximilian Joseph 30. Dec. erlosch nämlich die bayerische Linie des Wittelsbacher Hauses und das Kurfürstenthum fiel an den nächsten Erben Karl Theodor von der Pfalz Dieser, ohne rechtmäßige Nachkommen und ohne Liebe für das ererbte Land, ließ sich leicht bereden, Josephs Ansprüche auf Niederbayern, die Oberpfalz und die Herrschaft Mindelheim in einem Vertrag (Convention) als gültig anzuerkennen, um durch Abtretung dieser Landschaften Vortheile für seine natürlichen Kinder zu erlangen. Friedrich II., besorgt über Desterreichs Vergrößerung und des Kaisers Ländersucht, suchte dieses Vorhaben zu hintertreiben, indem er den nächsten Erben, den Herzog Karl von Zweibrüden, bewog, bei dem Reichstag gegen die Convention zu protestiren, und als dies ohne Erfolg blieb, ein Heer in Böhmen einrücken ließ, um mit gewaffneter Hand eine Aenderung des bestehenden Zustandes zu hindern. Dies führte 1778–79. den Bayerischen Erbfolgekrieg herbei, wo im Felde nur wenig, desto mehr mit der Feder gestritten wurde, indem sich beide Theile bemühten, durch gelehrte juristische Abhandlungen ihr Recht zu beweisen. Da aber alle Staaten einen allgemeinen Krieg scheuten, so gelang es der Vermittelung Rußlands und Frankreichs, die Kaiserin Maria Theresia, die an der Neuerungssucht 13. Mai ihres Sohnes kein Wohlgefallen hatte, zu dem Frieden von Teschen zu bewegen, worin dem pfälzischen Hause Bayern, dem österreichischen das Innviertel mit Braunau und dem preußischen die Erbfolge in den Markgrafschaften Ansbach und Bayreuth zugesichert ward. Dieser Friede bot der russischen Staatskunst die erste Brücke zur Einmischung in die Angelegen heiten des deutschen Reichs. Nach dem Tode Maria Theresia's machte der über das Scheitern seiner Pläne ungehaltene Kaiser einen zweiten Versuch, Bayern an sich zu bringen, indem er die österreichischen Niederlande (Belgien) als burgundisches Königreich dagegen austauschen wollte. Auch dazu ließ sich Karl Theodor bewegen, und ruffische Unterhändler waren bemüht, durch lockende Verheißungen die Zustimmung des Herzogs

1779.

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von Zweibrücken zu erwirken. Aber Friedrich II. suchte durch Stiftung 1785. des Fürstenbundes, der allmählich Hannover, Kursachsen, Kurmainz, Hessen-Kassel, Braunschweig, Baden, Anhalt, Mecklenburg u. a. umfaßte und dessen Zweck die Wahrung der fürstlichen Selbständigkeit und die Erhaltung des Reichs in seinem dermaligen Zustande war, auch diesen Plan zu hintertreiben und dem Pfälzer Haus abermals die Erbfolge in Bayern zu sichern. Der Fürstenbund hob in demselben Grade die Macht und Bedeutung des preußischen Königs, wie er das kaiserliche Ansehen vollends untergrub. Dort herrschte Rechtssicherheit und Achtung vor dem Rechte, während der Kaiser, im Streben nach Vermehrung seiner Hausmacht, nicht selten in die bestehende Ordnung störend eingriff. Diesem Umschwung in der bisherigen Politik beider Staaten hatte Friedrich das Gelingen der „preußischen Union“ zu verdanken, die er in früheren Jahren mehrmals vergebens angestrebt hatte. Dadurch wurde der König von Preußen der Schirmherr der deutschen Reichsverfassung. Allein troß dieser losen Einigung wurden die Bande, die das deutsche Reich umschlossen, immer mehr gelockert. Jeder Fürst strebte nach selbständiger, unbeschränkter Macht; jeder bildete einen kleinen Hof, wo in Bracht und Verschwendung, in Sitten und Moden, in Sprache, Literatur und Kunst der Hof in Versailles als Vorbild diente. Selbst der Fürstenbund, den einzelne patriotische Mitglieder, wie der Herzog Karl August von Sachsen-Weimar, als Grundlage einer nationalen Einigung und einer Umgestaltung der Reichsverfassung zu benutzen und auszudehnen wünschten, wurde nach Friedrichs II. Tod, als man die österreichischen Vergrößerungspläne nicht mehr fürchten zu müssen glaubte, vernachlässigt, bis er endlich ohne Ergebniß dahinschwand.

Maria

1780.

§. 686. b) Defterreich. In Desterreich, wo keine Stände die kaiserliche Macht beschränkten, konnte Joseph II. seine Reformen mit besserem Erfolge ausfüh= ren, als in Deutschland. Maria Theresia hatte schon während ihrer vierzigjährigen berena Regierung in Verbindung mit ihrem verständigen und aufgeklärten Minister Kaunis 1740 mancherlei Mißbräuche abgestellt und manche zeitgemäße Aenderung auf ruhigem Wege und mit Umsicht und Besonnenheit gegründet. Das Heer- und Kriegswefen hatte eine gänzliche Umwandlung erfahren, das Gerichtswesen war neu ge= staltet worden und in die Finanzen hatte ihr Gemahl, der sich auf Handel und Dekonomie vortrefflich verstand und mit kaufmännischen Talenten besser ausgerüstet war, als mit diplomatischen oder kriegerischen Gaben, Ordnung und Sparsamkeit eingeführt, ohne jedoch dem herkömmlichen Glanz und Aufwande am Hofe zu ent fagen. Sie hatte versucht, durch Ritterakademien und andere Unterrichtsanstalten dem unwissenden Adel einige Bildung beizubringen, in den Gemeindeverfassungen und in dem Gewerbe- und Zunftwesen Ordnung und Gleichförmigkeit zu begründen und sie der Aufsicht der Regierung zu unterstellen, und selbst an einige kirchliche Mißbräuche hatte sie ihre reformirende Hand gelegt, so wenig sie auch sonst die kirchenfeindlichen Echritte anderer Staaten billigte. Das landesherrliche Placet wurde in der strengsten Form aufrecht erhalten, das Schulwesen dem Einfluß der Geistlichkeit mehr und mehr entrüdt und manche Klostereinrichtung zeitgemäß umgestaltet. Auch die verwirrten Berhältnisse in Ungarn erfuhren durch das große Urbarialgefeß eine heilsame Umwandlung. Dieses bestimmte, daß jedem Besizer das Maß seiner Berechtigung

1780.

am Grundbesitz abgemessen, dem Hörigen aber die ungemessene Robot in eine gemessene verwandelt und auf bestimmte Wochentage beschränkt werde. Allein bei allen Anordnungen hatte Maria Theresia die Rechte der ihrem Scepter unterworfenen Nationen, den Glauben des Volks und die Verhältnisse der Stände geschont, und darum ihren talentvollen, aber mit allzugroßer Eile vorwärtsstrebenden Sohn von der Verwaltung der Erbstaaten fern gehalten und ihm eben so wenig Einfluß auf die Staatsgeschäfte gestattet, wie ihrem Gemahl Franz I. Kaum war aber der junge 29. Nov. Kaiser durch den Tod seiner Mutter unumschränkter Gebieter der österreichischen Monarchie, als er eine Reihe von Reformen begann, die theils die Geistlichkeit und ihre Freunde beleidigten, theils den bevorrechteten Adel beeinträchtigten, theils das Nationalgefühl der dem Kaiserhause gehorchenden Völker verlegten. Zwar hatte Joseph II. bei seinen Schritten die edelsten Zwecke und die Nachwelt, die feine Bestrebungen und Absichten besser zu würdigen vermag, wird seinen Namen stets mit Verehrung nennen; aber er verfuhr mit allzugroßer Hast, nahm zu wenig Rücksicht auf bestehende Verhältnisse, Gebräuche und Vorurtheile und gönnte der Aussaat nicht die gehörige Zeit zur Reife. Seine Menschen- und Völker- beglückenden Ideen wurden verkümmert und verdächtigt, weil Vorrechte und Gewohnheiten, die Jahrhunderte bestanden, dadurch gekränkt wurden; sein Bestreben, kirchliche Mißbräuche abzustellen und Bildung und Aufklärung unter das Volk zu bringen, wurde Irreligiosität und Freigeisterei gescholten, und seine Bemühungen, eine Staatseinheit mit gleichförmiger Gerichtsverfassung und einfacherer Verwaltung zu begründen, galten für Tyrannei und für Aeußerungen einer despotischen Seele. Seinen edeln Enthusiasmus für die Beglückung der Völker würdigten nur Wenige, und für die unermüdliche Thätigkeit und Anstrengung, womit er selbst von Allem Einsicht nahm, dem Hohen wie dem Niedrigen stets freien Zutritt zu seinem Kabinet gestattete, die Beamtenwillkür abstellte und die Unterthanen gegen Gewaltthat schüßte, die Wohlthätigkeitsanstalten aus allen Kräften förderte, hatten seine Zeitgenossen, die sich durch seine Neuerungen in der gewohnten Ruhe und Bequemlichkeit gestört sahen, keine Anerkennung. Kirche, Staat, Gerichtswesen und Ständeverhältnisse fühlten Josephs reformatorische Hand.

§. 687. Josephs Reformen. Josephs Neuerungen wollen wir unter folgende Gefichtspunkte zusammenfassen: 1) Kirchliche Reformen. Er führte Religionsduldung (Toleranz) ein, indem er den Bekennern der beiden protestantischen Confessionen wie der griechischen Kirche freie Religionsübung und gleiche politische Rechte mit den Katholiken er theilte; sodann verminderte er die Zahl der Klöster um ein Drittel, indem er etwa 700, meistens den Bettelorden angehörende Mönchs- und Nonnenklöster mit 30- bis 36,000 Conventualen aufhob. Das durch diese Säcularisation wie durch die Verminderung der großen Einkünfte der Bischöfe gewonnene Gut und Vermögen verwendete er auf Verbesserung des Unterrichtswesens, auf Errichtung neuer Pfarreien und Schulen und auf Gründung ge meinnütziger Anstalten, wie eines Krankenhauses, eines Taubstummen-Instituts u. dergl. Die übrigen Klöster, noch 1324 an der Zahl mit 27,000 Mönchen und Nonnen, stellte er unter strengere Aufsicht und verbot ihre Verbindung mit Rom und auswärtigen Obern. Ferner beschränkte er das Uebermaß der Werkheiligkeit, Prozessionen, Wallfahrten u. dgl., ließ die Bibel in die Landessprache überseßen und führte deutsche Kirchenlieber ein; er verminderte die Dispensationsrechte des Papstes, erschwerte die Verbindung seines Klerus mit Rom, hemmte die geistliche Gerichtsbarkeit der Nuntien, verlieh den einheimischen Bischöfen höhere Gewalt, untersagte den Besuch des Collegium Germanicum in Rom und ließ dem Klerus eine eigene Erziehungsweise in den österreichischen Staaten vorzeichnen. Umsonst versuchte 1782. Papst Pius VI. durch den ganz unerhörten Schritt einer Reise nach Wien den Kaiser auf andere Wege zu bringen. Joseph empfing ihn höchst ehrenvoll und weder er noch sein Hof' ließen es an Beweisen von Ehrfurcht und Hochachtung fehlen; allein über die Ange

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