Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

Das Revolutions - Beitalter.

A. Die Vorboten der Nevolution.

I. Die Literatur der Aufklärung.

1) Die englischen Freidenker (Deisten).

§. 670. Die im Laufe des 18. Jahrhunderts gegen Religion und Kirche, gegen die bestehenden Staatsverfassungen und gegen die aus dem Mittelalter stammenden bürgerlichen Zustände geführten Schläge führten eine gänzliche Umgestaltung der Ansichten und Denkweisen der höhern Stände herbei. Aberglaube und firchliche Beschränktheit verschwanden, aber Religion und Frömmigkeit litten dabei Schaden. Die unbeschränkte (absolute) Regierungsform und das patriarchalische Regiment wurden erschüttert, aber durch die gegen die Uebergriffe und Migbräuche geführten Streiche wurde auch die Ehrfurcht gegen Fürsten und Obrigfeit aus dem Herzen des Volkes verdrängt; Standesrechte galten als widerrechtlich erworbene und durch Vorurtheil aufrecht erhaltene Güter, die, durch Gewalt gewonnen, auch wieder durch Gewalt entrissen werden könnten. Der geoffenbarten Religion des Christenthums stellte man einen dem gefunden Menschenverstand begreiflichen und auf die Wahrnehmung der Sinne gegründeten Vernunftglauben entgegen; an die Stelle des göttlichen Rechts der Könige trat die Souveränetät des Volks, und die Standesvorrechte des Adels und der Geistlichkeit wurden untergraben durch die Lehre von den Menschenrechten und der angebornen Gleichheit Aller. Es war ein großartiger Kampf gegen uralte Knechtschaft und verjährte Mißbräuche, hätte man nur Maß zu halten gewußt.

-1704.

Der Kampf gegen den Kirchenglanben ging von England aus, wo zuerst Locke, der Lode 1632 Erzieher und Freund des geistreichen Grafen Shaftesbury, dessen politische Schicksale, namentlich dessen Flucht nach Holland er theilte (§ 622), Religion und Wissenschaft seinem scharfen, kritischen Verstande unterwarf. Nachdem er in seinem „Versuch über den menschlichen Verstand" ein System aufgestellt, das, von sinnlicher Erfahrung und Wahrnehmung ausgehend, alle Erkenntniß übersinnlicher Dinge, sofern sie nicht Erzeugnisse unserer eigenen Geistesthätigkeit sind, aufhob, suchte er in einer Reihe von Schriften Dentgläubigkeit (Rationalismus) und Religionsduldung in die Kirche einzuführen, ohne dieser jedoch feindlich entgegenzutreten. Durch Condillac fanden seine Lehren Eingang in Frankreich. Bon Locke angeregt, ergab sich der geistreiche und witzige Shaftesbury, En- Shaftesfel des früher erwähnten Staatsmannes (§. 622), der von Bayle (§. 630) und andern Franzosen in den Niederlanden ausgebildeten Zweifelslehre (Skepticismus) und richtete seine seine Ironie, seinen Witz und seinen Spott gegen die Satzungen der Kirche, gegen jebe auf Offenbarung gegründete Religion. Seine unter dem Titel „Charakteristiken

bury

† 1713.

Collins

Loland

[ocr errors]

von Menschen, Sitten und Zeiten" erschienenen Schriften, worin er eine Bernunftreligion und ein Moralgesetz als die sichersten Führer durchs Leben darstellt, brachten durch ihren leichten Stil, durch ihre witzige und klare Darstellung den größten Eindruc in den gebildeten Kreisen hervor und führten Voltaire und die Encyclopädisten auf dieselbe Bahn. Der Moralist und die Abhandlung „über Verdienst und Tugend“ suchten gegen die Gottesgelehrten zu beweisen, daß die Welt, wie sie ist, vollkommen sei (Optimismus), und so sehr die begeisterte Rechtfertigung (Theodicee) des Weltschöpfers Viele entzückt hat, die tiefer Blickenden sahen in seinem Gottesglauben nur eine Art Fatalismus. Nicht aus Neigung zu Spott und Satire, wie Shaftesbury, noch geleitet von Eitelkeit, wie Viele der Franzosen, die später denselben Ton anstimmten, gerieth Locke's +1729. gelehrter Freund Collins zu ähnlichen Resultaten, die er aber nicht in der Sprache und Manier der fein gebildeten Welt, sondern in der ernsten Form gründlicher Gelehrsamkeit vortrug. Die Einmischung in den Schulstreit zweier Rechtgläubigen führte ihn zum Zweifelsystem. Unter seinen vielen gründlichen, von den Franzosen später ausgebeuteten Schriften ift die Rede über Freidenken“ und die „Prüfung der biblischen Prophezeiungen“ am bekanntesten. Dreister, aber zum Theil weniger geschickt, wurde der bestehende Kirchenglaube von einer Reihe von Schriftstellern angegriffen, die unter dem Namen Deisten bekannt sind, weil sie die christliche Ansicht von einem Dreieinigen Gott bekämpften und nur Ein höchstes geistiges Wesen als Gott (Deus) verehrt wissen wollten. „Sie vertheidigten mit Gründen des gemeinen Menschenverstandes, einige auch mit gelehrten Hülfsmitteln, eine Ueberzeugung, der das natürliche Gottesbewußtsein und Gewissen die hinreichende und vollkommene Religion ist, daher das Christenthum von einigen nur beachtet wurde, wiefern es diese natürliche Religion als Kern enthalte, von andern als Priestertrug bekämpft, von allen seiner historischen Bedeutung und Grundlage beraubt.“ Einer der heftigsten Gegner des Christenthums und alles dessen, was damit zusammenhängt, war der platte Toland, der in seinem Christenthum ohne Geheimnisse“ und andern Werken die Echtheit der neutestamentlichen Schriften beftritt, den jüdischen Charakter des Christenthums nachwies, und so sehr gegen jeden positiven Glauben eiferte, daß seine Schriften verboten, er selbst verfolgt wurde. Ihm hat nur der Pantheismus Geltung; der Glaube an einen persönlichen Gott, an Unsterblichkeit der Seele u. dergl. erscheint ihm als Aberglaube. — Mehr mit Rücksicht auf das Tindal in England bestehende Kirchenwesen griff der leichtfertige Spötter Tindal in seinem Bucş ,,von den falschen Kirchen“ jede mit dem Staatswesen verbundene und weltlicher Güter bedürftige Kirchenverfassung an und lehrte in seinem „Christenthum so alt als die Welt", daß das Christenthum nichts Anderes sei, als die von den Zusäßen und Schlacken der Juden gereinigte Vernunftreligion der Urwelt. Bescheidener und gemäßigter suchte der rechtWolla schaffene Wollaston in seinem „Gemälde der natürlichen Religion“ eine reine Ber+1724. nunftreligion (die das Streben nach Glück vermöge eines eifrigen Suchens der Wahrheit und der Bildung der Vernunft sei, und keiner Offenbarung noch Sündenvergebung bedürfe) zu be gründen. Seine gründlichen, vielgelesenen Werke wurden, wie die von Collins, von den FranWoolston zosen übersetzt, verbreitet und benützt. Woolston deutete die Wunder Jesu allegorisch und Morgan starb dafür im Gefängniß. Morgan behandelte alles Geschichtliche im Christenthum als Prieftertrug und wollte die Moral an die Stelle der Religion seßen; der unsittliche Mandeville aber stellte sogar in seiner Fabel von der Biene und dem Commentar dazu Leidenschaften und Laster als nothwendig für die Blüthe des Staats dar,,,eine Satire auf die Moral und die Ideale der Kirche“. — Chubb, ein gelehrter Theolog, dachte in seinem wahren Evangelium,,an ein von den Aposteln mißverstandenes (und daher mit Wundern und fremdartigen Zusäßen bekleidetes) Christenthum als Offenbarung des natürlichen Sittengesetzes, dessen Berletzung durch Reue versöhnt, durch ein künftiges Gericht gestraft werde."

† 1722.

† 1733.

ston

1733

1743. Mandeville † 1733.

Ghubb † 1747.

Boling broke

Wichtiger als diese deistischen Schriftsteller ist der als Staatsmann und politi +1751. scher Parteigänger bekannte Lord Bolingbrote, Voltaire's Freund. Bolingbroke

† 1776.

war der wißigste Kopf seiner Nation, Meister in der Behandlung der Sprache und Kenner der vornehmen Welt und des dert einheimischen Tons, aber ohne religiöse und moralische Grundsätze. Am berühmtesten sind seine,,Briefe über das Studium der Geschichte“, worin er gegen die Kirchlichgesinnten bewies, daß derselbe Welwerstand, der jegt die Geschichte lenke, sie immerdar gelenkt habe; gegen die Schulgelehrten, daß der unbefangene Blick eines verständigen Weltmannes tiefer in das Leben der Völker eindringe als ihre Gelehrsamkeit, und gegen Solche, die in der Ruhe das höchste Glück erblicken, daß Kämpfen und Ringen von der Freiheit unzertrennlich sei. Aber freilich erschütterte er auch den Glauben an Tugend und uneigennügige Vaterlandsliebe, indem er mit weltmännischer Kälte Eigennut und Selbstsucht als die ersten Triebfedern aller Handlungen hinstellte. Auf seinen Schultern stehen Englands größte Geschichtschreiber: Gibbon (der talentvolle Verfasser der gibbon mit Kunst und Geschicklichkeit, aber mit rhetorischer Färbung geschriebenen,,Ge- † 1794. schichte des Sinkens und Falls des römischen Reichs") und Hume, hume der geistreiche Verfasser der,,Geschichte von England", zugleich ein heiterer skeptischer Lebensphilosoph. Beide waren französisch gebildet und standen mit Boltaire und den Pariser geistreichen Kreisen in inniger Verbindung, beiden ging das tiefere Verständniß der Erhabenheit des historischen Christenthums ab. - Der schottische Geistliche Robertson dagegen, der neben diesen seinen Rang als Geschicht schreiber einnimmt, obgleich er beiden an Geist, Schwung und Kühnheit nachsteht, theilte weder die französische Bildung, noch die kirchenfeindliche Richtung. Ein frei= sinniger und duldsamer Theolog von edler Gesinnung und humanistischem Streben, übte er einen großen Einfluß auf die kirchlichen und politischen Ansichten seiner Zeitgenossen in Schottland. Seine vielgelesenen Werke (,,Geschichte von Schottland unter Maria Stuart“, „G e s chichte Kaiser Karls V.“, „Geschichte der Entdeckung von Amerika)" sind gewissenhafte und zuverlässige, aber trockene und ohne Begeisterung abgefaßte Schriften. Dagegen huldigte der Dichter Pope, der den Homer, freilich mit Aufopferung der Würde und Erhabenheit des antiken Sängers, den Engländern zugänglich machte (§. 560), der französischen Glätte und Bolingbroke's Weisheit, daß die Menschen im Leben von der Selbstsucht geleitet würden, in der Religion ihrer Vernunft folgen müßten; und in Swifts Satiren swift werden Kirchenthum und Kirchenglaube ebenso verspottet wie die Thorheiten der Gesellschaft und die Gebrechen des Staats.

2) Frankreichs kirchenfeindliche Literatur.

Roberts

[ocr errors]

+ 1793.

Vove

† 1744.

† 1745.

1694

§. 671. Voltaire. Montesquieu. Rousseau. Die literarische Thätig= keit dieser drei Männer, deren geistreiche, mit allem Zauber der Sprache und Darstel= lung geschmückten Werke von dem ganzen gebildeten Europa gelesen wurden, hat mehr als alles Andere zur Umgestaltung der hergebrachten Ansichten in Kirche, Staat und Gerichtswesen, wie zur Ausrottung von Vorurtheilen und verjährten Sitten und Gewohnheiten im geselligen Verkehr beigetragen. Ihre Wege waren zwar verschieden, aber die Resultate ähnlich. Voltaire bekämpfte mit den Waffen des Wißes und Voltaire des gefunden Verstandes alles Verjährte und alle herrschenden Meinungen, ohne sich 1778. darum zu kümmern, was an dessen Stelle treten sollte; Montesquieu, ein ge- Monteshaltvoller und ernsterer Schriftsteller, wies das Fehlerhafte und Abgeschmackte des 1689Bestehenden nach, in der Absicht es zu verbessern und zeitgemäß umzugestalten und Rousseau 3. 3. Rousseau bekämpfte die bestehenden Zustände durch die reizende Schilde= 1712-78. rung der Gegensäge, indem er dem herrschenden Kirchenwesen eine Religion des Her= zens entgegenstellte, das absolute Königthum durch die Lehre vom Vertrage zwischen Bolt und Regent erschütterte, die Rechts- und Vermögensungleichheit der Stände durch die Lehre von der ursprünglichen Gleichheit aller Menschen zu brechen suchte

quieu

1755.

und die Unnatur der Sitten und die verwickelten Zustände der Gesellschaft und Convenienz durch die Darstellung der Reize eines einfachen Naturzustandes untergrub. Die heftigsten Feinde des Bestehenden erhoben sich in dem Holbachischen Club und in den Encyclopädisten, die nur die Wahrnehmungen der fünf Sinne für Wahrheit gelten ließen, die Eigenliebe als höchstes Grundgesez des Handelns aufstellten und des Lebens Zweck in Genuß und Glückseligkeit setzten.

Voltaire (vergl. §. 628). Unter allen Schriftstellern, die auf ihre Zeit tonangebend gewirkt haben, hat keiner jemals einen größern Einfluß geübt als Voltaire. Aufgewachsen in den höhern Kreisen der Gesellschaft, bei denen leichtfertiger und geistreicher Spott zum Modeton gehörte, wählte der begabte Mann gleich bei seinem ersten literarischen Auftreten diejenige Gattung, die seiner wißigen, spottsüchtigen Natur am meisten zusagte und von der er sich den größten Erfolg versprechen konnte die satirische Dichtung, zog sich aber durch den dreisten Spott auf die Regierung Haft und Verfolgung zu, was ihn bewog, sich, nachdem sein literarischer Ruf bereits gegründet war, auf einige Zeit nach England zu begeben. Bei der damals zwischen England und Frankreich obwaltenden Aehnlichkeit der Bildung und Literatur, der Sitten und Religionsgrundsätze fand der wißige Voltaire eine begeisterte Aufnahme, die er sehr gut bei der neuen Ausgabe seiner Henriade (§. 629) zu seinem Vortheile auszubeuten wußte. Die Erfahrungen, die er hier in den höhern, von französischer Bildung durchdrungenen Kreisen machte, und die Bekanntschaft mit den deistischen Schriftstellern bestärkten ihn in seinen Ansichten und lieferten ihm neue Mittel zur Bekämpfung verjährter Einrichtungen und Meinungen. Nach Frankreich zurückgekehrt, machte er seine Landsleute in den englischen Briefen mit den literarischen und religiösen Zuständen und namentlich mit der skeptischen Religionsphilosophie der Engländer auf eine so dreiste, aber dabei so geistreiche und witzige Art bekannt, daß er sich von Seiten der Regierung neue Verfolgungen zuzog, zugleich aber die Bewunderung der höhern Stände, der Fürsten und Hofleute von ganz Europa erwarb. Nun nahm er seinen Aufenthalt auf dem Landgute seiner Freundin, der Marquise von Chatelet in Lothringen, wo er mehrere Jahre mit literarischen Arbeiten und sogar mit mathematischen und physikalischen Wissenschaften beschäftigt zu1750. brachte. Als sein Ruhm den höchsten Gipfel erreicht hatte, folgte er dem Nufe Friedrichs II. nach Berlin (§. 654), entzweite fich aber bald mit demselben und kehrte nach Frankreich zurüð. Dann kaufte er sich an der Schweizer Grenze unweit Genf das reizende Gut Ferney, wo er in beneidenswerther Unabhängigkeit von dem großen Vermögen lebte, das er fich durch seine Schriften erworben. — Voltaire legte seine Ansichten in den verschiedenartigsten Arbeiten nieder; in Gedichten, Satiren und Romanen, in geschichtlichen und philosophischen Arbeiten. Durch seine Briefe stand er mit den gepriesensten Regenten Europa's, mit Staatsmännern, Feldherren und Gelehrten in Verbindung und sein Urtheil galt allenthalben als maßgebend. Seine scharfe Feder richtete sich gegen Alles, was die Welt bisher als heilig verehrt, als herkömmlich geachtet und als geseßlich befolgt hatte. Religion und Kirche, Priesterthum und Volksglaube erfuhren die heftigsten Angriffe. Von der „Henriade“, worin er Toleranz gegen Andersdenkende pries, schritt er allmählich zu der frivolen Dichtung in epischer Form,,Jungfrau von Orleans" fort, worin er Alles vereinigte, was der frechfte Wiz und der boshafteste Muthwille gegen Religion und Sitte, gegen Personen und Sachen, die man sonst nur mit Ehrfurcht betrachtete, vorbringen kann. Was dem gesunden Menschenverstand nicht sogleich einleuchtet, wurde für Priestertrug, Aberglaube und Vorurtheil erklärt und mit allen Waffen des Wißzes und der Satire bekämpft: und wenn es nicht zu leugnen ist, daß er dem Fanatismus Einhalt gethan, manche Vorurtheile zerstört, manchen Aberglauben beseitigt, der Religionswuth und Intoleranz manches Opfer entrissen (die Familie Calas in Toulouse)*), so ist dagegen auch nicht zu verkennen, daß er aus manchem Herzen das religiöse Gefühl verdrängt, in manches Gemüth Zweifel und Unglauben gepflanzt und kalte Weltklugheit und mit ihr Selbstsucht, Eigenliebe und Eigennuß als höchste Leiter der mensch.

[ocr errors]

--

lichen Handlungen hingestellt hat. Nicht nur Religion und Kirche, ihre Träger und Institute waren seinen spottenden Angriffen ausgesetzt, sondern auch alle andern, durch Zeit und Hertommen geheiligten Einrichtungen, Staatsverfassung, Königthum, Gerichtsverfahren, Standesrechte, Unterrichtswesen u. s. w. Mancher Mißbrauch und Schlendrian wurde dadurch abgestellt, aber zugleich auch Pietät, Ehrfurcht und Tugend untergraben. Eitelkeit und Eigenliebe waren die Haupttriebfedern seines Thuns. Wie in der berühmten Inschrift auf der Kapelle zu Ferney: „Voltaire erexit Deo“ stellt er sich überall Gott als Gleichen gegenüber. Er stürzte jedes Idol, weil er selbst der Abgott sein wollte. Am bedeutendsten sind Voltaire's historische Schriften, worin er Bolingbroke's Manier im Großen und Ganzen anzuwenden wagte. Waren auch seine Geschichte Karls XII. von Schweden, Peters I. ven Rußland, das vielgepriesene Zeitalter Ludwigs XIV. und das im Hoftone geschrie. bene Siècle de Louis XV. nicht aus gründlichen Forschungen hervorgegangen und weder unparteiisch noch zuverlässig, so waren sie doch epochemachend, indem die Leichtigkeit und Anmuth des Stils, die Anwendung der Vergangenheit auf das Leben und die dreiste Kritik die pedantische und trockene Geschichtsschreibung der Schulgelehrten verdrängte und die Kreise der Gebildeten den belehrenden Studien der Geschichte erschloßz. Am merkwürdigsten ist der unter dem Titel: „Versuche über die Sitten und den Geist der Nationen“ erschienene Abriß der Weltgeschichte, als Gegensatz gegen das Werk von Bossuet (§. 630). Denn wie dieser Alles auf den Glauben begründet, so beginnt Voltaire mit dem Zweifel, und wie Bossuet Alles zur Ehre des christlichen Glaubens wendet, so findet dieser in dem Christenthum und in den Lastern des Klerus alles Unheil der mittlern Zeit.

*) Johann Galas, ein protestantischer Kaufmann in Toulouse, wurde beschuldigt, seinen Sohn, der sich in einem Anfall ven Trübsinn in dem väterlichen Hause erbenkte, ums Leben gebracht zu haben, weil er die Absicht gehegt, zur katholischen Kirche überzutreten. Fanatische Priester und Mönche erregten einen Belfetumult und schüchterten dadurch das Toulouser Barlament dergestalt ein, daß es troß der offenbaren Beweise der unwahrheit dieses Gerüchts den unglücklichen Galas zum Tod durch das Rad verdammte und sein Bermögen confiscirte (1762). Galas erlitt den Tod mit großer Standhaftigkeit, seine Unschuld bis zum legten Atbemzug betheuernd. Seine Wittwe zog sich nach der Schweiz, wo sie Voltaire für ihre Sache zu interessiren wußte. Dieser verfaßte nun die Schrift sur la tolérance (1765), welche die Wirkung hatte, daß der Prozeß revidirt, das Urtheil als ungerecht verworfen und der Familie Ehre und Gut zurückgegeben wurde.

Montesquieu. In den persischen Briefen bekämpft Montesquieu mit demselben leichtfertigen Spotte wie Voltaire den Kirchenglauben und das ganze Lèhr- und Regierungssystem und die Regierungsform Frankreichs und macht auf ähnliche Weise die Sitten und geselligen Zustände seiner Zeitgenossen durch Witz und Ironie lächerlich. Die unbegreiflichen Lehren der scholaftischen Theologie, die Hierarchie, das Klosterwesen und die kirchlichen Einrichtungen werden durch Vergleichung mit ähnlichen mohammedanischen und orientalischen Zuständen herabgesetzt und als Aberglaube und Thorheit dargestellt. Nachdem Montesquieu so die Gebrechen der bestehenden Zustände anschaulich gemacht, suchte er in den geistreichen Betrachtungen über die Ursachen der Größe und des Verfalls der Römer und ihres Staates darzuthun, daß Patriotismus und Vertrauen auf eigene Kraft einen Staat groß mache, Despotismus aber denselben seinem Untergange zuführe. Das dritte Werk: Vom Geist der Geseße, das erst später, als Montesquieu England und andere europäische Länder kennen gelernt, verfaßt wurde, ist in einem gemäßigteren und ernstern Ton gehalten. Um so wirksamer waren die mit Ruhe und Klarheit niedergelegten Lehren von einer vernünftigen Freiheit. Bei der Darstellung der verschiedenen Staateformen wird die republikanische als Ideal obenangestellt, die aber nur bei hoher Bürgertugend möglich sei. Nach ihr kommt die constitutionelle Verfassung Englands mit scharfer Trennung der drei Gewalten, der gesetzgebenden, ausübenden und richtenden, und mit Achtung der Standes- und Corporationsrechte und zuleßt die absolute, die leicht in Despotie umschlage und als Ursache aller Entartung und alles Sittenverderbs anzusehen sei. Dabei wurden das Gerichtsverfahren, das Besteuerungswesen und

« ZurückWeiter »