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Obrigkeiten, bald gegen deren Willen sich die Grundsäge der Reformation aneigneten und sie in's Leben einzuführen bestrebt waren. Das eine größere Fürstenthum, obwohl noch von mäßigster Ausdehnung, welches eine nicht geringe Zahl von Reichsstädten umschloß und an welches selbst wieder die verschiedensten Herrschaften angrenzten, das Herzogthum Württemberg, stand damals nicht unter seinem angestammten Herrn, sondern seit der Vertreibung desselben, des Herzog Ulrich, (1519) unter österreichischem Regiment, das der kirchlichen Reform, wie der immer lauter sich aussprechenden Sehnsucht des Volkes nach Wiedereinsehung seines verbannten Fürsten mit gleicher Gewaltthätigkeit entgegentrat.

Schwaben im Allgemeinen genoß schon im Mittelalter des Rufs besonderer Frömmigkeit. Klöster von allen Orden, besonders auch Benediktinerklöfter, waren hier vollauf zu finden. Durch die Hohenstaufen war der Sinn für alles Edle in Kunst und Wissenschaft geweckt. Die kirchliche Kunst trieb die herrlichsten Blüthen. Daneben gedieh die Gelehrsamkeit in den Klosterschulen, wie in einer Menge von lateinischen Schulen in den Städten, unter denen sich die Reichsstädte frühe gegen die Anmaßungen der Kirche in Handhabung des Rechts und Besizes in entschiedene Opposition sezten. Der kirchliche Bann, erklärte eine Reichsversammlung in Ulm 1152, dürfe keine Wirkung auf weltliche Verhältnisse äußern, da er nicht selten die besten Bürger treffe und das Reich Christi nicht von dieser Welt sei. In Hall erklärten die Bürger 1248, die ganze Geistlichkeit sammt dem Papst seien Kezer, welche Sakramente und geistliche Weihen für Geld spenden und mit Aemtern Handel treiben; Sünden könne nur Gott vergeben, nicht der Papst, der ein verkehrtes Leben führe. Für Kaiser Friedrich und seinen Sohn Konrad soll das Volk beten. Waldenser und Gottesfreunde hatten in den verschiedensten Kreisen zahlreiche Anhänger. Schon 1393 finden wir die Ansichten Wikliffe's, des Vorläufers der Reformation in England, zu Augsburg einheimisch; fünfzig Jahre nachher muß der Rath den Hussiten ein eignes Lokal für ihren Gottesdienst einräumen. Unter der lautesten Theilnahme des Volkes hielt Huß seinen Durchzug durch Württemberg nach Constanz. An seinem Scheiterhaufen entzündete sich der nie mehr erlöschende Zorn über das allen Reform= wünschen Hohn sprechende Rom.

Durch das Wiedererwachen der classischen Studien und die Gründung der Hochschulen Heidelberg, 1386, Freiburg 1457, Tübingen 1477, wurde dem Wissenstrieb eine bestimmtere Richtung gegeben, das Studium der heiligen Schrift in den Grundsprachen ermöglicht und der Jugend ein ungeahnter Reichthum geistiger Anschauungen und Bildungsmittel erschlossen. Graf Eberhard von Württemberg, der nachmalige erste Herzog 1457-1496, der Fürst, der getrost sein Haupt in jedes Unterthanen Schooß niederlegen konnte," hatte durch die Reform der Klöster und seinen Zug in's gelobte Land einen ernsten religiösen Sinn an den Tag gelegt. Mehr aber

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wirkte die Verbesserung der Chorherrnstifte, die nach dem Vorbild in den Niederlanden, vornehmlich zu Windsheim errichtet, auf Pflanzung christ licher Erkenntniß und Hebung der Sittlichkeit bei Alt und Jung abzielten. Was aber in diesen Anstalten immer nur vereinzelt blieb, das fand seinen Mittelpunkt, von dem aus sich,, der Brunn des Lebens" über das ganze Land ergießen sollte, in der Richtung der Hochschule zu Tübingen. Durch sie wollte er das Wohl seiner Unterthanen fördern,, zu Erbauung guter Künste und Wissenschaften, die uns unterweisen, wie wir Gott erkennen, ihn allein anbeten und ihm allein dienen können." Troß der goldnen Rose, mit der ihn Sixtus IV. beschenkt, trat er gegen Papst und Geistlichkeit fest auf, wenn fie Unrechtes verlangten, wahrte er seine Patronatrechte und wies die römischen Curtisanen, die man den Gemeinden als Seelsorger aufdringen wollte, mit Entschiedenheit zurück. In dem von ihm reformirten Augustinerkloster zu Tübingen fand ein Johann Staupig seine Bildungsstätte. Bald konnte die rasch aufblühende Hochschule (wir nennen nur Heinrich Bebel, Johann Reuchlin) an das fünfundzwanzig Jahre jüngere Wittenberg eine Anzahl der tüchtigsten Lehrer abgeben. So konnte es nicht fehlen, daß die Reformation von dem ersten Erscheinen der 95 Säße an von Jahr zu Jahr, von Monat zu Monat mehr Anhänger im Südwesten Deutschlands gewann, so daß es schon 1520 von Schwaben hieß: Luther habe das Land voll Jünger.

Aus einer der kleinsten schwäbischen Reichsstädte, der wenigen eine, bei welchen Oestreich mit seinen Reactionsversuchen glücklich war, ging der Mann hervor, an dem sich der Ausspruch seines Meisters buchstäblich erfüllen sollte, daß der Prophet nirgend weniger gilt, als in seiner Vaterstadt.

In dem freundlichen, von der Würm durchströmten Thal zwischen dem Ostabfall des nördlichen Schwarzwaldes und dem Schönbuch liegt die ehemalige Reichs-, nun württembergische Landstadt Weil, auch Weil die Stadt, Weilerstadt genannt. Hier wurde in einem der wenigen, in dem Brand von 1648 verschonten Gebäude, einem kleinen Haus der südlichen Vorstadt am 24. Juni 1499 dem Stadtschultheiß Martin Brenz und seiner Ehefrau, Katharina, geb. Hennig, ein Sohn geboren, der in der Taufe den Namen des Heiligen erhielt, mit dessen Gedächtnißtag der Tag seiner Geburt zusammenfiel. Die Eltern, wie es scheint, nicht unbemittelt, wandten die äußerste Sorgfalt auf die Erziehung ihrer drei Söhne, von welchen Johannes der älteste war. Noch in seinem hohen Alter rühmt es Brenz, daß er von seinen Eltern, die in friedlicher Ehe lebten und ,,in rechter Erkenntniß und Bekenntniß unsres lieben Herrn Jesu Christi aus dieser Welt abschieden,“ sorgfältig erzogen und von Jugend auf zur Schule angehalten worden sei. Bis zu seinem eilsten Jahr genoß er den Unterricht der Schule seiner Vaterstadt. 1510 kam er auf die Trivialschule zu Heidelberg, die er indeß schon im folgenden Jahre mit der unter M. Johann Schmidlin blühenden Schule in Vaihingen an der Enz vertauschte. Bereits hatte das wieder auflebende Studium der

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alten classischen Literatur im Südwesten von Deutschland fördernd auf den Jugendunterricht eingewirkt. Nicht blos die lateinische Sprache, die bald das gemeinsame Band zwischen den Gelehrten der verschiedensten Zungen wurde, auch die griechische ward mit Eifer gelehrt und schon 1524 kann. Luther es rühmen, daß jezt ein Knabe in drei Jahren mehr lerne, als man bisher in zwanzig und mehr Jahren in Klöstern und hohen Schulen gelernt habe. In Jahresfrist, 1512, konnte Brenz, schon in seinem dreizehnten Jahr, die Universität Heidelberg beziehen, um sich dem Studium der Gottesgelehrsamkeit zu widmen. Daß statt des ungleich näheren Tübingen Heidelberg gewählt wurde, zeugt von einer richtigen Einsicht in die Vorzüge, welche die lettere Hochschule vor Tübingen auszeichneten. In Heidelberg hatte fich von den Kämpfen Johannes von Wesel gegen den Ablaß und dem Wirken Johann Wessels und Agricola's an unter der Pflege aufgeklärter Fürsten ein Geist freierer Forschung und kräftigen wissenschaftlichen Strebens festgesezt, der die studirende Jugend von Schwaben besonders nach Heidelberg zog, so daß wir in den Jahren 1509-1518 Melanchthon, Decolampad, den Heilbronner Reformator Johann Lachmann, Isenmann von Hall, Erhard Schnepf, Martin Frecht, weiter Martin Bucer, Theobald Billikan u. A. daselbst finden. Von Brenz's Studiengang ist uns so viel bekannt, daß er bei Schnepf, Billikan und Johann Kneller philologische und philosophische, bei Decolampad Vorlesungen über griechische Sprache hörte. Decolampad giebt unserm Brenz das Zeugniß, daß er nicht blos in der griechischen Sprache, sondern auch sonst vielseitig unterrichtet und von glühendem Eifer für die Wissenschaft erfüllt sei, und auch Brenz rühmt es, wie er dem legtgenannten Lehrer besonders Viel verdanke. Der junge Studirende wurde von seinem Lehrer zum Mitarbeiter bei der Anfertigung eines Inhaltverzeichnisses seiner Ausgabe des „Hieronymus“ ausersehen. Das Hebräische lernte Brenz bei einem Spanier, dem früheren israelitischen, später getauften Dr. Adriani. Am 20. Mai 1516 wurde Brenz mit dem Baccalaureat bekleidet, dem niedersten akademischen Grad, den Studirende beim Uebergang von den philologischen Studien zur Philosophie erhielten. In der lezteren hatte er Billikan und Kneller zu Lehrern. Die aristotelische Philosophie, damals fast ausschließlich betrieben, wirkte bei fähigeren, an Selbstdenken gewöhnten Jüngern für Weckung schärferen Denkens, wie zur Mittheilung vielseitiger positiver Kenntnisse fördernd und bildend. Brenz widmete dem Studium des großen Meisters ganze Nächte, wurde 1517 Magister und trat hierauf in seinem achtzehnten Jahre zum theologischen Studium über. Obschon seine Lehrer Scheibenhard, Niger und Stier noch der althergebrachten scholastischen Methode zugethan waren, so rühmt doch von ihnen selbst Luther, nachdem er mit ihnen disputirt, daß sie ihm mit Anstand und Scharfsinn gegenübergetreten seien. Für das Jahr 1518 gab Johann Stöffler, Professor der Mathematik in Tübingen, einen Kalender heraus, welchem er ein latei

nisches Gedicht unsers Brenz in Jambenform vorseßte. Der junge Dichter spricht von dem Haupt der Kirche, Leo X., ebenso rühmlich, als von dem edlen Sinn Kaisers Maximilian.

Einen Monat, nachdem der Kalender erschienen war, im April 1518 kam Luther nach Heidelberg. Seine am 26. April daselbst gehaltene Disputation ist ein Ereigniß im Leben unsers Brenz, wie sie auf die Verbreitung der reformatorischen Ideen in weitesten Kreisen den mächtigsten Einfluß übte.

Waren schon die 95 Säße gegen den Ablaß (31. Oct. 1517) in dem Kreis, dem Brenz angehörte, mit Begeisterung aufgenommen worden, so mußte die persönliche Anwesenheit Luthers und die nähere Bekanntschaft, welche die jungen Studirenden mit ihm machen durften, sie mit unauflöslichen Banden an den großen Vorkämpfer des evangelischen Glaubens knüpfen. Luther zog durch die Gewandtheit seiner Rede und durch seine vertraute Bekanntschaft mit der heiligen Schrift, wie mit den Vätern, die allgemeinste Anerkennung von Hohen und Niedern auf sich. Mochten auch die Doctoren der Theologie sich nicht über ihren hergebrachten Standpunkt erheben können: die Jugend flößte durch ihr Verhalten Luthern die Hoffnung ein, daß durch sie die wahre Lehre, die jene verwarfen, zur Anerkennung und zum Sieg gelangen werde *). Brenz besuchte nach der Disputation mit seinen Studiengenossen Bucer, Schnepf, Billikan den Reformator zu Hause und ließ sich Manches, was er nicht ganz begriffen, genauer von ihm erklären. Er blieb von Stund an Luthers eifrigster Bewunderer.

Bald ward ihm Gelegenheit, seine Grundsäge vor den Studirenden selbst auszusprechen. Im Sommer 1519 wurde Brenz Regens der Burse der Realisten, der sogenannten Schwabenburse, Aufseher einer Anzahl von Studirenden, die zusammen wohnten und arbeiteten. Brenz hielt ihnen Vorlesungen über Logik, Dialektik und griechische Grammatik. Von besonderer Wichtigkeit aber war, daß er sie in Vorträgen über das Evangelium Matthäi in die biblische Gottesgelehrsamkeit einführte. Der Zulauf zu diesen Vorlesungen war so groß, daß der Raum im Contubernium nicht hinreichte, sondern ein größerer Hörsal, der philosophische, gewählt werden mußte. Das gereichte den ordentlichen Lehrern in doppelter Hinsicht zum Anstoß, und so waren sie auch um Gründe nicht verlegen, Brenz seine Vorlesungen niederzulegen. Nur die geistliche Weihe, die er noch nicht erhalten, gebe das Recht zu Haltung theologischer Vorlesungen; überdieß sei ein so unheiliger Ort, wie der philosophische Hörsaal, nicht geeignet für die heilige Wissenschaft. Brenz wurde im folgenden Jahre dafür entschädigt durch die ohne sein Zu

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*) Luther an Spalatin, 18. Mai: Dagegen ist der ganzen studirenden Jugend Gemüth durchaus anders gesinnet und habe ich eine treffliche Hoffnung, daß, gleichwie Christus, von den Juden verworfen, zu den Heiden gezogen, also nun auch seine wahre Theologia, welche die eigensinnige Alte verworfen, sich zu der Jugend wenden werde."

thun erfolgte Uebertragung der Stelle eines Canonicus bei dem Collegiatstift der Kirche zum heiligen Geist. Früher, nach Art des Mönchthums zu gemeinsamem Leben verbunden, hatten die Canonici jezt die Aufgabe, ohne strengere Regel an den kirchlichen Andachtsübungen thätigen Antheil zu neh= men. Brenz fonnte sogar seine Stelle im Contubernium daneben behalten. Er ließ sich im Anfang des Jahres 1521 in Speier die Priesterweihe ertheilen und las hierauf in seiner Vaterstadt Weil die erste Messe. Nicht blos sezte er seine philologischen und philosophischen Studien fort, trat öfters und mit Beifall als Prediger auf, sondern hielt Vorträge über verschiedene biblische Bücher und gab den Studirenden, mit denen er im freundlichsten Verkehr stand, praktische Anleitung zum Predigen. Brenz darf nebst Billikan als der erste evangelische Prediger zu Heidelberg bezeichnet werden.

Seit er mit Luther persönlich bekannt geworden, waren es Luthers Schriften, voran der im September 1519 erschienene Commentar zum Brief an die Galater und die im Juni 1520 herausgekommene kühne Streitschrift: An Kaiserliche Majestät und den christlichen Adel deutscher Nation, von des. christlichen Standes Besserung, die ihn auf's Mächtigste anzogen. Vollkommen gleichzeitig mit leßterer Schrift, 15. Juni 1520, erschien zu Rom die Verdammungsbulle gegen Luther, die aber so wenig ihren Zweck erfüllte, daß vielmehr Luther's Sache hinfort nur um so größere Verbreitung und bleibenden Eingang fand. Eine neue Bulle vom 3. Jan. 1521 sprach über Luther und seine Anhänger den Bann und die gegen Kezer bestehende Strafe und über ihre Aufenthaltsorte das Interdict aus. Der Reichstag zu Worms, zur Vollstreckung desselben aufgefordert, beschloß, erst Luthern zu hören. So tief indeß auch der Eindruck war, den sein Auftreten auf demselben und seine Berufung auf die Zeugnisse der heiligen Schrift und der Vernunft, sein, hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir! Amen“ machte, die Acht- und Aberachterklärung gegen ihn und seine Anhänger konnte nicht abgewandt werden, und so hatte auch unser Brenz, wie sein Leichenredner ein halbes Jahrhundert nachher sagt, das Kreuz zu tragen, daß er von Anfang seines Predigtamtes ab anno 1521 lange Jahr und Tag in päpstlichem Bann und kaiserlicher Acht vermöge des Wormsischen Edikts gewesen." Zunächst hatte dasselbe die Folge, daß auf Befehl Kurfürst Ludwigs von der Pfalz 1522 eine Untersuchung gegen ihn und Billikan angestellt und ihnen das Recht, Vorlesungen zu halten, entzogen wurde, ohne daß jedoch eine weitere Strafe erkannt ward. Billikan wandte sich, wohl auf Brenz's Rath, nach Weil und predigte die neue Lehre unter großem Zulauf, mußte indeß bald auf Befehl der östreichischen Regierung in Stuttgart weichen und nahm den Ruf als Prediger in Nördlingen an. Das begonnene Reformationswerk in Weil zerfiel schnell und so nachhaltig, daß Brenz's Eltern nach ihrem Tod es noch zu büßen hatten, daß sie die Ueberzeugungen ihres Sohnes getheilt; es wurde ihnen die Begräbnißstätte der Gemeinde

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