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Die italienische Renaissance (bildende Kunst).

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es in gewissem Sinne das Lieblingsepos der Italiener geworden und hat zahlreiche Nachahmer gefunden, ohne freilich ein nationales Heldengedicht zu ersetzen.

Ebensowenig wie ein solches fonnte es im damaligen Italien ein volksthümliches Drama geben. Denn dies seßt eine einheitliche, in allen Kreisen des Volkes lebendige sitt= liche Anschauung voraus, vor Allem die Ueberzeugung von einer Weltordnung, die in ausgleichender Gerechtigkeit das Thun des Menschen belohnt und bestraft und die Verantwor= tung für sein Handeln jedem selber anheimstellt. Solche Ueberzeugung aber war im Italien der Renaissance so wenig allgemein,

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daß vielmehr eine unglaubliche Stumpfheit des sittlichen Gefühls bei Hoch und Niedrig die Regel bildet. Daher verwechseln die Dichter von Trauerspielen die Begriffe tragisch" und schrecklich" und suchen das Wesen der Tragödie in der sinnlosen Anhäufung von Gräuelscenen, wobei in Aeußerlichkeiten das antike Drama als Muster dient. Eine bessere Entwicklung nahm das Lustspiel, wozu die römischen Dichter leichter nachzuahmende Vorbilder boten und das Naturell des Volkes selbst mehr Neigung und Geschick zeigte. Aber auch hier tritt in grellster Weise die Abwesenheit jedes sittlichen Urtheils bei Dichtern und Zuhörern hervor, so bei der „Calandra" des Kardinals Bibiena oder Macchiavelli's an sich geist= voller Mandragola". Troßdem wurden beide am römischen Hofe vor Leo X. aufgeführt! Nur solche Zustände erklären es, daß ein unbestrittener Lump, der geistreiche, aber sittlich völlig haltlose Pietro Aretino (1492-1557) über dreißig Jahrelang von Venedig aus die ganze vornehme Gesellschaft Italiens und Südeuropa's überhaupt durch seine boshaftenSatiren, gewissenlosen Verleumdungen und

Moses von Michelangelo. (Zu S. 70.)

hündischen Schmeicheleien in Schach halten und sich förmlich tributpflichtig machen konnte. Bildende Kunst. Kann so die italienische Literatur dieser Zeit keinen Anspruch machen auf Mustergiltigkeit, so hat dagegen das Land in der bildenden Kunst aller Gattungen eine so unermeßliche Fülle großartiger und schöner Schöpfungen aufzuweisen, daß darin die weltgeschichtliche Bedeutung dieser Zeit vor Allem zu suchen ist.

Es gab freilich auch kein Land Europa's, wo so viele Vorbedingungen zu glänzender Kunstentfaltung zusammengetroffen wären wie eben hier: eine altüberlieferte, festgegründete Technik verbunden mit künstlerischem Geschmack, die in größter Fülle entdeckten bildnerischen

und literarischen Denkmäler des Alterthums, der altererbte, durch rege Thätigkeit beständig gesteigerte Reichthum der Gemeinden und Fürsten, der Geistlichkeit und des Adels, der es den Künstlern niemals an großen Aufträgen und glänzender äußerer Stellung fehlen ließ.

So erwuchs noch im fünfzehnten Jahrhundert die neue Bauweise in Anlehnung an die spätrömische; sie findet ihre Hauptaufgabe im Palastbau und überträgt seine Grundsäße auf den Kirchenbau, während das Mittelalter gerade umgekehrt verfahren war. Bildnerei und Malerei lösen sich aus der engen Verbindung mit der Baukunst, in der sie das Mittelalter gefangen gehalten; sie erfrischen sich an dem Vorbilde der Antike und (nach deren Beispiele) der Natur; sie wollen jezt nicht mehr das kirchlich Ueberlieferte, sondern das Schöne darstellen, widmen sich also auch nicht mehr ausschließlich religiösen Gegenständen, sondern ziehen neben solchen bereits die Landschaft (wenn auch nur als Hintergrund), das Bildniß, die mythologischen und geschichtlichen Vorgänge in den Kreis ihrer Aufgaben. Dabei bedient sich die Bildnerei der althergebrachten Stoffe des Marmors, des Bronze

gusses und der gebrannten Erde (Terracotta); der Malerei dagegen gelingt ein gewaltiger Fortschritt, indem sie von der vergänglichen Tempera zum Fresco und zur Delmalerei übergeht, leßteres nach niederländischem Vorbilde, das Antonello da Messina um 1474 nach Venedig übertrug. So wird die Malerei zum vollendetsten Kunstzweige der neuen Zeit, wie es im klassischen Alterthum die Plastik gewesen war, und übt den größten Einfluß auch auf die anderen Künste aus.

Während des fünfzehnten Jahrhunderts, zur Zeit der Frührenaissance (1420-1500), hatte sich das Alles erst in den Anfängen entfaltet. Die Baukunst, am glänzendsten in Florenz und Venedig, wandte da die antiken Bestandtheile noch mehr vereinzelt an, daneben, besonders in Venedig, viele gothische und orientalische Elemente; die schon hoch ausgebildete Plastik, von den Florentinern Ghiberti, Luca della Robbia und Donatello hervorragend vertreten, bewegte sich noch ganz in religiösen Gegenständen und verwandte ihre Werke noch meist zum Schmucke von Kirchen; ebenso offenbart die Malerei in der umbrischen Schule, z. B. in den Werken Perugino's, rein religiöses Interesse, schlug jedoch in Florenz bei Masaccio, Ghirlandajo, Signorelli u. A. in der Darstellungsweise (z. B. der Aufnahme des nackten Menschenkörpers) bereits eine mehr weltliche Richtung ein und wagte sich zuerst in Venedig an das Geschichtsbild durch Mantegna.

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Michelangelo Buonarrotti.

Zu einer wahrhaft staunenswürdigen, unübertroffenen Höhe und Vortrefflichkeit entwickelten sich alle Kunstzweige erst in der Hochrenaissance (1500-1580). Von den unglücklichen politischen Verhältnissen, die Italien durch die Schuld seiner Fürsten und Stämme die Unabhängigkeit gekostet und es dem spanisch-französischen Einflusse rettungslos überliefert hatten, zog sich die Theilnahme und die schöpferische Kraft des Volkes gewissermaßen ganz auf die Kunst zurück, ja in ihr hat vorwiegend auch das Streben der edelsten Geister nach einer religiös-sittlichen Erneuerung seinen Ausdruck gefunden. Der patriotische Italiener mochte dabei wenigstens die Genugthuung empfinden, daß sein von Fremden beherrschtes und mißhandeltes Vaterland doch im Reiche des Schönen die unbestrittene Meisterin seiner Besieger wurde.

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Herrlich erstanden durch die ganze Halbinsel die Werke der Baukunst, vor Allem die Paläste; ihre Façaden (Stirnseiten), durch Säulen und Pfeiler gegliedert, mit Reliefs, Statuen und Malereien geschmückt, die Treppen weiträumig und prunkvoll, die Säle im Schmucke der Wandmalereien und Stuckdecken, und das Alles gruppirt um offene Höfe mit Säulengalerien und Bogengängen. Dazu traten bald prächtige Landhäuser, mit planvollen Gartenanlagen harmonisch verbunden, in Allem eine durchaus vornehme Baukunst, auf ein prunkvolles, geselliges Leben berechnet, wie von ihm gefordert. Im Kirchenbau wird das mittelalterliche Langschiff vielfach vom quadratischen Grundriß oder der gleicharmigen griechischen Kreuzform und der hochragenden majestätischen Kuppel verdrängt, das Kreuzgewölbe durch die flache Holzdecke oder das Tonnengewölbe, der Spitbogen durch den Rundbogen oder den wagerechten Fensterabschluß ersetzt.

Und jetzt übernahm das päpstliche Rom die Führung in allen Künsten zugleich. Zwar gab es hier keinen unabhängigen und gebildeten Adel, kein fleißiges und freiheitsstolzes Volk wie in Florenz oder Venedig;

vielmehr war Rom nur der Anhang des päpstlichen Hofes mit seinen zahllosen geistlichen Würdenträgern und dem höfisch gewordenen weltlichen Adel; das Volk faul, unwissend, bettelhaft, die Sittlichkeit überall auf tiefster Stufe. Aber ein unermeßlicher Reichthum war hier aufgehäuft durch die frommen Spenden der gläubigen Völker; seit Nicolaus V. (1447-1455) hatten die Humanisten im Vatikan ihren Einzug gehalten, Sixtus IV. hatte zum kapitolinischen Museum den Grund gelegt, und nach dem wüsten Alexander VI. saßen hintereinander zwei Päpste auf dem Stuhle Petri, die, so verschieden sie von einander waren, doch beide, dicht vor dem großen Abfalle in Deutschland, in dem Bewußtsein der ungebrochenen Macht ihrer Kirche schwelgten und beide in großartigen Kunstschöpfungen sie zum Ausdruck zu bringen sich bestrebten: Julius II. della Rovere (1503-1513) und der Mediceer Leo X. (1513-1521), jener ein leidenschaftlicher, wilder Kraftmensch voll maßlosen Selbstbewußtseins, der den Kirchenstaat zur ersten Macht Italiens zu erheben, die Fremden hinauszujagen sich vorgesezt, dieser in der Politik zufrieden mit der Förderung der Interessen seines Hauses, ohne national-italienische Pläne, alles Störende von sich entfernt zu halten bemüht, ein behaglicher Lebemann, geistvoller Humanist und Kunstkenner, kirchlich ungläubig und sittlich gleichgiltig. Er stattete die römische Univer sität (die Sapienza") glänzend aus, stellte für die Alterthümer einen besonderen Aufseher (Konservator) an, deren erster Raffael wurde (1515). Unter ihm und dem Vorgänger baute Donato Lazzari, genannt Bramante (1444-1514) den Palast der Cancellaria mit der Kirche San Lorenzo und die großartigen Säulenhallen des Damasushofes im Vatikan, Baldaffare Peruzzi (1481-1536) den Palazzo Massimi mit seinem gewaltigen Säulenhofe und die schmuckvolle Villa Farnesina, die später Raffael ausmalte, Antonio da San

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Raffael de' Santi von Urbino.

Gallo (gest. 1546) den großartigen Palazzo Farnese und a. m. Vor allem aber haben jene Päpste das ganz persönliche Verdienst, die beiden größten Meister ihres Jahrhunderts nach Rom berufen oder ihnen große Aufgaben übertragen zu haben, Michelangelo und Raffael, beide auf allen Gebieten der Kunst gleich heimisch, beide gleich Fürsten geehrt.

Michelangelo Buonarrotti, geb. 1475 in Chiusi aus edlem Geschlecht, bildete sich bei Ghirlandajo zum Maler, nach der Antike unter Lorenzo's von Medici Schuß zum Bildhauer und schuf als solcher nach Savonarola's Tode 1498, den er hoch verehrte, jene wundervolle Gruppe der trauernden Maria mit dem Leichnam Christi (Pietà), die ihn sofort den größten Meistern aller Zeiten gleichseßte, während er in der Malerei mit Lionardo da Vinci in einem großen Schlachtencarton wetteiferte. Im Jahre 1503 berief Julius II. ihn nach Rom. Der junge Künstler hatte etwas in seiner Natur, was ihn dem Kirchenfürsten ähnlich machte; in ihrer Leidenschaft sind sie wol gelegentlich hart an einander gerathen. Selbstbewußte Kraft verband sich bei Michelangelo mit der Urgewalt des Genius und dem Vollbesize aller technischen Mittel. Aus den Kämpfen seiner großen Seele heraus gestaltet er seine Kunstwerke; deshalb herrscht in ihnen dieselbe Leidenschaft, und mit allen Mitteln bringt er sie in Haltung und Geberde zum Ausdruck, ohne Rücksicht zuweilen selbst auf die Schönheit, aber immer von der gründlichsten anatomischen Kenntniß unterstüßt. Die höchste Vorstellung hat er von der Kunst: sie soll Vollendetes schaffen, so strebt sie dem Göttlichen nach. In ihm ist nichts von der Frivolität seiner Zeit. Er bekannte ein Christenthum, das nicht an Formeln und Sazungen sich band, und er übte es, frei von Selbstsucht und Neid; er glühte tief innerlich für die republikanische Freiheit seiner Vaterstadt, und suchte umsonst sie zu retten, ein reiner, ernster, hoher Mensch inmitten einer grundverderbten Umgebung, der von sich selber in einem seiner tief empfundenen Sonette sagt: „Ich wandle einsam unbetretne Wege".

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In Rom sollte er zunächst ein riesenhaftes Grabmal für Julius II. schaffen; es kam nicht so wie gedacht zur Ausführung, aber der gewaltige Moses allein macht es unsterblich. Dann begann er sein malerisches Hauptwerk, die Ausmalung der Sixtinischen Kapelle im Vatikan mit den Darstellungen der Schöpfung, des Sündenfalls und der Sündflut, den zwölf Propheten und Sibyllen, „das Großartigste, was die Malerei geschaffen", von ihm allein ohne jede Beihülfe er jagte die Gesellen vom Gerüst - binnen vier Jahren (1508 bis 1512) vollendet. Als er dann zum zweiten Mal nach Rom kam (1534), gab er dem Riesenwerke durch das „Weltgericht“ den großartigsten Abschluß und übernahm endlich 1546 ohne Entgelt, um Gottes willen", die Leitung des Baues der Peterskirche. Julius II. hatte sie geplant als ein Denkmal seiner und des Papstthums Größe, Bramante entwarf damals einen riesigen quadratischen Bau mit einer Kuppel, Raffael dachte an ein Langschiff, Peruzzi und San Gallo kamen auf den ursprünglichen Gedanken zurück. Endlich erhob Michelangelo ein Abbild des Pantheons, die riesige und doch schlanke Kuppel, deren Scheitel 407 Fuß über dem Boden schwebt, und errichtete damit sich selber das großartigste Denkmal, zugleich freilich auch dem wieder hergestellten Papstthume, dessen Herrschaft soeben alle freie Geistesbildung in Italien zerschlug. Seiner Zeit müde, die ihn nicht mehr verstand, vollends einsam seit dem Tode der edlen Vittoria Colonna (1547), mit der ihn gleiche Ueberzeugung zu reinster Freundschaft verbunden, ist er zu Rom 1564 gestorben, zu Florenz in Santa Croce bestattet.

Seinem jüngeren Genossen wurde ein glücklicheres Los. Raffael de' Santi (Sanzio), eines Malers Sohn, 1484 im stillen, waldgrünen Urbino in Umbrien geboren, aufgewachsen in glücklichem Familienleben, wurde nach der Eltern Tode Schüler Perugino's, kam 1505 nach dem ewig bewegten Florenz und wurde 1508 nach dem stolzen Rom gerufen, dem er bis an das Ende seines kurzen Lebens angehörte. In diesem Leben aber gab es keinen Kampf, in dieser Seele keine Gegensäße, und so bildete sich Raffael zu einem wunderbar harmonischen Menschen, vor dessen Anblick jeder Streit verstummte, zu einer Natur voll Gesinnungsadel und Herzensgüte, aber auch voll rastlosen Strebens nach dem Höchsten.

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