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Steigerung der obrigkeitlichen Gewalt. Volkswirthschaft.

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erst mit dem Beginn des siebzehnten Jahrhunderts als Nährfrucht allgemeiner angebaut wurde. Für die Vervollkommnung des Obstbaues sorgte man besonders in Sachsen und Braunschweig; an Gemüse kannte man damals schon so ziemlich Alles, was jezt erzeugt wird. Sehr bedeutend war der Weinbau in Süd- und Westdeutschland; hier war sein Mittelpunkt Ulm, wo im sechzehnten Jahrhundert wohl 300 Weinwagen an einem Tage zur Stadt kamen. An Weinverfälschern fehlte es schon damals keineswegs, besonders im Süden, trop strenger Verbote, und daneben entwickelte sich die Kunst des Bierbrauens, über die schon 1585 ein Lehrbuch in Erfurt erschien. Die Viehzucht betrieb man besonders in Sachsen rationell, so daß selbst Kaiser Maximilian II. sich von der Kurfürstin Anna nähere Unterweisung darüber erbat.

Weniger förderlich, ja vielfach geradezu verderblich wirkte eine andere Liebhaberei fürstlicher Herrschaften, die Jagd, zu welcher der sehr bedeutende Wildstand ebenso Veranlassung gab, wie er andererseits ihr zu Gefallen in schädlicher Höhe erhalten wurde. Selbst Bären, Wölfe, Luchse und Biber waren noch häufig anzutreffen, und die Jagdbeute erscheint deshalb ganz ungeheuer, erlegte doch Johann Friedrich von Sachsen 208 Bären, 200 Luchse und 3583 Wölfe! Strenge, ja unmenschliche Strafen drohten dem Wildschüßen nicht nur, sondern auch dem Bauern, der einen Hirsch niederschoß, welcher sein Feld abfraß, oder einen Eber erlegte, wenn er den Acker zerwühlte. Ein Erzbischof von Salzburg ließ einen solchen Unglücklich, en in die Haut des getödteten Hirsches nähen und ihn von Hunden zerreißen (1537), ertappte Wilddiebe band man wol auf Hirsche zu entseßlichem Todesritt.

Städtische Gewerbe. Im Ganzen blühender Zustände erfreuten sich die Städte in ihrem Gewerbe und Handel. Jenes, noch durchaus an die Zunftschranken gebunden und gegen etwaigen Mitbewerb des platten Landes durch harte Verbote geschüßt (s. S. 82 f.), was Beides freilich das Aufkommen zahlreicher unzünftiger Arbeiter keineswegs verhinderte, entwickelte sich besonders auf dem Gebiete des Kunstgewerbes zu glänzender Blüte (f. S. 336 f.). Nicht minder bedeutend war der eng damit zusammenhängende Bergbau (vergl. S. 85). In Annaberg gewann man zwischen 1500 und 1600 im Ganzen über 5 Millionen Thaler, in Freiberg binnen 71 Jahren über 4 Millionen. Das böhmische Joachimsthal gewährte 1516-1560 über 4 Millionen Thaler reinen Ueberschuß, Budweis in 7 Jahren 23,000 Mark, das unerschöpfliche Schwaz bei Innsbruck trug 1526-1564 mehr als 20 Millionen Gulden ein und gab Ferdinand I. einen Jahresgewinn von 250,000 Gulden. Aber auch die Eisenwerke am Harz und in Westfalen waren in lebhaftem Betriebe.

Für den Handel erwies sich die größere Sicherheit ganz besonders vortheilhaft. Andere Fortschritte förderten noch mehr. Zwar die Straßen waren noch immer elend, und es war für Jeden gerathen, sie zu Pferde zurückzulegen. Schon um 1550 kamen aus Ungarn die „Kutschen“ nach Deutschland, und wenn z. B. in Braunschweig ihr Gebrauch als „verweichlichend“ ver= boten wurde (1558), so hinderte das doch Wenige. Für den kaufmännischen Betrieb wurden die Börsen, deren erste und bedeutendste in Hamburg im Jahre 1558 entstand, eine besondere Förderung, nicht minder die bessere Kenntniß der Verhältnisse und Ereignisse in weiter Ferne, wie sie die Anfänge des Zeitungswesens vermittelten. Längst schon wurden Beschreibungen besonders wichtig scheinender Vorkommnisse in Flugblättern von kleinem Oktavformat im Lande verbreitet, in Flugschriften (Broschüren) erörterten und verfochten die Parteien in Staat und Kirche ihren Standpunkt. Den Uebergang zu eigentlichen Zeitungen, also regelmäßig wieder erscheinenden Mittheilungen machten indeß erst die Kalender, die buchhändlerischen Meßkataloge und die sogenannten „Postreiter“, welche ihrem sonstigen Inhalt am Schlusse eine Uebersicht über die Ereignisse des Jahres zufügten. Der früheste Kalender dieser Art erschien erst kurz vor 1550, und 1564 der erste Meßkatalog zu Augsburg.

Oberdeutsche Städte. Auch die Lebhaftigkeit und der Umfang des deutschen Handels hatten keine Verminderung, sondern in mancher Beziehung eher eine Vermehrung erfahren. Die Handelsherren von Augsburg eroberten sich einen erheblichen Antheil am portugiesischindischen Verkehr (f. S. 86 f.), sie machten einen freilich unglücklichen Versuch zu einer Ansiedelung in Venezuela (f. S. 373), sie besaßen auch Plantagen auf der Kanarischen Insel

Palma, sie beherrschten mit den Genuesen zusammen den spanischen Geldmarkt (j. S. 602). Durch diese Handelseroberungen wurde Augsburg einer der ersten Bankpläße der Welt. Selbst der Schmalkaldische Krieg, welcher der Stadt 3 Millionen Gulden kostete, vermochte sie nicht auf die Dauer zu schädigen. Ebenso behauptete sich Nürnberg in alter Geltung, in Frankfurt kam die Messe empor. Noch war der Verkehr mit Venedig sehr beträchtlich (s. S. 388), in Frankreich bestätigten Franz L., Heinrich II. und Karl IX. die alten Freiheiten der oberdeutschen Reichsstädte, besonders auch für die große Messe von Lyon.

Die Hansa. Weniger günstig ist freilich das Bild, welches die Geschichte der Hansa darstellt. Sie erwies sich nicht nur unvermögend, ihrem Lande neue Bahnen zu eröffnen, ihm Antheil an den Entdeckungen und der Kolonisation jenseit des Weltmeeres zu sichern, sie verlor selbst ihre alten Stellungen im Laufe des sechzehnten Jahrhunderts fast vollständig. Wie dies in den Niederlanden, in England, in den nordischen Reichen geschah, ist schon im Einzelnen besprochen worden (f. S. 579 f., 590, 631 f.); es bleibt nur noch übrig, zu erörtern, inwiefern dies auf die Zustände des Bundes wirkte und wieder mit ihnen zusammenhing. Die große Zahl der Städte, welche noch in den Verzeichnissen von 1553 (62), 1554 (64), 1572 (64), 1603 (58) aufgeführt werden, will wenig besagen, denn die meisten leisteten nichts für die Bundeszwecke, und viele dachten gar nicht mehr daran, daß sie noch zur Hansa gerechnet würden. So dauerten die alten Formen fort ohne den alten Geist. Die Hansetage und Quartiertage wurden nicht seltener gehalten als ehedem, doch nur noch von Vertretern weniger Städte besucht, schon der großen Kosten wegen; gewöhnlich waren nur 10-20 Städte vertreten, sehr selten die großen Kaufhöfe im Auslande. Wie sonst schrieb man die Bundesbeiträge (Kontributionen) aus, doch in recht kläglichem Schacher feilschten die Gemeinden um Herabseßung ihrer Zahlungen. Hannover z. B. wollte 1585 nur 15 Reichsthaler geben, Hildesheim statt 30 nur 20 Reichsthaler. Im Jahre 1598 wollten Eimbeck und Hameln gar nichts zahlen, Magdeburg und Hildesheim nur einen einmaligen Beitrag. Unter solchen Umständen mußten die gutgemeinten Versuche, eine Bundeskasse zu begründen, natürlich fruchtlos bleiben (1584-1619). Die Zahl der wirklich beitragenden Mitglieder sank allmählich auf vierzehn Städte herab (1604), und auch diese waren feineswegs einig, suchten eigensüchtig Sondervortheile und ließen in entscheidenden Fällen ihren Vorort Lübeck sicherlich im Stich, so vor Allem in dem Seekriege, den die Hansa 1563-1570 ausgefochten hat (f. S. 631 f.). Da gehörte denn das Amt des Lübecker Syndikus, dem die Oberleitung der hanseatischen Geschäfte, namentlich der Hansatage, oblag, zu den undankbarsten und opfervollsten, und die Männer, die es in dieser Zeit des Sinkens versahen, verdienen deshalb besonders ehrende Anerkennung: Dr. Sundermann aus Köln (1553-1591), der unermüdlich und hingebend auf zahllosen Städtetagen und Gesandtschaften thätig war, den Londoner Stahlhof wieder herstellte und den neuen Hof in Antwerpen gründete, um schließlich, nachdem er einen Theil seines Vermögens aufgeopfert hatte, mit den Städten um seinen Gehalt sich streiten zu müssen, und sein Nachfolger Dr. Johann Domann aus Osnabrück (1605-1611), nach dessen Abgange das Amt nur noch provisorisch verwaltet wurde.

Doch so oft auch Deutschland über den Verfall der Hansa zu klagen hatte, Niemand hätte ihn vermeiden können. Ihre Größe beruhte auf der wirthschaftlichen Unselbständigkeit der fremden Nationen wie auf der mittelalterlichen Schwäche der kaiserlichen und fürstlichen Gewalt. Sobald jene aufhörte, sobald die Nordländer im eigenen Hause Herren wurden, zeigten sich die alten Privilegien der Hansa unhaltbar, und wenn sie dieselben festzuhalten versuchte und den freien Mitbewerb nicht anerkennen wollte, so war das doch eben ein Beweis von Kurzsichtigkeit, welche die neue Zeit nicht begriff, und zugleich von Schwäche, die sich den Fremden nicht mehr gewachsen fühlte. Mit der Bildung großer Nationalstaaten, mit dem Aufsteigen der fürstlichen Gewalt war die Zeit, wo einzelne Städte die Stellung einer Großmacht einnehmen konnten, unwiederbringlich vorüber. Nur eine nationale Staatsgewalt hätte die Aufgaben, die einem losen Bunde eigensinniger, selbstsüchtiger und meist beschränkter Gemeinden aus den Händen glitt, in neuer Form zu übernehmen und zu lösen vermocht, aber diese war nicht vorhanden, und die Stelle, welche die Hansa einst ruhmvoll behauptet hatte, blieb leer.

Handel und Wohlstand der deutschen Städte.

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Mit dreihundertjähriger Ohnmacht zur See, mit dem Ausschluß vom Welthandel und den Vortheilen der Kolonisation hat Deutschland das zu bezahlen gehabt.

Leben in den Städten. Aeußerlich freilich machte sich das geheime Leiden, welches am Marke des deutschen Wohlstandes zehrte, so rasch nicht geltend, namentlich nicht in den Binnenstädten, die vom Verfall der Hansa nicht unmittelbar berührt wurden. Fällt doch eben in jene Zeit die glänzendste Entwicklung der Baukunst und des Kunstgewerbes, wie sie nur bei einem wohlhabenden Volke zu gedeihen vermögen. Der Italiener Guiccardini nennt Augsburg die reichste und mächtigste deutsche Stadt (1560), der Geograph Sebastian Münster weiß zu rühmen, wie ein Jeder in Schmuck und Zierrath seines Hauses mit dem Andern wetteifere.

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Der Lustgarten der reichen Fugger übertraf den königlichen Park von Blois, und noch 1567 schaffte der Rath kostbares Silbergeschirr an, um vornehme Gäste würdig empfangen zu können. Auch sonst tritt das Streben nach prächtiger reichlicher Gestaltung des häuslichen Lebens überall hervor in ebenso gediegenem als schönem Hausgeräth, in üppigen Gelagen und unterhaltenden Vergnügungen, zu denen Gauklerbanden, Thierheßen und Ringelrennen eben sowol Gelegenheit boten wie die dramatischen Aufführungen der Meistersinger oder der Lateinschüler. Dabei wurde die Pflege der alten Wehrhaftigkeit nicht vergessen. Wall und Graben mit Bastionen und Vorwerken ersezten die alten Mauern, so an der Citadelle von Nürnberg nach Dürer's Entwurf, eine mächtige Artillerie - in Nürnberg 300 Geschüße wurde zu ihrer Vertheidigung bereit gehalten. Die Waffentüchtigkeit der Bürger, bei dem friedlicheren Zustande des Landes selten mehr im Kriege erforderlich, erhielt sich doch durch die zahlreichen Schüßenfeste, zu welchen nach bedeutenderen Städten oft aus weiter Ferne Hunderte von Schüßen zusammenströmten. So waren 1573 in Zwickau 39 Orte vertreten, 1576 in Straßburg 10, 1586 in Regensburg 35, in Halle 1601 sogar 50 Städte. Man schoß mit Armbrust und Feuerrohr nach dem Vogel und der Scheibe, nicht selten um hohe Preise, Becher, Ketten und Geldprämien.

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Unter großem Zulauf an Zuschauern und Gästen, die der Rath freigebig bewirthete, zwischen ` Kletterbäumen und Kegelbahnen, Markt- und Würfelbuden (hier spielte schon seit dem fünfzehnten Jahrhundert der „Glückstopf", eine Art Lotto, die Hauptrolle), belebt von den Wizen und Spöttereien der „Pritschmeister" und Narren, währte ein solches Fest oft mehrere Wochen hindurch, Alles in jener harmlosen Fröhlichkeit, welche ein urkräftiges Volk im Gefühle seiner Tüchtigkeit empfindet. In seinem Glückhaft Schiff“ hat Johann Fischart durch Schilderung jener Fahrt der Züricher, welche zum Erweis alter Bundesfreundschaft und unverminderter Manneskraft, wie schon im Jahre 1456, vom Morgengrauen bis Sonnenuntergang durch Limmat, Aar und Rhein mit dem Topfe heißen Hirsebreies zum Straßburger Freischießen vom Jahre 1576 fuhren, ein treffliches poetisches Denkmal gesezt.

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Fürstliches und adeliges Leben. Daß die fürstlichen Höfe und der ihnen am nächsten stehende Adel die reicheren Einnahmen, die ihnen zuflossen, auch zu reichlicherem, zum Theil auch edlerem Lebensgenusse verwandten, versteht sich von selbst. Der Adel freilich konnte ge= wöhnlich nur dann daran Theil nehmen, wenn er, wie häufig geschah, Hofdienste nahm, denn

seine eigenen Einkünfte waren gewöhnlich knapp, das Leben auf den Burgen meist arm und dürftig. Denn wenn man den überlasteten Bauern auch verstärkte Leistungen abzwingen konnte, so hinderten doch die schlechten Wege gewöhnlich die Verwerthung. An bessere Bewirthschaftung dachten nur Einzelne, wie z. B. Sebastian Schertlin von Burtenbach (S. 244, 293), und diese standen dann an Aufwand und Luxus hinter den städtischen Patriziern nicht zurück. Die Höfe wurden belebt durch Maskeraden in Nachahmung der italienischen Schäferspiele, Preisschießen, Ringelrennen, diese oft in mythologisch-allegorischem Aufzuge. Künstlerische und wissenschaftliche Interessen fanden hier und da verständnißvolle Pflege, die Bildung war unter dem Einflusse des Humanismus und des kirchlichen Interesses eine bessere, tiefergreifende, wenngleich einseitig theologische; bei vielen Fürsten ist ein gesteigertes Pflichtgefühl und berechnende Sorge für das Wohl des Landes zu beobachten. Gewissenloser Verschwendung und sittlicher Verderbniß unter der Decke höfischen Glanzes, wie sie bei den romanischen Höfen im Schwange gingen, begegnet man selten, vielmehr bewahrte das fürstliche Leben eine gewisse Einfachheit und Schlichtheit. Doch auch dunkle Schatten fehlen nicht. Bedenklicher als die übermäßige Vorliebe für die Jagden, besonders die rohen Hezjagden, die Adel und Fürsten gleichmäßig theilten, war die wahrhaft ungeheuerliche Ausbildung eines altgermanischen Lasters, der Trunksucht, denen selbst tüchtigere Männer unterlagen. Gestern abermalen voll gewest, das Trinken auf ein Vierteljahr verredt", also schrieb einmal Kurfürst Friedrich III. von der Pfalz, sonst ein trefflicher Herr, in sein Tagebuch, und Kurfürst Christian II. von Sachsen meinte Kaiser Rudolf II. nach längerem Besuche in Prag nicht besser danken zu können, als durch das Geständniß: „Ew. Majestät haben mich also wohl gehalten, daß ich keine Stunde am Tage nüchtern gewest." Und dies waren nicht etwa Ausnahmen, sondern die Regel. Das Trinken war geradezu ein nationales Leiden geworden, es verdarb die beste Manneskraft, es führte selbst fürstliche Herren in rettungslose Verschuldung, wie Herzog Heinrich XI. von Liegniß, der sich auf würdelosen Bettelfahrten im Reiche mit seinem getreuen Hofmarschall Hans von Schweinichen abenteuernd umhertrieb. Fast noch schlimmer jedoch, für

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Johann Fischart.

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Fürstliches und adeliges Leben.

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die Zukunft der Nation geradezu ein Verhängniß, ist die klägliche Enge des Gesichtskreises, in dem die überwiegende Zahl der fürstlichen Herren und ihrer Beamten gebannt sind, die unvermeidliche Folge der deutschen Kleinstaaterei, die eine große Nation in Feßen zerriß.

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Ueber ihr kleines Gebiet, über die Interessen ihres Hauses, über das möglichst engherzig gefaßte kirchliche Bekenntniß reicht weder die Theilnahme, noch das Verständniß dieser Fürsten hinaus, Eigensinn und Rechthaberei, echt deutsche Charakterzüge, treten obendrein hinzu. Einen großen Gedanken. zu fassen und festzuhalten, die ungeheuren Kämpfe, die ihre Zeit erschütterten, zu würdigen, zu ihnen Stellung zu nehmen, sind sie gänzlich außer Stande. Mit stumpfer

Die Hirsebreifahrt der Büricher nach Straßburg. Zeichnung von Theophil Schuler.

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