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trat nun um so stärker hervor, als es eine höchste ausführende Gewalt, eine wirkliche Regierung des Bundes nicht gab. Der Staatsrath, der unter Leicester eingerichtet worden, hätte eine solche werden können, wenn ihn nicht die Eifersucht der Provinzen immer mehr bei Seite geschoben und schließlich auf eine gewisse Mitwirkung bei Verwaltung der Bundesfinanzen und des Kriegswesens beschränkt hätte. Die wirkliche Leitung der einzelnen Geschäfte fiel mehr und mehr den stehenden Ausschüssen der Generalstaaten anheim. Die ganze Verfassung erwies sich in schwierigen Lagen als so unbrauchbar, daß sie beständig verlegt werden mußte. Die allerwichtigsten Beschlüsse sind nicht einstimmig gefaßt, troßdem aber ausgeführt worden. Dies war freilich nur möglich, weil die ungeheure Schwerfälligkeit der Union einigermaßen ausgeglichen wurde durch einige zusammenhaltende Mächte, die stärker waren als die Verfassung: das Uebergewicht Hollands, das Amt des Rathspensionärs und die Stellung des Hauses Oranien. Holland und der Rathspensionär. Holland übertraf alle anderen Provinzen zusammengenommen so sehr an Bevölkerungszahl, Reichthum und politischer Bildung, daß die Beschlüsse seiner Staaten in Bundessachen fast immer die Abstimmung der Generalstaaten beherrschten. Ihren Einfluß verstärkte noch das Amt des holländischen Rathspensionärs, welcher, ursprünglich Vertreter der Stände gegenüber der gräflichen Regierung (Syndicus, Advokat), später die Aufgabe übernahm, die Verhandlungen der Provinzialstaaten niederzuschreiben, ihre Beschlüsse zu formuliren und ihre Abstimmung zu leiten. Er wohnte auch den Sizungen der Generalstaaten bei und führte den auswärtigen Briefwechsel der Union. Ein solches Amt mußte an sich schon seinem Inhaber eine Geschäftskenntniß verleihen, welche die der häufig wechselnden Staatendeputirten beträchtlich übertraf, und dadurch auch seinen Einfluß weit über seine eigentlichen Grenzen hinaus steigern; bedeutende Männer vollends gestalteten es that= sächlich zu einem Bundeskanzleramt, und so wurde der Rathspensionär zumal von den auswärtigen Gesandten als der leitende Minister der Union angesehen und behandelt.

Das Haus Oranien. Entstand schon dadurch eine Einheitlichkeit der Verwaltung, so vertrat für das Bewußtsein des Volkes das Haus Oranien die Einheit der Niederlande in einer Stellung, zu welcher sich in der Geschichte kaum ein Beispiel findet. Amtlich bekleideten die Oranier der älteren Linie, die Nachkommen Wilhelm's des Schweigers, so gut wie erblich den Posten des Statthalters in Holland, Seeland, Utrecht, Geldern und Over-Yssel, die der jüngeren, welche auf Johann von Nassau zurückging, meist in Groningen und Friesland. Der Statthalter war freilich zunächst nichts weiter als der höchste Beamte der Provinz, aber er ernannte als solcher zum Theil die Rathmannen in den Städten und gewann somit auch auf die Entschlüsse der Staaten einen mittelbaren Einfluß; er war ferner auch Generalkapitän, d. h. Oberbefehlshaber des Heeres, und da der ältere Oranier dies in fünf Provinzen zugleich war, so wuchs er über die Stellung des Beamten einer Einzelprovinz weit hinaus und stand that sächlich an der Spiße der gesammten Bundesarmee. Die Truppen freilich wurden von den einzelnen Provinzen geworben und bezahlt, sie schwuren-ihren Eid den Staaten derselben und den Generalstaaten, und eifersüchtig wachten diese Herren über die Kriegführung durch ihre Felddeputirten, welche die Armee begleiteten und ohne welche der Feldherr nichts unternehmen durfte. . Doch die wenig unterbrochene Fortdauer des Krieges fesselte das Heer fest an dies glorreiche Geschlecht, von welchem ein Jahrhundert hindurch fast Jeder ein sieghafter Held gewesen ist. Was fümmerte diese Söldner die Union! Der Feldherr ersetzte ihnen das Vaterland. Um wie vielmehr war dies nun der Fall bei der Masse des niederländischen Volkes! Soweit ihre Macht reichte, schüßten die Oranier die kleinen Leute vor der Willkür des hochmüthigen Stadtadels, wie denn schon Wilhelm es ausgesprochen hatte: „Ich werde mein ganzes Leben lang volksfreundlich sein“. Das vergalten ihnen Bürger und Bauern mit unerschütterlicher Anhänglichkeit. Will ja doch auch das Volk stets eine große Persönlichkeit haben, an der es sich erfreuen, in deren Thaten und Ruhm es sich selber spiegeln kann. So waren die Massen überall gut oranisch, monarchisch und um so schärfer bildete sich der Gegensatz heraus zwischen den Oraniern, die das Gesammtinteresse der Union vertraten, und der durch und durch partikularistischen, aristokratischen „Staatenpartei". Ihr Kampf hat die innere Geschichte der Niederlande bestimmt.

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Spaniens wirthschaftlicher Verfall und künstlerische Höhe.

Keinen schärferen Gegensatz kann es geben, als den zwischen England und Niederland auf der einen Seite, die aus bescheidener Stellung unaufhaltsam zu Großmächten des Handels aufstiegen, und Spanien auf der anderen, das ebenso unaufhaltsam von seiner stolzen Höhe herabsank. Zuerst ergreift die Lähmung die Finanzen des Staates, dann aber den Wohlstand des gesammten Volkes, bis das unglückliche Land verödet und verarmt nur noch von den Erinnerungen ehemaliger Größe zehrt und durch krampfhafte Anstrengungen, sie wieder zu gewinnen, seine leßte Kraft erschöpft. Und doch entfaltet sich zu derselben Zeit die glänzende Blüte geistiger, vor Allem künstlerischer Kultur, und Spanien entwickelt, allein neben England, die höchste Gattung der Dichtkunst, das Drama, zu bewundernswerther Vollendung.

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Die Spanier pflegen wohl und zwar mit Recht diesen Aufschwung der hohen Begabung der Nation zuzuschreiben, den kläglichen Verfall jedoch einseitig dem fremden" Herrscherhause der Habsburger auf die Rechnung zu seßen. Thatsächlich liegen die Keime zu Beidem im Volke selbst, und wenn eine Regierung auch die verderblichen gepflegt hat, so ist das bereits unter der gepriesenen nationale Herrschaft Ferdinand's und Isabella's geschehen.

Finanzwirthschaft unter Barl V. Schon Karl V. fand eine keineswegs befriedigende Finanzlage vor. Wohl hatte Isabella viele entfremdete Krongüter zurückerworben (s. S. 8), aber unter Philipp dem Schönen war wieder vieles verschleudert worden, und nicht besser sah es in den Nebenlanden Spaniens aus. In Mailand z. B. hatten die rasch wechselnden Landesherrschaften um die Wette die Domänen verkauft, in den Niederlanden gab es solche überhaupt kaum mehr. Versiegte nun diese alte und ursprüngliche Einnahmequelle, dann mußten die Abgaben, indirekte wie direkte, immer mehr entwickelt werden. Dadurch stieg wiederum die Bedeutung der Stände, die Karl V. auf der andern Seite niedergebeugt hatte.

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In Kastilien überwogen die Grenzzölle, wie sie nicht nur in den Häfen, sondern auch an den Binnengrenzen gegenüber Portugal und Aragonien erhoben wurden, und andere indirekte Abgaben, vor Allem die drückende Alcavala, der berufene zehnte Pfennig" (j. S. 470), (10 Prozent vom Kaufpreise zu Lasten des Verkäufers), bei Weitem die Steuern, wie sie die Cortes bewilligten, dieselben betrugen z. B. 1550: 920,000 Dukaten gegenüber 267,000 Dufaten Steuern. Dazu gesellten sich dann geistliche Gefälle, nämlich der Erlös eines Theiles der Gütereinziehungen, welche das Inquisitionsgericht verhängte, und der Ablässe (Cruzada, d. h. Kreuzzugssteuer, weil sie ursprünglich nur für den heiligen Krieg" ausgeschrieben wurden). Die amerikanischen Einkünfte waren unter Karl V. keineswegs so kolossal, wie man wol zunächst zu glauben geneigt ist, denn Peru konnte ja seine Schäße erst seit 1534 über Spanien entleeren. Um 1535 wechselten diese amerikanischen Zuschüsse zwischen 50,000 und 150,000 Dukaten jährlich; das nächste Jahr freilich brachte die peruanische Beute im Ganzen 21⁄2 Millionen, aber sonst lieferte bis 1550 Peru doch nicht mehr als etwa 400,000 Dukaten im Jahre, zuweilen weniger, so daß dann wol der Metallzufluß aus dem gesammten spanischen Amerika noch keine halbe Million erreichte. Alles im Allem gerechnet, soll er in den 60 Jahren von 1492-1552 etwa 60 Millionen Dukaten betragen haben, also durchschnittlich im Jahre nur 1 Million. Jedenfalls konnten alle diese Einnahmen die Kosten der europäischen Politik Karl's V., für welche ihm Deutschland ja so gut wie nichts leistete, keineswegs decken. Schon im Jahre 1526 ermöglichte nur die reiche Mitgift seiner portugiesischen Gemahlin dem Kaiser die Eröffnung des zweiten italienischen Krieges; im nächsten Jahre schon war er sogar außer Stande, seine Söldner zu bezahlen (f. S. 221 f.). Da mußten denn die ständischen Bewilligungen (servicios) direkter Steuern aushelsen. Da auch diese Summen nicht reichten, so griff schon Karl V. zu Anleihen, die ja niemals etwas Anderes sein können, als vorweggenommene Einnahmen, diese also schwächen müssen, und betrat damit den Weg, der auf schiefer Ebene unaufhaltsam in den Abgrund führte. Denn da bei der strengen Geheimhaltung kein Privatmann jener Zeit eine Uebersicht über den Haushalt des Staates hatte, also auch keiner die Zahlungsfähigkeit desselben zu beurtheilen vermochte, so forderten die Kapitalisten zu ihrer Sicherheit enorme Zinsen, niemals unter 7 Prozent, häufig bis 30 Prozent und außerdem Verpfändung der regelmäßigen Einnahmen, namentlich der Alcavala oder einer Silberflotte. Jede solche Anleihe hob natürlich die Verlegenheit nur augenblicklich und steigerte sie für die Zukunft. So ergab sich 1550 ein jammervolles Resultat. Von den 920,000 Dukaten, die Kastilien an Zöllen und dergleichen lieferte, waren 800,000 verpfändet, von den neapolitanisch-sicilischen 800,000 Dukaten 700,000, die mailändischen 400,000 Dukaten ganz. Von den 2,120,000 Dukaten also, die diese Lande der Krone bringen sollten, bezog sie thatsächlich nur noch 220,000. Sieben Jahre danach war auch davon nichts mehr übrig, vielmehr noch 18,000 Dukaten Defizit!

Finanzwirthschaft unter Philipp II. So traurig war die Erbschaft, welche Karl V. auf die Schultern Philipp's II. legte! Nur verzweifelte Mittel schienen in dieser Lage helfen zu können. An einen Staatsbankerott, an Münzfälschung und dergleichen hat man damals gedacht. Denn der einzige Weg, der wirklich aus diesem Wirrsal herausführen konnte, hieß Verzicht auf die eitlen Weltherrschaftspläne der Habsburger, und wie hätte Philipp II. ihn betreten können! Im Gegentheil, unter ihm ging der Staat völlig auf in der auswärtigen Politik. Nicht nur die unaufhörlichen Kriege verschlangen ungeheure Summen, Spanien unterhielt auch fast in allen Ländern Europa's um schweres Geld zahllose Agenten und Parteigänger. Noch am Anfange des siebenzehnten Jahrhunderts gab es nach der Versicherung Paolo Sarpi's keine italienische Stadt, wo Spanien nicht Anhänger befoldet hätte; nicht anders war es in Deutschland, der Schweiz, den Niederlanden. Unter solchen Umständen mußten die Lasten, welche vornehmlich dem Hauptlande, Kastilien, auferlegt wurden, sich unausgesezt steigern, denn die amerikanischen Einkünfte überstiegen im Jahre 1593 z. B. nicht 2 Mill. Scudi (zu 12 Realen). Man griff also zu den verderblichsten und verwerflichsten Mitteln. Von 1555-1560 behielt die Regierung die Gelder zurück, die auf Rechnung von Privatleuten mit den Silberflotten kamen und gab dafür Zinsenanweisungen auf königliche Renten aus.

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Abfahrt einer spanischen Silberflotte. Nach einem zeitgenössischen Holzschnitte.

Fortwährend wurden königliche Städte und Flecken mit ihren Einkünften an Grundherren und Kaufleute, Komthureien der drei Ritterorden, Adelsbriefe und Aemter veräußert. Dann erhöhte man besonders seit dem Abfalle der Niederlande die Ausfuhrzölle auf die wichtigsten Landeserzeugnisse, wie Wolle, Seide, Wein, Del u. s. f. um das Doppelte und Dreifache, steigerte den Salzpreis u. a., erreichte aber mit Allem nur ein rasches Anwachsen der Staatsschuld. Hatte diese 1564 schon 23 Millionen Dukaten betragen, so belief sie sich 10 Jahre später auf 35 Millionen, und 1575 schrieb Philipp II., in dessen Reichen die Sonne nicht unterging, an seinen Schatzmeister: „er wisse am Abend nicht, wovon er am Morgen leben werde!"

Es blieb also nichts, als der verhüllte Staatsbankerott, der mit einer Herabseßung der Zinsen für die Staatsschuld in jenem Jahre wirklich eintrat. Doch hielt er das Verderben keineswegs auf. Eine Untersuchung des Staatshaushalts im Jahre 1595 ergab vielmehr folgendes erschreckende Resultat: Alle Einkünfte von Pfründen der Ritterorden waren auf zehn Jahre an eine deutsche Handelsgesellschaft verpfändet; alles Gold, das die lezte Flotte aus Amerika gebracht hatte, und die nächsten drei bringen sollten, war durch Anleihen bereits verbraucht, überhaupt alle Einnahmen des laufenden und des folgenden Jahres, selbst ein Theil der für das Jahr 1597 zu erwartenden vorweggenommen.

Also folgte im Jahre 1596 der zweite Staatsbankerott. Auch dieser aber half nur vorübergehend und im Jahre seines Todes, 1598, war der Herrscher beider Indien so weit herabgekommen, daß er durch Geistliche von Thür zu Thür um ein „Geschenk“, d. h. ein Almosen für die Weiterführung seiner Kriege bitten ließ! Buchstäblich als ein Bettler ist König Philipp II. in den Prachträumen des Escorial gestorben.

Lage unter Philipp III. Hatte er den Staat durch seine Kriege ins Verderben gebracht, so that sein schwacher Sohn Philipp III. unter der Leitung des allmächtigen Günstlings, des Herzogs von Lerma, das noch Uebrige durch seinen verschwenderischen Hofhalt. Lerma selbst bereicherte sich derart, daß er allein für geistliche Stiftungen über anderthalb Millionen Dukaten aufwenden konnte. Die Gehalte der Höflinge stiegen um ein Drittel; die Feste, das hohe Spiel, die Reisen, die herkömmlichen Gnadenerweisungen an die Granden verschlangen riesige Summen, die Vermählung des Königs z. B. 950,000 Dukaten. Die unsinnigsten Maßregeln sollten sie schaffen. Im Jahre 1603 steigerte man den Nominalwerth des Kupfers auf das Doppelte des wirklichen und prägte für mehr als 6 Millionen Dukaten solcher unterwerthigen Münzen aus. Gegenüber den Genuesen half man sich abermals mit einer Zinsenherabsetzung; man steigerte die Handelsauflagen bis zu 30 Prozent des Werthes, die Cortes bewilligten neue Servicios. Und doch waren alle Einkünfte verpfändet, die Staatsschuld gewachsen bis auf 100 Millionen.

Die Austreibung der Mauren. Man glaubt Wahnsinnige vor sich zu haben, wenn man nun sieht, wie troß der wahrhaft trostlosen Lage dieser an sich harmlose und gutmüthige König unter dem Einflusse bigotter Geistlicher, namentlich des Juan de Ribeira, sich dazu verleiten ließ, dem Wohlstande Spaniens die lezte Wunde zu schlagen durch die Vertreibung der Mauren oder Moriskos. Dann erst werde, so sagten diese fanatischen Narren, das Land von Neuem aufblühen, wenn es gereinigt sei von den lezten Resten der Irrgläubigen. Die nicht unbegründete Furcht, die mißhandelten Mauren möchten einmal mit auswärtigen Feinden sich verbünden mit Heinrich IV. hatten sie in der That einmal im Jahre 1602 über Unterstüßung verhandelt - und aufs Neue eine bewaffnete Erhebung versuchen, kam noch hinzu. So verfügte ein Edikt des Königs „aus angeborener Milde" statt der „an sich gerechtfertigten Todesstrafe" die Ausweisung aller Mauren (September 1609). Von je hundert Familien sollten nur sechs zurückbleiben, um den Christen in den von ihnen bisher betriebenen Gewerben als Lehrer zu dienen, überdies die Kinder unter vier Jahren. Ihren Grundbesiß durften die Ausgewiesenen verkaufen, aber nicht an Fremde, ihre bewegliche Habe nur in Waaren, nicht in Geld und Kostbarkeiten mit sich führen! Umsonst flehten die Moriskos, umsonst verwandten sich die Grundherren im südlichen Spanien zu Gunsten dieser fleißigsten und werthvollsten ihrer Unterthanen, die Verfügung wurde wörtlich vollstreckt. Da warfen die

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