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Neuzeit sind sie zahlreich aufgenommen worden, was von dem entschieden kirchlichen Standpunkte aus nicht gerühmt wird. So hat das Schlesische Gesangbuch nicht weniger als 60 solcher Lieder, das Gesangbuch zum gottesdienstlichen Gebrauch in den K. preußischen Landen von 1780 deren 57, das Würtembergische Gesangbuch von 1791 deren 59, das Hamburger Gesangbuch vom Jahre 1842 deren 32 Lieder.

Wir haben in dem Vorstehenden die Kritik von Theologen außerhalb unseres Landes besonders berücksichtigt, aber auch bei uns ist aus dem positiv kirchlichen Standpunkt eine gleichartige Kritik wiederholt geäußert worden, und eine solche hat nicht bloß auf die einzelnen Lieder, sondern auch auf die Sammlung, deren Plan und Redaction, mit strengem Urtheile sich bezogen. In solcher Beurtheilung hat man dem Cramer'schen Gesangbuche vorgeworfen, und dies nicht mit Unrecht, es sei darin viel Fabrikarbeit. Offenbar sei zuerst das Schema entworfen mit seinen sämmtlichen Rubriken. Diese mußten nun ausgefüllt werden, aber für viele derselben fanden sich keine Lieder, da mußten also solche gemacht werden. Die besonderen Pflichten und die besonderen Lebensverhältnisse sollten berücksichtigt werden. Unter den Pflichten durften z. B. die Aufrichtigkeit, Wahrhaftigkeit, Verschwiegenheit und Treue nicht fehlen. Cramer machte für diese Rubrik den Gesang Nr. 777: „Aufrichtig, redlich, offen, frei, Ist stets ein Christ, der Wahrheit treu, Die er im Reden nie verlegt, Und über Alles liebt und schäßt.“ Das sind, gleich wie in vielen andern Liedern ähnlicher Art, gereimte Moralvorschriften. Für die Bewohner der Marschländer in den Herzogthümern sollte ein Gesang da sein. Dieser mußte also gemacht werden, aber der von Cramer ist ganz verfehlt, wenn er die Bewohner der Marsch singen läßt: „Du schenkest uns zum frohen leben, Gebirg und thal und land und meer." (5) In dem Herbstlied Nr. 835 heißt es: „Auf traubenvollen hügeln schallt Des winzers lob, und wiederhallt Von berg auf berg; denn most und wein Giebt uns der Herr, uns zu erfreun!" Der Gesang 124 ist freilich dem 104. Psalm nachgebildet; aber ganz unpassend ist es doch, wenn ein Gesang, der ein Ausdruck des religiösen Gefühls sein soll, singen läßt, wie es

(5) Diese und einige andere Stellen wurden bei der Stereotypirung i. I. 1828 etwas abgeändert.

dort im 9. Verse heißt: „Die gemse liebt der felsen spißen, Die jähen berg'; in ihren rigen Verbergen die kaninchen sich.“ Jedoch Fabrikarbeit kann nicht anders ausfallen. Nimmt man dagegen ein Cramersches Lied wie 601:,,Danket Gott, erhebt ihn! singet Gott, unserm Schöpfer", oder andere Lieder, die wirklich aus religiöser Begeisterung entsprungen sind, so fühlt sich der Unterschied sehr stark. Und läugnen läßt sich ferner nicht, daß die an älteren Liedern vorgenommenen Veränderungen oft unnöthig, ja in der That unpassend sind. Auch ist nicht in Abrede zu stellen, daß manches schöne alte Lied, welches um einzelner unpassender oder veralteter Ausdrücke willen verworfen worden, billig hätte bleiben und den Platz finden sollen, den ungenießbare und unsingbare Lieder eingenommen haben.

Unser Gesangbuch kam im Jahre 1780 heraus, (6) aber gemäß einer Resolution vom 1. Januar 1781 ward um Ostern (den 15. April 1781) mit der Einführung desselben der Anfang gemacht. Diese erfolgte jedoch nicht ohne offen hervortretendes Widerstreben in manchen Gemeinden. Das nächstvorhergehende Gesangbuch bei allen Kirchen im Königlichen Landestheile war am 1. Januar 1753 eingeführt worden auf Befehl Friederichs V. und war das erste allgemeine Gesangbuch im Königlichen Antheil der Herzogthümer, während in dem Herzoglich Gottorfischen Antheil schon 1712 und 1727 allgemeine Gesangbücher autorisirt waren. Vorher hatte man sich bloßer Privatsammlungen bedient. (7) Ein Königliches Rescript vom 16. Juli 1801 verfügte, daß das Kittel'sche Choralbuch zum Schleswig-Holsteinischen Gesangbuch bei allen Kirchen angeschafft werden sollte. Zur Förderung eines verbesserten Kirchengesanges machte eine Resolution vom 27. August 1831 (Kanzleischreiben vom 13. September) es den Kirchenvisitatoren zur Pflicht, sich die Einführung des Apel'schen (8) Melodien- und Choralbuches in den Schulen und Kirchen möglichst angelegen sein zu lassen, und der König ließ 100 Exemplare dieses Choralbuches ankaufen, die an unvermögende Kirchspiele vertheilt werden sollten.

(6) N. Staatsb. Mag. I, S. 938.

(7) Ueber die in dem dänisch redenden Theile des Herzogthums Schleswig gebräuchlichen dänischen Gesangbücher ist zu vergleichen: Staatsb. Mag. IV. S. 699. Abhandlungen aus den Anzeigen III, S. 166 ff.

(8) Man vergl. über Apel den Aufsatz im Kieler Correspondenzblatte.

Michelsen, Kirchengeschichte Schleswig-Holsteins. IV.

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Noch stärker war die Bewegung in dem sogenannten Agendenstreite während des nächstfolgenden Jahrzehnts, bei welchem auch der Unterschied und Gegensatz zwischen den Neologen und den Altgläubigen noch schärfer und bestimmter hervortrat. Die nächste Absicht des obersten Kirchenregiments ging dahin, die große Verschiedenheit der liturgischen Gebräuche in den einzelnen Gemeinden aufzuheben und eine größere Gleichförmigkeit in der Liturgie unserer Landeskirche herzustellen. Bei der Reformation hatte man sich anfänglich an die Wittenberger Liturgie gehalten, später war dieselbe aber dem Herkommen in den einzelnen Gemeinden unterworfen, und dadurch eine große Mannigfaltigkeit in den liturgischen Formen herbeigeführt worden. So lange die Kirchensprache plattdeutsch war, richtete man sich hauptsächlich zuletzt nach dem in Hamburg 1635 erschienenen,,Kercken Handbökeschen“ von Paul Walther, Pastor zu St. Marien in Flensburg, vorher zu Hemmingstedt in Dithmarschen, welches auch die gebräuchlichsten Kirchengesänge enthielt. (9) Darauf folgte das hochdeutsche Kirchenbuch von dem ge= lehrten Adam Olearius im Jahre 1665, welches sehr großen Beifall fand und fast im Lande allgemein gebraucht ward, obgleich dasselbe nur eine Privatarbeit und nicht unter Landesherrlicher Autorität herausgegeben war. Das Glücksburgische Ländchen hatte ein eigenes,,Kirchen- und Altarbuch", gedruckt zu Flensburg 1716. Das Plönische Gebiet hatte von dem Herzog Friederich Carl 1753 ein eigenes Ritual erhalten, welches die üblich gewordenen Gebräuche beibehielt und sehr zweckmäßig gefunden ward. Darauf erhielt der Ober- Consistorialrath und Propst W. A. Schwollmann, Pastor zu Friedrichsberg (geb. den 26. März 1734, gest. den 21. April 1800), vom Könige den Auftrag, den Entwurf einer neuen Liturgie abzufassen. Derselbe gab zu Flensburg 1793 eine Abhandlung heraus über die Grundsäße, nach welchen die für die Herzogthümer Schleswig und Holstein bestimmte Liturgie zu verfassen sei, und über diese Grundsäße schrieb Professor H. Müller in Kiel Bemerkungen, womit der Agendenstreit ausbrach. (10) Es erschienen jeßt eigene Schriften zur Belehrung und Beruhigung für die Bürger und

(9) Abhandl. aus den Anz. V. S. 357 ff. Bolten, Dithmars. Gesch. IV, S. 425 ff.

(10) Schlesw.-Holft. Provinzial-Berichte v. J. 1793 u. 1794.

Landleute über die bevorstehende Einführung der neuen Kirchenagende. Schwollmann sandte seinen Entwurf an die SchleswigHolsteinische Kanzlei zu Kopenhagen, wo man sie von dem Professor Moldenhawer und Dr. Münter durchsehen ließ, und darauf wurde dieser Entwurf einer neuen Liturgie zur definitiven Abfassung dem Generalsuperintendenten von Schleswig Dr. Adler übertragen, dem aber aufgegeben war, wegen seiner Arbeit Rücksprache zu nehmen mit dem Generalsuperintendenten von Holstein Dr. Callisen in Rendsburg. Als die neue Agende mit der Königlichen Bestätigung an das Licht trat, machte sie wegen der dadurch herbeigeführten vielen und großen Veränderungen ein ungemeines Aufsehen. Das über sie gefällte Urtheil unter den Theologen wie im Publikum war je nach dem theologischen Standpunkte ein ganz verschiedenes und ist es in der That noch jezt. Der Graf Stolberg behauptete, es sei der Staatsminister von Bernstorf mit der Agende überrascht worden durch die politisch revolutionäre und irreligiöse Propaganda, während dagegen Voß im Sophronizon von 1819 es gerühmt hat, daß man bei der Abfassung derselben sogar die Anordnungen der Theophilanthropen berücksichtigt habe. Besonders wurde die Aufregung in der Stadt Altona groß, wo mehrere der bezüglichen Flugschriften herausgekommen waren, welche auch eine Untersuchung darüber anstellten, ob eine neue Kirchenagende ohne Einwilligung der Eingepfarrten eingeführt werden dürfe, und wie weit das Recht des Landesherrn in dieser Beziehung gehe. 500 Einwohner daselbst gaben eine Petition ein, in welcher um Aufhebung der neuen Agende gebeten ward, weil sie in vielen Stücken von dem reinen Bibelgeiste abweiche. In mehreren anderen Gemeinden des Landes (z. B. zu Bau bei Flensburg und zu Rellingen bei Pinneberg) führte die Aufregung zu Unruhen, welche durch Polizeigewalt unterdrückt werden mußten. Man hörte vielfach von schlichten Landleuten die Aeußerung: man dürfe den alten Glauben nicht mehr singen, das alte Vaterunser nicht mehr beten, den alten Segen nicht mehr empfangen, man solle nichts mehr von Teufel und Hölle wissen, die Nothtaufe werde für Vorurtheil erklärt, bald würde man auch Taufe, Abendmahl und Bibel ganz abschaffen und das Volk zu Heiden machen, wie die Franzosen wären. (11) Wir bemerken dabei, daß

(11) Peter v. Kobbe, Schlesw.-Holft. Gesch. v. 1694-1808. S. 263 ff.

nach einer Königlichen Verordnung vom 6. Mai 1797 die Einführung der neuen Agende ohne Aufsehen und ohne vorhergehende Bekanntmachung und Anpreisung von den Kanzeln und nöthigenfalls nach und nach geschehen sollte; auch sollte die Beibehaltung der alten Formulare, wenn sie gewünscht würde, gestattet sein.

Am bekanntesten wurde unter den vielen Streitschriften (12) die des Grafen Stolberg, für deren Verfasser man anfänglich Claudius in Wandsbeck hielt. Sie erschien 1798 in Hamburg, zählt 75 Seiten, rief alsbald eine öffentliche Erwiderung (18) hervor, und ist betitelt: „Schreiben eines Holsteinischen Kirchspielvogts an seinen Freund in Schweden über die neue Kirchenagende." Wenn behauptet worden ist, diese Schrift habe die allgemeine Aufregung vermehrt und die Widersetzlichkeit erhöhet, so mag diese Behauptung vielleicht nicht unrichtig sein.

Zum Schlusse haben wir noch auf den erst spät bekannt gewordenen Briefwechsel (14) zwischen den beiden Generalsuperintendenten, Adler und Callisen, hier speciell aufmerksam zu machen, da diese Correspondenz theils ein helles Licht wirft auf den damaligen Gegensatz zwischen der rationalistischen und orthodoxen Theologie, theils auch weitere Auskunft giebt über die Entstehung und Ausfertigung der neuen Kirchenagende.

Adler hatte aus der Deutschen Kanzlei zu Kopenhagen unterm 18. October 1794 den definitiven Auftrag erhalten,,,mit Beibehaltung des Brauchbaren aus dem von dem Consistorialrath Schwollmann entworfenen Kirchen-Ritual und mit Benutzung der von dem Profeffor Moldenhawer theils allein, theils gemeinschaftlich mit dem verstorbenen Dr. Münter gemachten Bemerkungen, eine zweckmäßige Liturgie zu entwerfen, mit dem Generalsuperintendenten Callisen den Entwurf durchzugehen, und solchen, wenn dies geschehen, mit seinem Bericht und Bedenken zur näheren Resolution einzusenden.”—

(12) Man vergl. die S. H. Prov.-Ber. d. J. 1797-99.

(13) Die Antwort des Mannes in Schweden an seinen Freund, den Holsteinischen Kirchspielsvogt, über die neue Kirchenagende." Upsala (Schleswig) 1798. 32 S.

(14) Dieser Briefwechsel ist nach Abschriften, denen freilich die formelle Beglaubigung fehlt, aber an deren völliger Richtigkeit durchaus nicht zu zweifeln ift, mitgetheilt worden von Prof. Asmussen, Director des Schullehrer-Seminars in Segeberg, im Kirchen- u. Schulblatt v. 1849. Nr. 41, 42, 43.

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