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zwei Stellen und zwar beide aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, wo auf eine besondere Gaunerschrift oder Schriftsystematif von fern hingedeutet wird: die eine ältere bei Philander von Sittewald (,,Wunderliche und wahrhaffte Gesichte", II, 587, sechstes Gesicht: Soldatenleben; strasburger Ausgabe von 1665), wo sich ein klein Briefflein befindet, welches von einem BawrsMann zwischen zweyen Fingern" in das Räuberlager gebracht wird und in französischer Sprache mit griechischen Lettern geschrieben ist. Der sehr leicht zu verstehende Brief lautet mit voller Schreibung der Druckligaturen des Originals:

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Μέσσιερς, σὴ βοῦς ἔστες ἐνκόρες & Δομβάστελ, ῥετήρες βοῦς δελὰ ὦ πλοῦτος. γάρ ἔν παίσαν, κὴ σά σῶβέ δὲ βοὺς ἄ δῶννέ ἄδρεστε ὰ νόστρε γουβερνεῦρ δὲ βοὺς ἢ ἔνλεβερ. Αδίου.

Das heißt in buchstäblicher Uebertragung:

Messieurs, si vous estes encores à Dombastel, retirez vous delà au plutôs. Car, un paysan, qui s'a sauvé de vous a donné adreste à notre gouverneur de vous y enlever. Adieu.

Die ganze wunderliche Schreiberei ist doch wol nichts anderes als höchstens das von Philander irgendwo aufgefundene und wiedergegebene Machwerk irgendeines verdorbenen Studenten oder gelehrten Strolches, und ist das einzige bekannte Beispiel einer besondern, aber auch nicht einmal specifisch gaunerischen Schreibung in der. langen Geschichte der Gaunerliteratur. Ohnehin wird die fremdartige Schreibung von den Räubern selbst zurückgewiesen, da Philander unmittelbar darauf erzählt: „Sie wurden zornig, daß er ihnen nicht auff ihre Sprache zugeschrieben habe."

So erscheint denn auch diese Schreibung wie überhaupt das ganze visionäre, wenn gleich auf sehr glaubwürdige Erfahrungen überhaupt gegründete Gesicht als eine Erfindung und Spielerei des Philander von Sittewald selbst.

Das andere Beispiel geheimer Schreibweise ist in Wesen und Construction noch untergeordneter und geistloser. Es findet sich E. 356 im,,Schauplaß der Betrieger" (vgl. Th. I, S. 217) in der 160. Erzählung: Das listige Kennzeichen". Die Buchstaben

der Worte werden regelmäßig einer um den andern in zwei untereinander stehende Reihen vertheilt:

D 8 f d 8 e he e e

a i t arct zihn

(das ist das rechte Zeichen).

Die Spielerei ist hier zu leicht zu erkennen, als daß sie jemals gaunerpraktisch hätte werden können; ohnehin steht sie völlig vereinzelt da und ist wol kaum der weitern Rede werth. Für die linguistische Spielerei der Stubengelehrten bot sich zur Blütezeit des Galimatias im 16. und 17. Jahrhundert der reichste und tollste Stoff dar. Wer davon zahlreiche und verwegene Proben sehen will, der findet bei Labourot a. a. D., besonders im ganzen ersten Buche, genug davon und zwar meistens von der schmuzigften Sorte in Wort und Bild.

Mit der deutschen Orthographie und Kalligraphie sieht es in der Gaunersprache meistens traurig aus, obwol je nach dem socialen Bildungsgrade der gaunerischen Individualität nicht selten sehr gut stilisirte und zuweilen auch wirklich schön geschriebene Briefe zum Vorschein kommen. Ueberraschend bleibt es immer, wenn man bei dem gewandten, ja oft feinen Benehmen einer gaunerischen Individualität nicht selten eine Menge der ärgsten Schreibfehler findet, während doch der Ausdruck selbst correct und gewandt ist. Namentlich treffen hier bei weiblichen Gaunern die grellsten Contraste zusammen. Die großartige Anna Marie Bommert aus Graudenz, welche hier in Lübeck unter dem Namen Clara Ottilie Leistemann auftrat, schrieb eine ebenso unsaubere Handschrift, wie sie die ärgsten grammatischen Schnißer machte. Eine als Gräfin C. M. reisende Gaunerin vom feinsten Benchmen, welche fließend französisch und englisch sprach, machte in einem an mich gerichteten deutschen Briefe mehrere orthographische Fehler. Ueberhaupt aber erklärt sich die große Schwankung der Orthographie in der Gaunersprache aus der sich überall geltend machenden Prävalenz des Dialektischen, welche nicht selten die einzelnen Ausdrücke bis zur Unkenntlichkeit entstellt, weshalb denn

auch deutsche Gaunerbriefe in dieser Hinsicht große Aufmerksamkeit bei ihrer Entzifferung erfordern.

Ueberall aber gibt es keine specifische Gaunerschrift, so wenig wie es specielle gaunerdeutsche graphische Ligaturen gibt, obschon auch in deutschen Briefen ganz wie im Jüdischdeutschen die krumme Zeile gebraucht wird, von welcher bereits Th. III, Kap. 71 ausführlich gehandelt worden ist.

Achtes Kapitel.

E. Grammatik der Gaunersprache.

1) Die historische Grammatik.

a) Einleitung.

Wiederholt ist darauf hingewiesen worden, daß die „Sprache der Bildung" in historischem Proceß als ein Transact der in der Hegemonie miteinander wechselnden deutschen Dialekte entstanden ist, zu welchem diese sich als zur correcten, würdigen, allgemeinen Ausdrucksform der deutschen Sprache geeinigt haben, ohne daß darum irgendein Dialekt seine Eigenthümlichkeit und die Berechtigung zu seiner weitern innern Ausbildung aufgegeben hätte. In ähnlicher Weise erscheint die deutsche Gaunersprache als ein Transact aller Dialekte zu einer einzigen, der deutschen Gesammtgaunergruppe allgemein verständlichen Ausdrucksform. Doch ist keineswegs die Veredelung und Correctheit des sprachlichen Ausdrucks der Zweck dieses Transacts, sondern das absolute Geheimniß zur Ermöglichung und Erhaltung des abgeschlossenen Verständnisses. Aus gleichem Grunde findet das Dialektische seine volle Geltung in der Gaunersprache, sobald es Geheimniß sein kann, und bleibt das Veraltete in voller Geltung bestehen, sobald es für das allgemeine Volksverständniß obsolet oder unverständlich geworden ist und wird sogar, wenn es als Gaunertype bekannt und vom Gaunerthum deswegen außer Brauch gesezt worden war, in

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der ältesten ursprünglichen Form mit mehr oder minder veränderter logischer Bedeutung wieder auf- und angenommen. Darum tritt aber auch ganz besonders das historisch Gegebene und in den verschiedenen Phasen historisch Gebildete in Sprache und Grammatik des Gaunerthums sehr farbig hervor, ohne daß die Gaunersprache sonst wesentlich von der Grammatik der Sprache der Bildung" abwiche, deren geschichtliche Ausbildung sie im genauesten Anschluß durch alle Stadien mit durchlebt hat. Die specifische Gaunersprachgrammatik beschränkt sich daher auch nur auf die Darstellung und Erläuterung des vom Gaunerthum statuirten und aus dem ihm zu Gebote stehenden großen bunten Sprachstoff mit geistvoller und schlauer Wahl zusammengelesenen Wortvorraths und auf die Erklärung der den einzelnen Wörtern in diesem Vorrath willkürlich beigelegten logischen Bedeutung. Bei dem tiefen Geheimniß des mit der größten Eigenthümlichkeit, Kunst und Berechnung vom Gaunerthum zusammengetragenen Sprachstoffs und bei dem historisch nachgewiesenen argen Mangel an juristischer und polizeilicher Aufmerksamkeit auf das Gaunerthum darf es nicht befremden, daß die Gaunersprache niemals gründlich bearbeitet wurde, obschon hier und da fleißige Theologen bei ihrer Seelsorge in den untern Schichten des Volks gelegentliche Notiz nahmen von den vereinzelt hervortretenden Typen der Gaunersprache. Selbst als im Dreißigjährigen Kriege der gewaltige Andrang des in kolossalen Räubergruppen repräsentirten Gaunerthums das socialpolitische Leben mit seiner rechtlichen und sittlichen Sicherheit auf das äußerste gefährdete, vermochte die gewaltsam gegen das Gaunerthum aufgerufene, unfertig und ungerüstet dem Feinde gegenüber tretende Landespolizei so wenig die Sprache wie das Wesen des Gaunerthums aufzufassen, daß eine wenn auch nur leidliche Erkennung und grammatische Bearbeitung der Gaunersprache mög lich gewesen wäre. Dennoch läßt sich die fortlaufende Spur einer Gaunersprachgeschichte verfolgen. Freilich muß man bei der Beachtung der immer nur gelegentlich und vereinzelt zum Vorschein gekommenen gaunersprachlichen Erscheinungen wie von einer Klippe zur andern springen, deren Fuß stets von der Brandung des rast

los bewegten Volkslebens und von dem dichten Nebel der Unwissenheit und des Aberglaubens verdeckt und schwer zu untersuchen ist. Interessant bleiben aber die wilden, wunderlichen Formen selbst in der Vereinzelung und niemals verleugnet es sich ganz, daß der zerrissene und zerklüftete Boden, über welchem jene Erscheinungen hervorragen, ein durchaus deutscher Boden ist.

Je leichter es ist, bei dem Charakter der deutschen Gaunersprache, als deutscher Volkssprache, auf die Grammatik der leztern zu verweisen, desto gebotener ist es, die einzelnen gaunersprachlichen Documente selbst in ihrer historischen Erscheinung ins Auge zu fassen, sie in ihrer vollen Zeit und Eigenthümlichkeit darzustellen und zu charakterisiren, und somit im einzelnen das historische Gesammtbild einer Gaunergrammatik zu geben.

Bei der Kritik dieser historischen Spracherscheinungen sind mehrere besondere Rücksichten zu nehmen. Vor allem muß man festhalten, daß, mit alleiniger Ausnahme der höchst merkwürdig dastehenden „Wahrhaften Entdeckung der Jaunersprache" des „Constanzer Hans" 1791, fein einziges Werk und sei es das dürrste Wörterverzeichniß, bekannt ist, welches unmittelbar aus gaunerischer Feder geflossen ist. Das ist besonders deshalb in Betracht zu ziehen, weil die Redaction selbst der verbürgtermaßen direct aus Gaunermunde geschöpften und somit als glaubhaft originell erscheinenden Ausdrücke und Sammlungen bei der mysteriösen Abgeschlossenheit und gänzlichen Fremdartigkeit der gaunersprachlichen Ausdrücke von jeher unkritisch und unsicher war, wovon bis zur Stunde die schlagendsten Beispiele vorliegen. Besonders ist dabei die Redaction der meistens ganz unbegriffenen jüdischdeutschen und zigeunerischen Wortzuthaten sehr ungelenk und unklar, wenn auch in den von lebenden fremden Sprachen hergeleiteten Gaunerwörtern die fremde Abstammung meistens deutlich zu erkennen ist. Sehr wichtig für das Kriterium der Redaction ist schon von vornherein der Vergleich des baseler Rathsmandats mit seiner spätern Bearbeitung im Liber Vagatorum, welcher lettere nicht nur durch viele Schreib- und Druckfehler, sondern auch durch sehr bedeutende Avé-Lallemant, Gaunerthum. IV.

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