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hatte: desto leichter gelang die Sonderung, ungeachtet die überaus lare Hospitalität der deutschen Gaunersprache die Kritik sehr erschwerte. So konnte das Zigeunerische am behendesten gesondert und lediglich auf die geläufigste Vocabulatur beschränkt werden. Ein Gleiches war der Fall bei den Wortzuthaten aus dem romanischen und slawischen Sprachgebiet.

Schwieriger schon war es, durch die höchst wunderlichen deutschdialektischen Formen der Gaunersprache sich durchzufinden, nicht etwa, weil die außerordentlich verschiedenen bunten deutschen Volksdialekte schon an sich nicht immer leicht zu erkennen und zu unterscheiden sind: sondern weil die Gaunersprache geflissentlich das entlegenfte und verschiedenste Dialektische im Einzelnen aufgelesen und zu seinen specifischen Typen statuirt hat. In dieser Statuirung der einzelnen dialektischen Typen, welche, wenn auch allen deutschen Provinzialismen entlehnt, doch gerade in der strengen Auswahl und Beliebung beschränkt erscheinen könnte, liegt aber dennoch die größte Mannichfaltigkeit und der größte Reiz zur Untersuchung. Der beständige, ungemein lebendige Wechsel lockt den fritischen Blick überall hin und winkt ihm aus allen, auch den entlegensten Ecken und Enden des deutschen Sprachgebiets entgegen. Dabei tritt nun auch wieder die seltsame Eigenthümlichkeit hervor, daß das durch Convention aus den buntesten Stoffen zur Einheit zusammen gezwungene Ganze im einzelnen Dialektischen bei seiner Verwendung am entlegenen Orte häufig einer topisch - dialektischen Modulation unterworfen wird. und dann sogar auch beim weitern Umzuge andern neuen Modulationen mehr oder minder verfällt. Diese Eigenthümlichkeit macht die Analyse ungemein interessant, wenn auch oft sehr schwierig. Schon Christensen's natürliche und ungesuchte Synony mif (IV, 199-221) gibt ein interessantes Bild davon. So haben sich in überraschender Fülle, bald in reiner ursprünglicher Form, bald in mehr oder minder starker Verfärbung und Modulation

eine Menge althochdeutscher, altniederdeutscher und mittelhochdeutscher Wörter mit zum Theil nur wenig verschobener Bedeutung in der deutschen Gaunersprache erhalten, und in dieser oft überraschend treuen Bewahrung alter Formen blicken sogar auch einzelne reine gothische Formen heraus, wie sich z. B. der gothische „Hauhns“ bis zur Stunde im vollen geläufigen Gaunergebrauch erhalten hat. Meistens nur in neuhochdeutschen Wörtern tritt die Aehnlichkeit der deutschen Gaunersprache mit den romanischen Gaunersprachen am schärfften hervor, deren wesentlichster Grundzug nicht etwa die Modulation der Wurzelformen und Flerionen ist, sondern vorzugsweise die Verschiebung der logischen Bedeutung zu frivolen Metaphern.

Einen ungemein reichen und durchaus eigenthümlichen Beisay hat aber die deutsche Gaunersprache durch die jüdischdeutsche Sprache gewonnen, jene gewaltsame unnatürliche Zusammenschiebung indogermanischer und semitischer Sprachtypen, welche für alle Zeit als trübes Denkmal unmenschlicher Verfolgung und Erniedrigung des alten Gottesvolkes bleiben wird und welche so tief eingeäßt steht auf dem deutschen Cultur- und Sprachboden, wie Blutspuren auf einer Folterbank. Das in seiner Ausbildung fortschreitende Gaunerthum fand bei seiner Verfolgung und bei seiner Flucht in die niedrigsten Volksschichten das von der rohen allgemeinen Verachtung in ebendieselbe niedrige Sphäre hinabgedrückte Volk der Juden und mit ihm das wunderliche Sprachgeschiebe vor, dessen erotische Stoffe und Formen es mit Begierde für seine geheime Kunstsprache ausbeutete. Dieses Judendeutsch mit seinen fremdartig erscheinenden bunten Typen gewährte der deutschen Gaunersprache eine durchaus eigenthümliche Bereicherung, wie in feiner andern Volkssprache eine auch nur ähnliche Zusammenschiebung möglich werden konnte, ungeachtet seit dem 16. Jahrhundert die eine entfernte Analogie darbietende maccaronische Poesie von Italien her einen kurzen Umzug durch das romanische

Sprachgebiet hielt, auch einen kurzen Uebertritt nach Deutschland unternahm, um bald ganz wieder zu verschwinden.

Gerade aber auch die jüdischdeutsche Sprache war es, welche aus der jüdischen Kabbala eine nicht geringe Menge kabbalistischer Formen auf den deutschen Sprachboden überführte, von denen die Gaunersprache gleichfalls eine wenn auch weniger bedeutende, doch immer beachtenswerthe Zahl aufnahm. Wie die vielen eigenthümlichen, sehr oft phonetisch belebten Abbreviaturen, verdienen diese wunderlichen Formen genaue Beachtung, da (und das ist ganz besonders bei den Abbreviaturen der Fall) eine nicht geringe Anzahl auf dem deutschen Volkssprachboden sich heimisch gemacht hat, sodaß sie häufig sogar aus deutschen Wurzeln entsprossen zu sein scheinen. Ihre Kenntniß ist um so wichtiger, als man nur mit ihr gerüstet hier und da einen vereinzelten Schritt auf das unheimliche Gebiet der christlichen Zaubermystik mit ihren ungeheuerlichen Formeln wagen darf, obgleich man auch gerade durch sie selbst die Ueberzeugung gewinnt, daß diese Mystik und ihr Formelwesen für alle Zeiten ein wirres, düsteres Geheimniß bleiben wird und immer nur in einzelnen Bruchstücken begriffen werden kann, welche überall aus dem socialpolitischen Leben herausragen, wie die noch rauchenden Trümmer einer weiten Brandstätte, und welche das Gaunerthum zu seinen Zinken und betrügerischen Zauberformeln, die Politik aber zu ihrer geheimen Cabinets- und Polizeisprache doch noch nuzbar zu machen verstand.

Dieser in nur dürrer Skizze angedeutete ungeheuere wirre, wüste, seit vielen Jahrhunderten zusammengehäufte, mitten in das Volksleben und tief unter dessen Boden versenkte, in fortwährender ungeregelter Bewegung durcheinander geschobene und verschüttete Stoff lag vor, noch niemals untersucht, noch niemals bearbeitet, nur von Pott in einzelnen hellen Hindeutungen hier und da beleuchtet, von jedem andern sogenannten Bearbeiter aber blos noch mehr verwirrt und verdunkelt. Es war nicht möglich

diesen Stoff in dem zuerst beabsichtigten geringen Umfange eines einzigen Bandes zu bewältigen. Riesengroß wuchs der Stoff unter den ordnenden Händen hervor: der Raum mußte vergrößert und das Ganze in mindestens zwei Bände vertheilt werden. Und doch ist der Verfasser durch und durch unzufrieden, daß er überall ja nur Andeutungen geben und unzählig Vieles nicht so, wie er es wünschte, ausarbeiten fonnte. So muß er am Abschluß seiner angestrengten Forschungen die ganze Arbeit doch nur für den bloßen Ausdruck des dringenden Wunsches erkennen, daß das neugeöffnete Feld recht viele gründliche berufene Forscher und Bearbeiter finden möge!

Wie tief nun auch der Verfasser die Schwierigkeit der Aufgabe empfunden hatte, wie sehr er auch von dem Gefühl gedrückt war, daß eines einzelnen Menschen Kraft nicht ausreiche zu ihrer Lösung, so fühlte er doch mit dem bittersten Erust den verwegenen Hohn und Uebermuth des alten Gaunerworts: „daß die Welt untergehen werde, wenn die Laien die Gaunersprache redeten". Der Polizeimann mußte tagaus tagein sehen, wie das Gaunerthum das ganze Leben durchdrungen hatte und mit seinen Polypenarmen umklammert hielt; er mußte sehen, wie es keinen Kreis, keine Gruppe im socialpolitischen Leben gab, wohin nicht das Gaunerthum gedrungen, hineingewirkt, wo es nicht seine Beute so sicher gefaßt hätte wie ein Raubthier, das erst mit seinem Opfer spielt, ehe es dasselbe zerreißt und verschlingt: er wagte es mit seiner vereinzelten schwachen Kraft, aber auch mit allen Opfern, die der Gelehrte nur bringen konnte in langjähriger treuer Arbeit! Mitten in den ernsten Sprachstudien, die er, wenn auch einstiger Schüler eines der besten deutschen Gymnasien, des lübecker Katharineum, doch immer nur als Laie und ganz auf eigene Hand, machen und mit welchen er sich vor die Kritik der größten Linguisten der Welt, der deutschen, wagen mußte, hat er beständig auf das Volk gesehen, auf den Volks

mund gelauscht, aus diesem seine ganze Grammatik ertönen horen und ist so muthig weiter gedrungen, rastlos forschend, den Blick auf das schwere weite Ziel gerichtet.

Schon bei der ersten Vertheilung und Sichtung des Stoffs stellte sich dem Verfasser ein ernstes Bedenken entgegen, das aber auch sehr rasch beseitigt wurde: das Bedenken nämlich, ob die Behandlung der jüdischdeutschen Sprache mitten in der Untersuchung der Gaunersprache zulässig sei. Unbedingt mußte der Verfasser die Frage bejahen, sobald er sich selbst über seine Aufgabe wie über das Judenthum klar geworden war, in welchem er den vieltausendjährigen Grund erkannt hatte, auf welchem das Christenthum aufgerichtet steht. Wenn nach anderthalbtausendjähriger Hezjagd des Judenvolks noch um die Mitte des 19. Jahrhunderts die Begriffe Jude und Gauner als identisch, ja sogar der Jude als Gauner in höherer Potenz statuirt, wenn daher ein eigenes jüdisches Gaunerthum", eine eigene,,jüdische Gaunersprache" proclamirt werden konnte: dann half nichts anderes, als die ganze wirre Masse zusammen zu fassen und zusammen auszuglühen, um die verschiedenen Stoffe wie in einem scharfen chemischen Proceß zu scheiden und zu sondern. Dieser ernste Proceß war dem Verfasser nicht leicht gemacht. Nur erst ein Jahr vor seinem Abgange zur Universität hatte er, ohne bestimmten Zweck, bei einem alten wackern jüdischen Gelehrten Unterricht in der hebräischen Sprache genossen und nur den Bereschit mit ihm gelesen. Dies Wenige ward nebst dem Studium aller bis dahin mit Lust getriebenen alten und neuen Sprachen vernachlässigt und das Hebräische am gründlichsten vergessen, sobald der Verfasser auf der Universität lebhaft vom Studium der Rechtswissenschaft ergriffen worden war. Diese Vernachlässigung rächte sich aber besonders schwer, als er vor elf Jahren zum praktischen Polizeimann berufen wurde und nun beim tiefern Studium der Gaunersprache die fremdartige Erscheinung der jüdischdeutschen Sprache ihm

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