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zu erschöpfen drohte. Wenn er aber auf die alten, elend kümmerlichen, persiden und verlogenen Wörterbücher der getauften Juden sah, wenn er Callenberg's dürftiges, bröckeliges Wörterbuch mit den vielen Druckfehlern, kümmerlichen Erläuterungen und großen Defecten für unzureichend erkennen mußte, wenn er die klägliche Kümmerlichkeit und heillose Verworrenheit und Incorrectheit des mit Druckfehlern und Mängeln aller Art behafteten Selig'schen Wörterbuchs sah und selbst in dem besten vorhandenen Wörterbuche, dem Prager Handbuch, große Mängel entdeckte und deshalb auch dies Buch nicht für ausreichend erachten konnte, so mußte er die Arbeit wagen, um für sein Werk und für die weitere Forschung einen festern Boden zu gewinnen. Die Arbeit war äußerst schwierig. Wenn er auch Selig's Wörterbuch und das Prager Handbuch dabei zu Grunde legte und namentlich auch wie jene bemüht war, die Wortfamilien unter dem Wurzel- oder Stammwort zu vereinigen, so galt es doch unendlich viel Falsches zu berichtigen, zu ergänzen und zu ordnen, wobei sehr oft mit unglaublicher Geduld und Mühe nach einzelnen Wörtern im kleinen Literaturschaze gesucht und viel verglichen werden mußte, um das richtige Verständniß zu finden. Manche treffliche Beihülfe gewährten ihm Tendlau's „Jüdischdeutsche Sprüchwörter und Redensarten", III, 90, welche aber erst dann erschienen waren, als der Verfasser sein mühseliges Werk vollendet hatte, ihm aber doch auch spät noch höchft willkommen waren, um manche Lücke auszufüllen und manches zu ergänzen, wie die jedesmaligen Citate nachweisen. Doch mag aber noch mancher Fehler, mancher Mangel zum Vorschein kommen, welchen der Verfasser bei der fast betäubenden Revision des auch in typographischer Hinsicht von großen Schwierigkeiten begleitet gewesenen umfangreichen Werkes sehr leicht übersehen haben mag. Unerlaßlich war es nun aber, auch beim Wörterbuch die geläufigsten Abbreviaturen zu erklären, ohne welche ein vollkommenes Verständniß der jüdischdeutschen Literatur

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nicht erreicht werden kann und welche obendrein in ihrer wunderlichen volksthümlichen phonetischen Belebung sehr merkwürdige und tief in die deutsche Volkssprache überhaupt eingedrungene Erscheinungen darbieten. Auch hier war Selig zu Grunde gelegt, aber auch hier galt es, sehr viele Fehler und Unrichtigkeiten zu verbessern und viele von Selig übersehene Abbreviaturen einzuschalten, wie denn Selig unter anderm S. 112 und 113 feines Handbuchs die ganze Reihe von v'n bis D5 durchaus vergessen hat. Gleich hier bemerkt der Verfasser, daß er bei erläuternden Allegaten aus den heiligen Schriften soviel wie möglich die portugiesische Aussprache festzuhalten suchte. Die sehr verschiedenartige Aussprache der jüdischdeutschen Vocale bot aber große Schwierigkeiten, weil unter den in alle Theile Deutschlands zerstreuten Juden kein eigentlicher jüdischdeutscher Dialekt eristirt, mithin von der Führerschaft eines bestimmten Dialekts in der Schriftsprache nicht die Rede sein kann. Die phonetische Modulation ist daher sehr bunt. So z. B. lesen manche das Pathach mit nachfolgendem Chatuph Pathach wie ai (etwas durch die Nase), andere wieder wie āă, den Vocal mit Metheg, das Chatuph als Schwa mobile mit a-Laut, also mit ganz kurzem a. Der Verfasser konnte sich daher weder ganz genau an die Aussprache des Prager noch an die des Selig'schen Wörterbuchs binden, obschon er die lettere im ersten und zweiten Theile dieses Werks vorzugsweise berücksichtigt hatte. Ihm blieb nichts anderes als der Volksmund, wie dieser im Handel und Wandel sich ihm offenbart hatte. Daher im Wörterbuche gewöhnlich nur die einfache Lesart im phonetischen Ausdruck.

Nur dann erst, als der massenhafte wüste Stoff in größere Abtheilungen gebracht, dann weiter gesondert, gesichtet, im einzelnen zergliedert und culturhistorisch und grammatisch verglichen und erläutert war, konnte der Parasitenwuchs der Gaunersprache flar vor Augen gelegt und ihr behendes geheimnißvolles Hinein

schlüpfen in alle Ecken und Winkel, wo der wunderbare Proceß der Gedankenverkörperung zu sprachlichen Ausdrucksformen nur irgend möglich war, verdeutlicht werden, von den dämonischen Typen der Zaubermystik an bis zur offenen frechen Metapher der alltäglichen Redensart. So konnte denn auch in der historischen Folge der gaunersprachlichen Documente und in der stets fluctuirenden Beimischung dieser oder jener fremdartigen Stoffe die Zusammenseßung des Gaunerthums selbst und der merkwürdig belebte Zug und Wechsel seiner Jüngerschaft erkannt, so konnten durchgreifende Compositionen und Flerionen für die grammatische Betrachtung gefunden, hervorgehoben und für die Kritik der verschiedenen Formen bestimmtere Grundzüge nachgewiesen werden, welche überallhin greifen, historische, topische, socialpolitische und persönliche Bezüge haben und selbst auf biblischhistorische Thatsachen und Personen zurückzuführen sind, wie im Wörterbuche mehrfach nachgewiesen ist. Auf diesen Grundlagen ward endlich die kritische Untersuchung der einzelnen Wörter und Redensarten in der Gaunersprache, sowie die Abweisung alles dessen möglich, was in der Literatur des Gaunerthums auf die unverantwort lichste Weise in die Gaunersprache eingeschwärzt worden ist. Welcher Unfug dabei getrieben worden ist, welche bodenlose Eitelkeit, Leichtfertigkeit und verwegene Unwissenheit dabei sich breit gemacht hat, wird man aus der Vergleichung der alten Urkunden, sowie aus der kritischen Untersuchung einzelner Erscheinungen derart erkennen, eine Kritik, die dem Verfasser ebenso nothwendig erschien, wie ihr Gegenstand von Herzensgrund ihn anwiderte.

Zu seinem eigenen Versuche eines kritischen Wörterbuchs der Gaunersprache bemerkt der Verfasser endlich noch, daß es keineswegs in seinem Plane lag, ein erschöpfendes Wörterbuch zu schreiben, das von sehr großem Umfang hätte sein müssen und zu welchem er bessere Muße und vollständigere Hülfsmittel abvarten muß. Vor der Hand war ihm darum zu thun, eine fri

tische Analyse der geläufigsten Ausdrücke zu geben und überhaupt den Weg zur kritischen Untersuchung anzubahnen, damit nur zuerst die heillose Gaunerlinguistik abgethan werde, mit welcher auf dem Gebiete der Polizeiwissenschaft manche Literatoren sich selbst und andere so arg getäuscht haben, wie das die Zaubermystiker des Mittelalters mit den zum Theil von ihnen selbst construirten zaubermystischen Charakteren unternahmen. Die Abstammung der einzelnen Wörter ist, wo sie nicht von selbst sich ergibt, jedesmal angegeben. Die ohne weitern Zusaß mit lateinischen Lettern in Parenthesen beigefügten Stämme zeigen auf das Register des jüdischdeutschen Wörterbuchs. Beim Nachweis deutscher Stämme hat der Verfasser vorzugsweise das Althochdeutsche und Mittelhochdeutsche angeführt, um auch für ältere Gaunerwörter die Aufsuchung der Stämme zu erleichtern. Die zigeunerischen, flawischen und romanischen Stämme sind ebenfalls jedesmal angegeben, und auch hier hat der Verfasser, sofern nicht die specifisch romanische Tochter ein erwiesenes Vorrecht hatte, gern der lateinischen Muttersprache den Vorrang eingeräumt. Nach der Anordnung des jüdischdeutschen Wörterbuchs ist auch hier der Versuch gemacht worden, mindestens bei den bedeutsamsten Gaunerausdrücken die ganze Familie unter das Stammwort zusammenzuziehen und in der alphabetischen Folge auf das Stammwort hinzuweisen..

Außer seinen Collectaneen hat der Verfasser das tüchtige Wörterbuch von Zimmermann in Berlin und das von Grolman'sche Wörterbuch benußt. Dahingegen erforderte Thiele schon große Vorsicht. Mit dem lebhaftesten Danke muß der Verfasser zweier handschriftlicher Mittheilungen gedenken, welche ihm gerade auch von zwei der anerkannt tüchtigsten deutschen. Polizeistellen her zugekommen waren. Zunächst war es das im März 1858 ihm zugesandte Manuscript der königlichen Polizeidirection zu Hannover, welche das überall seit langer Zeit ganz vernachlässigte hochwichtige Unternehmen wieder aufgenommen hatte: aus dem Munde

der Strafgefangenen in den sämmtlichen Anstalten des Landes eine Sammlung anzustellen. Eine ähnliche, noch viel reichhaltigere, äußerst werthvolle Sammlung aus Wien erhielt der Verfasser durch seinen hochgeehrten Freund, Herrn Fidelis Chevalier, zugestellt. Ganz abgesehen von ihrem Ursprung aus verbürgt echter Quelle, sind beide Sammlungen in ihrer ganzen Auffassung vor der Kritik und Analyse so durchaus probehaltig, daß sie die vollste Beachtung bei der Bearbeitung des vorliegenden Wörterbuchs in Anspruch genommen haben. Durchaus wünschenswerth und wichtig für die Kenntniß der Gaunersprache ist es, daß das ausgezeichnete Beispiel der Polizeidirection zu Hannover überall Nachahmung finde, wie schon im vorigen Jahrhundert, vorzüglich in Kursachsen, ähnliche höchst schägbare Sammlungen veranstaltet worden sind. Mit einem vollständigen Gaunerwörterbuch würde man auch das bedeutendste Material zu einem dringend nöthigen Volkssprachwörterbuch gewinnen.

Recht empfindlich machte sich dem Verfasser bei seiner Arbeit der Mangel eines praktischen Handbuchs der Zigeunersprache fühlbar. Eigene genauere Beobachtungen und Erforschungen aus dem Leben und der Sprache der Zigeuner zu machen, war dem Verfasser bei dem nur sehr dürftigen Zuge der Zigeuner an der nördlichsten Marke Deutschlands versagt. Pott's Meisterwerk ist für den praktischen Gebrauch nicht handlich genug, und Bischoff ist in seinem Zigeunerwörterbuch ebenso leichtfertig und unzuverlässig wie in seiner ganzen Gaunerlinguistik. Mit lebhafter Freude wurde daher der Verfasser erfüllt, als ihm gerade am Schluß seiner Arbeit Einsicht in das Manuscript seines Freundes und einstigen jenenser Studiengenossen, des Criminalgerichtsdirectors Dr. Richard Liebich zu Lobenstein, verstattet ward, in welchem recht mitten aus dem Leben und Verkehr der vielen Zigeuner, mit denen der ausgezeichnete Gelehrte und Beamte in Berührung gekommen war, nicht nur durchaus treffende und geistvolle Be

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