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in den Frauenhäusern“, das Gewerbe der Nachrichter und Abdecker, só durchaus durchdrang und occupirte, daß es diese Gruppen als sein integrirendes Eigenthum vindiciren konnte. Auf diese trübe Wahrnehmung führt besonders die genauere Kenntniß der Gaunersprache. Wenn theils aus gewerblichem Bedürfniß, theils in frischer, fröhlicher Unbefangenheit die Genossen eines socialpolitischen Kreises zur Bezeichnung bestimmter Begriffe und Gegenstände fremde Wörter adoptirten, oder deutschen Wörtern eine vom gewöhnlichen Volksgebrauch abweichende Bedeutung beilegten und somit ein nach außen mehr oder minder abgeschlossenes Sprachgeheimniß schufen, dessen genauere Kenntniß nur den Standesgenossen vorbehalten war: so konnte man den Genossen gern den eigenthümlichen Sprachschaß gönnen, aus welchem doch immer der deutschen Sprache eine Bereicherung zufloß und welcher seiner innern Bedeutsamkeit nach doch immer arglos und unverfänglich war. Sehr ernst berührt es aber den Kenner der Gaunersprache, wenn er wahrnimmt, daß dieselbe aus allen jenen Volksgruppen eine nicht geringe Anzahl Wörter aufgenommen hat, und wenn er, dadurch zu tieferer Forschung aufgefordert, findet, daß diese Wörter und Ausdrucksformen nur zu dem trüben Beweise dienen, daß das Gaunerthum bei seinem mehr oder minder tiefen Eindringen in alle diese Kreise diese selbst mehr oder minder tributär und abhängig von sich gemacht hat. Wie innig und gewaltig diese durch die Sprache angezeigte Verbindung und gegenseitige Einwirkung ist, das beweist in einer Eigenthümlichkeit, wie sie anderweitig wol kaum ähnlich vorkommen mag, der Umstand, daß 3. B. in der Schinder- und Dappelschicksensprache allgemein gebräuchliche Gaunerausdrücke noch zu einer von der gewöhnlichen gaunerischen Sprachbedeutung abweichenden besondern Bedeutung gezwungen wurden, wie dies weiterhin mit Beispielen belegt werden wird. Die Etymologie dieses Sprachvorraths ist an sich überall ohne Schwierigkeit nachzuweisen und leicht zu erklären, da keine Gruppe eine besondere Sprachweise, vielmehr nur einen freilich immerhin mit großer Willkür gesammelten und gedeutelten Wortvorrath aus der deutschen Volkssprache sich angeeignet hat. Sie

ist aber in ihrer ganzen Bedeutsamkeit nicht vollkommen zu erläu tern ohne historische Nachweise und Beziehungen, welche in der That tief in die ganze Bewegung des socialpolitischen Lebens hineinführen. Um daher die Gaunersprache in ihrer ganzen Umfänglichkeit und Gewalt kennen zu lernen, bedarf es einer kurzen culturgeschichtlichen Hindeutung auf jene Volksgruppen, in welche das Gaunerthum heimlich hineinzuschleichen verstand, um die gefährliche Infection zu bewirken und aus den sonst so gesunden, frischen Säften eine überaus reiche Nahrung für sich zu gewinnen.

Sechsundzwanzigstes Kapitel.

a. Die Studentensprache.

In der auf den deutschen Universitäten mit weiser Erkenntniß und Würdigung des deutschen Wesens gewährten Freiheit der Wissenschaft selbst und der nach der Wissenschaft strebenden afademischen Jugend blühte auf der Grundlage christlich-sittlicher und classischer Vorbildung der deutsche Gelehrtenstand in der herrlichsten Entwickelung auf, um nicht nur dem deutschen Vaterlande, sondern auch der ganzen Welt die reichsten und edelsten Früchte zu tragen. Bei dem von allen Seiten durch frische Luft- und Lichtströmung geförderten Aufblühen der akademischen Jugend quoll der volle Lebenssaft des üppigen jungen Wuchses überall wie ein echter humor von innen nach außen heraus und verdichtete sich nach außen am kühn aufstrebenden Stamme zu einem deutlich wahrnehmbaren Merkmal, welches Art, Kraft und Fülle des ganzen herrlichen Aufwuchses charakteristisch kennzeichnet. Mögen auch diese Kennzeichen mannichfach misfarbig erscheinen und oft aus leicht entstellenden Narben hervorquellen, immer ist doch die innere frische Lebensfülle zu erkennen, und niemals findet man das Edle verleugnet oder gar verneint. Auch die von der deutschen akademischen Jugend vollständig beherrschte deutsche Sprache der Bildung mußte in Geist und Mund der Jugend zu wuchern anfangen und

brach denn auch mit sprudelnder Fülle in deutschoriginellen oder auch sprachgemischten Bezeichnungen und Redensarten aus, in denen Laune bis zum Uebermuth, Wiz, Ironie und Satire wie Staubfäden in einem Blütenkelche dicht zusammenstehen und aus dem Blütenkelche in reicher Geistigkeit und liebenswürdiger Gemüthlichkeit hervorschauen. Die Fülle dieser Ausdrücke gab schon früh zu eigenen Wörterbüchern der Studentensprache Anlaß, in denen jedoch meistens eine sehr ungeschickte Einmischung von Wörtern und Redensarten hervortritt, welche keineswegs specifisch akademisch sind. Die Gemüthlichkeit und Wahrheit der Studentenausdrücke beruht darin, daß sie nie gesucht, sondern immer gefunden sind und daß jedes Wort seinen historischen Anlaß hat.1) Das

1) Wenn auch alle deutschen Universitäten ihr Contingent zur Studentensprache geliefert haben, so darf doch vor allen das jedem Studenten unvergeßliche Jena mit seiner alten Freiheit und immer jugendlichen Frische als Parnaß der Studentensprache gelten. Statt vieler hier nur ein Beispiel aus des alten Kristian Franz Paullini Zeit- kürzende Erbauliche Lust“ (Frankfurt a. M. 1693), S. 179, Nr. 67: „Die Hoheschul Jena hat manches Sprichwort in die Welt gepflanzt, davon ich vor dißmal nur drey (damit alle gute Dinge gut find) anführen will, und zwar erstlich von den Schul-Füchsen. Es war ein frommgelehrter Mann, der mehr im Gehirn hatte, als ihm eben vorn an der Pfann herausguckte, dabey aber ein blödes Thier, so immer sorgte, der Himmel möchte bersten und ihm auf die Platte fallen. Dieser stieg aus dem Schulstaube zur Würde eines Jenischen Professors. Nun trug dieser schlecht und recht einen Mantel mit Fuchsbälgen gefuttert, damit wanderte er nach dem Katheder. Die Studenten, so dergleichen Habits nicht gewohnt waren, sonst auch des guten Mannes Wiß und Verstand nur nach dem äusserlichen Schein abmassen, und ihn also nicht für voll achteten, gaben ihm den Namen eines Schulsuchses. Welches Wort durch ganz Teutschland ausgestreuet, wiewohl der zehende kaum den eigentlichen Ursprung weiß. Ferner von den Zweibeinichten Haasen. Als im Anfang vorbelobter Hohenschul D. Erhard Schimpff, ein wolberedter Mann, auf der Cangel die Histori ron Elisaeo und seinem Diener Gehasi (vgl. 2. Kön. 4, 12), deren jener den Naemann vom Außsag errettet, dieser aber, hinter des Propheten wissen und befehl, Geld von ihm genommen hatte, dem Volck erklärte, und unter anderm fragte: Solten auch wohl unter uns noch solche Gehasi seyn, die nemlich einen schnöden Provit mehr achten als Gott und ihr Gewissen? Ach ja, sprach er, gar viele! Ich bin ein Gehafi! Du, Er, Wir sind alle schier Gehaft. Welche er etlichmal (sich etwas lang in dieser Materi verweilende) wiederholte. Da waren flugs etliche Bürsch

würde recht allgemein begreiflich werden, wenn man Zeit und Mühe daran sezte, aus den vielen Schriften der Gelehrten, besonders Theologen des 16. bis 18. Jahrhunderts (welche in ihrer behaglichen Muße und Schreibseligkeit niemals versäumten, die bei ihnen vorkommenden, keineswegs vermiedenen, sondern mit sichtbarem Durchbruch der alten Studentennatur. gesuchten Ausdrücke gelegentlich in ihrer historischen Entstehung nachzuweisen und zu erläutern), eine Lerikographie der Studentensprache zu sammeln und damit den Beweis zu führen, daß die Studentensprache faum eine Spur von künstlicher Linguistik enthält, sondern eine offene, klare, historische Gedächtnißtafel ist, zwischen deren Zeilen man ein bei weitem tieferes Leben lesen kann, als oft der Studirende selbst ahnt, während er diesen sprachlichen Comfort mit Behagen benut und als Type seines prächtigen Studententhums an und mit fich trägt.

Dies reiche Studentenleben mit seiner fast hypertrophischen geistigen Constitution hat mit voller Gewalt klarer Geistigkeit tief in das ganze socialpolitische Leben hineingegriffen und eine Literatur geschaffen, welche in der bisherigen, nüchtern zusammengetra

lein, die bey allen Sauff-gelacken und Spiel-tafeln von diesem Gehast schwaßten. Wenn nun einer was ungereimtes oder unbesonnenes thäte, flugs hiessen Re ihn Gehafi. Das Gepläuder zog auf die benachbarte Universitäten, endlich fame gar unter den Alleman, so daß der Arme Gehasi den Kopf verlor, und wo einer nur was lächerliches begunte, gleich warffen sie ihm den Rumpf an Hals, und hiessen ihn Hasi. Zulezt ist biß auf diese Stund in Teutschland ein Haas draus worden. Drittens von den Schaaf-Käsen. Es wird erzählet, eines Schäfers Sohn, ein feiner Mensch, habe unter andern mit verlangt Baccalaureus zu werden. Nun sey der ehrliche Mann, so diese Creaturen dazumal machen muste, ein sonderbarer Liebhaber guter Schaaf-Käse gewesen. Wie das der Candidat merdte, schrieb er seinem Vatter, er möchte ihm doch ein Dußt guter jetter Schaaf-Käse senden, die wolle er seinem Schöpfer prásentiren. Der Vatter gehorchte dem Sohn, und der gute Professor aß die Käse mit gutem appetit. Als das die Burschen höreten, hoben fie aus Nallerey an, die Baccalaureos Schaaf-Käse zu heissen, und von der Zeit an soll dieser Grad allemälich daselbst verwelckt sein." Vgl. weiter darüber die wißige Disputation: Theses de Hasione et Hasibili qualitate", S. 511 der „Facetiae Facetiarum" (1647), ferner S. 93 der „Nugae venales“ (1720) und daselbst 120 die Disputatio Physiologistica de jure et natura Pennalium.

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genen Lerikographie der Studentensprache eher eine abschwächende Verschung als eine wahre Repräsentation und Förderung erhalten hat, am deutlichsten und prägnantesten aber in der reichen Literatur der Facetien repräsentirt ist. Fast jede Nummer der Facetiae Facetiarum", der ,,Nugae venales" u. f. w. athmet studentischen Geist und bewegt sich in studentischen Sprachformen. Man sieht es, daß nur von diesem Geist herbeibeschworen die maccatonische Literatur von Italien her den vermessenen Sprung auf deutsches Gebiet wagen konnte, um dem fröhlichen Studententhum in die Arme zu fallen und sein spiritus familiaris zu werden. Die ,,Lustitudo studentica" und vor allem die treffliche Floia" find prächtige, üppige Genrebilder des deutschen Studententhums, welches alle effectvollen Tonmischungen dazu geliefert hat.

Nachdem einmal das deutsche Studententhum seit der Facetienliteratur in voller Blüte aufgebrochen war, wurde es auch noch dadurch als historische Erscheinung merkwürdig, daß es in seinem so üppigen wie soliden Aufstreben dem lotterigen fahrenden Scholastenthum des Mittelalters ein Ende machte, ohne daß es doch jemals mit diesem etwas gemein gehabt hätte, so wenig wie der frische Geist mit todten, vermoderten Formen sich befassen mag. Der Scholasticismus des Mittelalters mit seinen bettlerischen und landstreicherischen Jüngern hatte als seinen Gegensaz auch eine so scheue Isolirung und arge Verknöcherung des Gelehrtenstandes gefördert, daß, wie Thomas Platter's Beispiel 1) recht anschaulich zeigt, die leere äußere Form leicht copirt und vom Betrug ausges beutet werden konnte, welcher in den vagabundirenden Scholaften nicht einmal ein Gelehrtenproletariat, sondern nur eine betrügerische äußere Maske desselben aufstellte. Das deutsche Studententhum dagegen war eine reine, aus dem tiefsten Grunde des deuts schen Wesens hervorgebrochene frische Blüte auf dem fruchtbaren Boden des Protestantismus, welcher der deutschen Wissenschaft erst die vollste geistige Freiheit gab und aus den Universitäten Tempel

1) Vgl. G. Freitag, „Bilder aus der deutschen Vergangenheit“, I, 69fg. : Selbstbiographie des Thomas Platter.

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