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auch den ganzen Sprachgeist sowie die ganze Wissenschaft, Kunst, Cultur und Sitte alteriren mußte. Solche Beispiele sind zugleich ein Kriterium für die autodidakte Erlernung lebender Sprachen und von der eindringlich wirkenden Gewalt derselben, wenn man mitten in dem Volke, welches die Sprache redet, der Strömung des phonetischen Sprachelements ausgesetzt ist. Sehr wichtig ist das auch für den schwierigen Unterricht der Taubstummen, denen die Sprache ja nur wie ein Bild auf dem Papier oder auf den Lippen der mit ihnen durch Mundgesten oder auch mittels Fingerund Naturbilder redenden Personen erscheint; daher kommen denn auch bei Taubstummen die eigenthümlichsten Schreibfehler und Verstöße gegen das phonetische Sprachelement vor, wie sie selbst bei ungebildeten nicht taubstummen Personen kaum möglich sind.

Von solchen Wortlautgleichungen wird man bei lebenden Sprachen häufig überrascht. Man bemerkt sie jedoch bei der Vertiefung in die logische Wortbedeutung der Sprache, welche man redet, nicht so leicht, und sie werden meistens nur auffällig, wenn sie gesucht und dadurch erst besonders hervorgehoben werden. Daß sie aber bei dieser Hervorhebung erst recht als bloße Zufälligkeit und ihre Bedeutsamkeit dann auch desto gemachter und sie darum auch wieder desto platter erscheinen, versteht sich von selbst, wie das ja recht sichtbar ist in der bekannten, wenn auch zusammenhangslosen, doch nicht ganz wiglosen Glosse über einen mildthätigen Damenverein in einer kleinen deutschen Stadt:

Servile tamen legendarum indicasse da mites dicant se statuisse,

bei welcher man schwerlich ohne Inspiration den Schlüssel in der verwegenen schlechten deutschen Lautgleichung finden dürfte :

Sehr viele Damen legen darum in die Kasse, damit es die ganze Stadt wisse!

Aehnliche Spielereien sind: Distinguendum, d. h. dies Ding wend' um, Bezeichnung für ein Doppelkelchglas. Oder: Custos dicat se tot, d. h. Kuh stoß die Kage todt. Oder: Odi lineam hausisti merum sex urbe idem manum in succus en! d. h. O

die Line (Karoline) am Haus ist immer um sechs Uhr bei dem Mann, um ihn zu küssen. 1)

Bei der fast durchgehends gleichen Wurzelhaftigkeit der romanischen Sprachen mit der lateinischen finden sich diese Wortlautgleichungen in den romanischen Sprachen weit häufiger und behender. Namentlich sind sie im Französischen mit ebenso viel Leichtigkeit wie auch schmuziger Leichtfertigkeit und Frivolität seit Jahrhunderten ausgebeutet worden, wie denn Labourot in seinen „Bigarrures“ 2), I, F. 35 fg., wie überhaupt an allen Ecken und Enden seines so merkwürdigen wie frivolen Werkes, eine Unzahl schon damals (1584) zum Theil sehr alter Equivoques français und latin-français anführt, z. B.:

Natura diverso gaudet.

Nature a dit verse au godet.

Oder:

Requiescant in pace.

Oder:

Oder:

Ré, qui est-ce? Quentin, passez.

Iliades curae qui mala corde serunt.

Il y a des curez qui mal accordez seront.

Quia mala pisa quina.

Qui a, mal a, pis a, qui n'a.

Wenn zwar die Beziehung, in welche hier zwei verschiedene Sprachen zueinander gebracht sind, als eine ziemlich gewaltsame erscheint, so darf man weder dem sichtlich hervortretenden Scharffinn des Erfinders Anerkennung versagen, noch die ganze Bezie

1) Diese mirabilia dictu aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts find mir von lieber befreundeter und — kaum ist es ja wol nöthig hinzuzufügen theologischer Hand mit vielen andern zugestellt worden, zum Zeugniß, daß die behagliche philologische Luft des 17. Jahrhunderts auch im 19. auf den Landpfarren noch nicht ganz ausgestorben ist.

2) Der vollständige Titel ist:,,Bigarrures et touches du Seigneur des Accords avec les apophthegmes du Sieur Gaulard et les escraignes Dijonnaises, dernière édition Paris 1614." Der verschiedenen Ausgaben, auch der ältesten von 1585, ist schon im vorigen Kapitel gedacht worden.

hung als eine flache und abgeschmackte Spielerei von der ernstern Betrachtung abweisen, weil ihr Grund tiefer liegt und (zum Beweise des Strebens nach harmonischem Wohlklang, welches in der Sprache jedes gebildeten Volkes sichtbar hervortritt) in der sich fast natürlich geltend machenden Gewalt des phonetischen Elements jeder, auch der ältesten und namentlich aller orientalischen Sprathen und innerhalb der Grenzen jeder einzelnen Sprache an und für sich zu suchen ist und in dieser Hinsicht um so offener daliegt, als sogar die Prosa der Volkssprache solche Beziehungen gesucht 1) hat und diese somit nicht etwa als bloße dichterische Freiheit und Spielerei mit rhythmischen Formen erscheinen. Die Paronomafie oder Assonanz bildet z. B. im Hebräischen einen beliebten Schmuck der prosaischen Rede und ist, wenn die ähnlich klingenden Wörter auch nicht am Ende eines Verses oder Sages stehen, doch auch als Anfang des in spätern Sprachen mit künstlichem Streben ausgebildeten Endreims zu betrachten. Ja einzelne solcher hebräischer paronomatischer Ausdrücke sind sogar deutschvolksthümlich geworden, wie z. B. 2. Samuel. 8, 18:, Crethi und Plethi, Scharfrichter und Läufer, zur Bezeichnung der gemischten niedern Menge; ferner Genesis 1, 2: 12, Tohu wabohu, wüste und leer. Andere zahlreiche Stellen sind bei Gesenius, „Lehrgebäude", S. 857, angeführt, wo überhaupt das Weitere über die hebräische Paronomafie zu finden ist. Aehnliche Paronomasien finden sich viel im deutschen Volksmunde, z. B.: auf Wegen und Stegen, mit Lug und Trug, schlecht und recht, leben und weben u. s. w., sowie solche auch in allen neuern Sprachen vielfach theils unabsichtlich im Volke sich gebildet haben, theils aber auch nicht selten in gesuchter und gezwungener Form zum Vorschein gebracht werden. Besonders hat auch hier die französische Sprache sehr starken. Wucher getrieben, und Labourot gibt im ersten Theil seiner „Bi

1) Gesenius („Lehrgebände“, S. 856) will die Paronomafie als ein Spiel relksthümlichen Wißes, aus der Sprache des gemeinen Lebens hergenommen, betrachtet wissen. Doch ist dies wol nur in höherer Beziehung auf den vom Volke empfundenen Sprachgeist zu verstehen, welcher sich im phonetischen Sprachelement am nächsten und deutlichsten dem Volke offenbart.

garrures" genug Beispiele davon, welche jedoch ihrer Schmuzigkeit wegen hier nicht füglich angeführt werden können, so scharffinnig auch die meisten von ihnen sind.

Wenn bei der gleichen Befähigung der hebräischen und der deutschen Sprache zur Paronomasie es schon wie von selbst sich versteht, daß die jüdischdeutsche sowie die Gaunersprache diese Befähigung eifrig ausgebeutet haben: so ist dies aber auch noch mehr der Fall mit dem der Paronomasie verwandten Wortspiel, bei welchem entweder mit der verschiedenen Bedeutung ähnlich lautender Wörter und Wurzeln oder mit der verschiedenen Bedeutung desselben Worts gespielt, oder auf die Etymologie oder auf den Klang und auf die Bedeutung der Wörter angespielt wird. Für das Hebräische führt Gesenius, a. a. D., S. 858-860, die frappantesten Stellen aus den heiligen Schriften an. 1) Im Deutschen gibt es ebenfalls viele solcher Wortspiele, und auf das in Wortspielen sich überbietende Jüdischdeutsch wird gelegentlich Rücksicht genommen werden. Vor der Hand nur ein paar Beispiele, bei denen dem logischen wie phonetischen Element in der That starke Gewalt angethan ist: mahpach paschto, im hebräischen oder vielmehr jüdischdeutsch-provin ciellen Accent: Ma Pauch fascht du (mein Bauch fastest du?), eine sehr gewöhnliche spöttische Redensart über jemand, welcher andere fasten läßt und sich selbst damit verschont. Ebenso: Er hält taanisEsst-er (taanith Esther), von jemand, der am Purimfeste (s. u.) nicht fastet, sondern ißt (eßt er). Vgl. das sehr zu empfehlende Werk von Abraham Tendlau:,,Sprichwörter und Redensarten deutschjüdischer Vorzeit. Als Beitrag zur Volks, Sprach- und

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1) Mit großem Fleiß find die Bedeutungen aller biblischen Namen gesam melt und erläutert in dem schon recht selten gewordenen Werke von A. E Mirus: Onomasticum Biblicum. Oder Lexicon aller Nominum propriorum derer Menschen, Länder, Städte, Flecken, Dörfer, Flüsse, Seen, Meere, Berge, Thäler und andern Sachen, welche in der Heiligen Schrift, sowohl Alten als Neuen Testamentes vorkommen u. f. w." (Leipzig 1721). Allerdings sind einige Etymologien gezwungen, mitunter auch geradezu falsch; doch ist das Werk noch immer recht brauchbar. Die ziemlich zahlreichen Druckfehler fallen leicht ins Auge.

Sprichwörterkunde. Aufgezeichnet aus dem Munde des Volkes und nach Wort und Sinn erläutert“ (Frankf. a. M. 1860), Nr. 661, 662.

Fünfundzwanzigstes Rapitel.

d) Die Sprache deutscher Volksgruppen.

Läßt man den Blick mit genauer Forschung durch das wilde Geftrüpp der Gaunersprache auf den Boden hinabgleiten, aus welchem jenes hervorgewuchert ist, und verfolgt man das dichte weitreichende Wurzelgeflecht unter diesem Boden in seinen langen Erstreckungen, so muß man über die Polypenwüchsigkeit dieses Wurzelwerks erstaunen, welches unter den Boden aller, selbst der entlegensten, socialpolitischen Kreise hineinzudringen und überaus reichliche Nahrung von diesen zu gewinnen gewußt hat. Wenn man in diese Kreise hineinblickt, unter deren Boden ein so giftiges Gewächs Wurzel gefaßt hat und häufig mit üppigem Wucher zu Tage hervorbricht, so ahnt man oft kaum, daß mitten unter den Sprossen frischer fröhlicher Kraft des gemeinsamen socialen oder gewerblichen Lebens so unheilvolle Triebe hervordringen und zur giftigen Frucht gezeitigt werden konnten. Erkennt man nun in der Standesgruppirung nicht eine Isolirung des bestimmten Kreises, sondern eine von demselben Geist und Bewußtsein der socialpolitischen oder gewerblichen Aufgaben beseelte, gemeinsam strebende Vereinigung als integrirenden Theil der ganzen Volksmasse, welche durch die Centralisirung der verschiedenen Standesgruppirungen ihr organisches Gesammtleben darstellt und fördert: so ist es bei dem Auslaufen aller Gruppirungen in die große Gesammtheit erklärlich, wie schon die Infection einer einzelnen Gruppe verderblich auf die Gesammtheit wirken mußte. Es läßt sich auf culturhistorischem Wege nachweisen, daß das Gaunerthum nicht nur die freiesten und frischesten socialpolitischen Kreise inficirt und in ihnen ein bedenkliches sittliches Siechthum zu erzeugen vermocht hat; sondern daß es auch ganze einzelne Gruppen, wie z. B. die der „Töchter

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