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bukadnezar nach Babylon verpflanzten Juden kehrten fortwährend einzeln nach Palästina zurück, oft in größern Gruppen, und brachten das Aramäische schon als ihre Muttersprache aus dem langen Eril mit. Dazu machte das Samaritanische 1) als ursprünglich aramäischer Dialekt mit dem Syrischen (da die Juden ja auch durch Syrien weit verbreitet waren) sich geltend, und somit verfloß das Hebräische allmählich zum hebräisch gefärbten aramäischen Dialekt bis zum gänzlichen Aussterben der heiligen Sprache als Volkssprache im 4. Jahrhundert n. Chr., sodaß fortan den Gemeinden der vorgelesene Urtert der heiligen Bücher von einem eigenen Ueberseßer versweise aramäisch überseßt werden mußte.

Noch früher war der heiligen Sprache im Dccident der Untergang durch die Herrschaft der griechischen Sprache bereitet wors den, welche, von den jüdischen Gelehrten in Palästina hochgeachtet, selbst in das Hebräische eingedrungen und sogar Muttersprache der (hellenistischen) Juden in den griechischen Städten Palästinas, in Aegypten, Cyrene, im asiatischen und europäischen Griechenland geworden war. 2) Sehr merkwürdig ist die Novelle 146 Justinian's 3) vom Jahre 541: ut liceat Hebraeis secundum traditam legem sacras scripturas Latine vel Graece vel alia lingua legere u. s. w., weil sie ein lebendiges Zeugniß davon ist, wie weit sich die Juden auch schon im Occident verbreitet und wie tief sie sich überall eingebürgert hatten, sodaß die Sprache ihres

1) Zunz, a. a. D. Sehr merkwürdig ist die Bezeichnung AV17, (di&tal, im Sanhedrin für die aramäisch redenden Samaritaner, und V7 |V, die aramäische Volkssprache, sowie U vи, das aramäische Sprichwort, Gleichniß. 2) 3unz, S. 10.

3) Nov. 146, cap. 1: Sancimus igitur licentiam esse volentibus Hebraeis per synagogas suas, in quocunque Hebraei omnino loco sunt, per graecam vocem sacros libros legere convenientibus, vel etiam patria forte (Italica hac dicimus lingua) vel etiam aliorum simpliciter, una scilicet cum locis etiam lingua commutata, et per ipsorum lectionem per quam clara sunt quae dicuntur convenientibus omnibus deinceps, et secundum haec vivere et conversari. Am Schluß des Kapitels wird für die griechische Lesung die LXX empfohlen, quae omnibus certior est et prae aliis melior judicata" etc.

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neuerworbenen Vaterlandes ihnen bei ihren gottesdienstlichen Verfammlungen zur Erklärung ihrer alten heiligen Bücher dienen mußte. Ueber die Einbürgerung der hebräischen Sprache mit dem Judenthum in den europäischen Ländern und besonders in Deutschland findet man viel Ausgezeichnetes in den schon mehrfach erwähnten Werken von Zunz und J. M. Jost.

Bei der Begegnung der in eben dargestellter Weise verfärbten hebräischen Sprache mit der deutschen Sprache im Jüdischdeutschen ist hier nur kurz zu bemerken, daß, so unleugbar die Hin- und Herwirkungen und gegenseitigen Abfärbungen der in so nahe Berührung miteinander gebrachten Sprachen sind, man dennoch sich sehr zu hüten hat, aus den gleich oder ähnlich lautenden Wurzeln deutscher oder hebräischer Wörter sogleich auf eine Verwandtschaft und gleichmäßige Abstammung beider getrennter Sprachstämme zurückzugehen. Die Zeit, in welcher man, auf schiefe und gezwungene Anschauungen gestüßt, überall den Zusammenhang abendländischer Sprachen mit der hebräischen nachzuweisen sich eifrig bestrebte, liegt uns noch viel zu nahe, als daß nicht die Versuchung, namentlich für den Laien, noch immer groß sein sollte, auf diesem frühern, erst von der herrlichen neuern Sprachvergleichung mindestens als gefährlich bezeichneten Wege weiter zu gehen, wenn man soviel gleich oder ähnlich Lautendes oder verwandt Scheinendes neben und durcheinander erblickt. Doch ist mindestens vor der Hand wohl zu beherzigen, was Gesenius, „Geschichte der hebräischen Sprache und Schrift“ (Leipzig 1815), S. 651 über diesen Gegenstand sagt, bis es der mit bewundernswürdigem Geist und Fleiß arbeitenden neuern Sprachvergleichung gelungen ist, den richtigen Weg nachzuweisen, der unzweifelhaft vorhanden, aber seit Jahrtausenden undurchdringlich verwachsen ist.

Einundzwanzigftes Rapitel.

2) Die deutsche Sprache.

Mit gutem Recht bemerkt Genthe S. 12, ehe er den großen Sprung von Cicero auf Williram macht, daß im mittelalterlichen Deutschland das Lateinische als Sprache der Geistlichkeit seine Herrschaft ebenso weit verbreitet hatte wie ehedem das römische Volk seine politische Herrschaft, und daß die Landessprache gleichsam in einem Kampfe sich hervorringen mußte. Wenn Genthe nun auch das Ringen der deutschen Sprache nach freier Selbständigkeit anerkennt und die Spuren des Lateinischen in ganzen Wörtern und Phrasen bei Williram (älterer, bei Genthe ganz übergangener Urkunden nicht zu gedenken) findet, so durfte er nicht unmittelbar darauf die Ansicht Bouterwek's, .welche schon oben angeführt ist, adoptiren, daß schon in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts diese Sprachmengerei sich angekündigt habe. Die deutsche Sprache fuchte gerade in jener Zeit mit dem eifrigsten Streben sich vor der lateinischen geltend zu machen und aus dem Volke in die Schriftsprache hinaufzudringen. Sie hatte aber noch nicht die Gewalt und Gewandtheit zur raschen und vollständigen Emancipation. Sie wurde eben noch durch die herrschende Gewalt des römischen Cultus und seiner Sprache zurückgehalten. Hatte fie aber noch an den Spuren dieser Sprache zu tragen, so schleppte sie die lateinische Sprache insoweit kaum noch als Sprache, sondern schon als zerbröckelte, von ihrem Sprachgeiste schon längst verschmähte fremde Sprachmasse nur in den Rudimenten einzelner Wörter und Säße mit sich hindurch, ohne sich selbst jemals mit der lateinischen Sprache zu verseßen, bis sie endlich die ganze Last abwerfen konnte. Von einer wirklichen Sprachvermischung ist nicht die Rede, wenn es z. B. in Williram's Erklärung des Hohen Liedes 3, 11, heißt:

Ir gûoten sêla, ir der hîe birt positae in specula fidei, unte ir gedinge hât daz ir cúmet in atria coelestis Hierusalem, tûot iu sélbon êinan rûm, daz iuvich nechêin uuérlich

strepitus geírre, ir negehúget alliz ána der mysteriorum iuveres redemptoris unte der dúrnînon corônon, die imo judaica gens ûf sázta, díu sîn mûoter uuás secundum carnem etc.

Man sieht hier, wie an allen gleichzeitigen, ja noch frühern Stellen, in dem Wechsel des vorherrschenden Deutschen mit einzelnen lateinischen und lateinisch flectirten Wörtern durchaus keine Vermischung der Sprachen, sondern beide Sprachen mit unverlegten Flerionen in ihren Gegenfäßen getrennt nebeneinander stehen und man erkennt den aufgeklärten deutschen Abt des 11. Jahrhunderts, der, obwol seine ganze Bildung von römischem Cultus und römischer Sprache getragen war, das Möglichste that, um sich der lateinischen Sprache zu entringen, und welcher nur noch die lateinischen Bezeichnungen beibehielt, weil sie kirchentechnische Termini waren und populäres Verständniß erlangt hatten, oder weil er selbst nicht das richtige deutsche Wort sogleich finden konnte. Man darf nie vergessen, daß jene alten Sprachdenkmäler zumeist religiöse Gegenstände behandelten und fast ausschließlich von Geistlichen, den einzigen Trägern der Wissenschaft überhaupt, herrühren, und daß gleichzeitige, ja noch viel ältere, nicht aus dem Cultus entsprungene Sprachdocumente, wie z. B. der Schwur der Könige und der Völker zu Strasburg (842): In godes minna ind in thes christianes folches ind unser bêdhêro gehaltnissi u. f. w. 1), das Lied auf den Sieg König Ludwig's III. bei Saucourt (881) aus dem 9. Jahrhundert 2), eine von allen lateinischen Einschaltungen freie deutsche Sprache enthalten.

In gleicher Weise verhält es sich mit den freilich viel spätern, von Genthe, wie es scheint, mit ungenauer Kenntniß der Richtung und Bedeutsamkeit des wackern Peter von Dresden († 1440) nur sehr oberflächlich und auch mit Unrecht hierher gezogenen kirchlichen Gesängen dieses merkwürdigen Zeitgenossen des Johannes Huß. Wenn je ein Kirchenlieddichter des Mittelalters

1) Vgl. Wackernagel, „Althochdeutsches Lesebuch“, S. 76, 23.

2) Ebend., S. 106.

Avé kallemant, Gaunerthum. III.

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dahin strebte, den Gottesdienst von dem schon längst dem Volfe unverständlich gewordenen Latein loszureißen, so war es Peter von Dresden; er hatte rein deutsche Lieder für die Kirche gedichtet und, da ihm diese Abweichung vom römischen Klerus gewehrt wurde, sich selbst an den Papst gewandt, welcher mindestens diejenigen Lieder zuließ, welche Peter von Dresden abwechselnd Vers um Vers mit Latein durchzogen hatte, um dem römischen Cilltus und dem deuischen Drange gleiche Genüge zu leisten. Diese herrlichen Lieder, unter denen die bekannten: In dulci jubilo; Puer natus in Bethlehem; Quem pastores laudavere; In natali Domini; Nobis natus hodie u. f. w., welche man auch noch in den meisten protestantischen Gesangbüchern des vorigen Jahrhunderts, unter andern auch im lübeckischen vom Jahre 1723 findet, hat auch Luther, der Schöpfer des deutschen Kirchengesangs, lobend anerkannt und beibehalten (,,auff daß man ja sehen möge, wie dennoch allezeit Leute gewesen sind, die Christum recht erkandt haben"). Das Nähere über diese Lieder findet man §. 104 fg. der Abhandlung von Jakob Thomasius 1):,,De Petro. Dresdensi." Die nun aber zugleich dabei von Genthe S. 14 erwähnten satirischen Gedichte sind wieder gerade der Gegenbeweis seiner Behauptung, da man sie, wie die Satiren der Alten, als scharfe Geiseln erkennen muß, welche von Spott und bitterer, ja gehässiger Satire gegen die entartete, versunkene Geistlichkeit geschwungen wurden. Diese persiflirenden Knittelverse sind so feindselig, schmuzig und herabwürdigend, daß man sich scheuen muß, von der Flut derselben auch nur eine Probe zu geben. 2) Doch sieht man auch

1) Ich besize diese sehr werthvolle Monographie nur in der Ueberseßung bei 3. C. Mieth:,,Deliciarum manipulus“ (Dresden und Leipzig 1703). Nr. 1 unter dem Titel: „M. Jac. Thomasii Curiöse Gedancken Vom Dreßdnischen Peter. Aus dem Lat. ins Deutsche überseht von M. M. 1702."

2) Mehrere solche Gedichte sind enthalten in den sehr selten gewordenen „Nugae venales, sive Thesaurus ridendi et jocandi ad Gravissimos Severissimosque Viros, Patres melancholicorum conscriptus" (Ausgaben von 1691, 1694, 1720). Nur leytere ist in meinem Besiße. Obige Probe steht G. 280.

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