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Vor allem muß man die Berechtigung eines jeden Volkes anerkennen, im Verkehr mit fremden Völkern und deren Sprache nach den verschiedenen Bewegungen des Zeitgeistes in religiöser, sittlicher und wissenschaftlicher Hinsicht seinen Wortvorrath durch Einbürgerung von Fremdwörtern zu bereichern. Wenn auch dieser zunächst nur durch den Verkehr veranlaßten Bereicherung häufig lein wirkliches Bedürfniß zu Grunde lag, so strebt doch jede gebildete Sprache danach, selbst einen Ueberfluß von Wortformen sich zu eigen zu machen, um damit den wichtigen Zweck der Bezeichnung von Unterschieden der Bedeutung zu erreichen. So gibt es denn bei diesem Ueberfluß in der Sprache der Bildung eine Menge fremder Wörter, welche der eigentlichen Volkssprache fremd geblieben sind, aber durch das höhere Bedürfniß der Sprache der Bildung, namentlich zum Ausdruck abstracter Begriffe und zur Bezeichnung wissenschaftlicher und künstlerischer Gegenstände und Begriffe, Aufnahme gefunden haben. 1) Unleugbar ist, daß troß dieser Bereicherung die Sprache an sich zurückgegangen ist, wie man denn kaum eine treffendere Wahrheit finden kann als die, welche Schleicher (,,Sprachen Europas“, S. 12) ausspricht, daß Geschichte und Sprachbildung sich ablösende Thätigkeiten des menschlichen Geistes sind. 2)

1) Vgl. das Weitere bei Becker, I, 57.

2) Vortrefflich ist dazu die aus Schleicher's früherm Werke „Zur verglei chenden Sprachengeschichte“ (Bonn 1848), S. 17 herbeigezogene Bemerkung: In der Sprache erscheint der Geist sowol der Menschheit im allgemeinen als der eines jeden Völkerstammes im besondern in seinem Anderssein, daher das Wechselverhältniß von Nationalität und Sprache; derselbe Geist, der später in seiner geschichtlichen Freiheit die Nationalität erzeugte, brachte früher in seinem Hingegebensein an den Laut die Sprache hervor. Ebenso erscheint der Weltgeist in der Natur in seinem Anderssein, es ist dies der erste Schritt nach dem reinen Ansich; in dem Maße aber, als der Geist zu sich selbst kommt, für sich wird, schwindet jenes Anderssein, zieht er sich aus ihm zurück, wendet ihm seine Thätigkeit nicht mehr zu. Was die vormenschliche Periode in der Geschichte unsers Erdballs, das ist die vorhistorische in der Geschichte des Menschen. In erferer fehlte das Selbstbewußtsein, in der leßtern die Freiheit desselben; in ersterer war der Geist gebunden in der Natur, in leßterer im Laute, daher dort die Schöpfung des Reichs der Natur, hier die des Reichs der Laute. Anders

Ist die durch historische Processe bewirkte Entstehung von Sprachen, z. B. die der ganzen romanischen Sprachfamilie, noch bei weitem mehr ein Beweis vom Untergang einer Sprache, indem die eine Sprache nur durch die unmittelbare Abhängigkeit eines Volkes von einem herrschenden Volke und dessen Sprache zerseßt und in ihrer ursprünglichen Reinheit verdunkelt und unterdrückt werden konnte: so zeigt sich doch auch, daß da, wo der Sprachgeist sich noch frei bewegen konnte, die fremdartigen Zusäße, welche die Formen starr und für das Volk unverständlich machten, von diesem Sprachgeist zurückgewiesen und somit die originalen Sprachsubstanzen vor der Zerseßung bewahrt wurden, wie ja die deutsche Sprache troß der vielfachsten Angriffe und Gefahren sich dennoch am freiesten von ́der Vermischung mit fremden Sprachen gehalten hat. Ein nicht geringes Verdienst hat dabei stets die ohnehin immer von einem hohen Grade nationalen Freiheitsgefühls zeugende Volksliteratur und besonders die Satire gehabt, indem sie in übermüthigem Spotte die erkannte nahende Gefahr dadurch bloßlegte, daß sie die Unmöglichkeit fremdartiger Formen offen darlegte und dem Spotte preisgab. In dieser Weise machte schon Aristophanes mit lachendem Munde auf die in den fremdartigen Formen herannahende Gefahr der Entartung aufmerksam, z. B. in den „Acharnern", in welchen der Megareus und Boiotes schon als höchst komische, scharfgezeichnete Dialekttypen 1) hervortreten und wo im hundertsten Verse:

in unserer Weltperiode, in welcher sich im Menschen der Geist concentrirt und der Menschengeist sich aus den Lauten herausgezogen, freigemacht hat. Die mächtige, gewaltsam thätige, von schöpferischer Potenz stroßende Natur früherer Weltperioden ist in unserer jeßigen zur Reproduction herabgekommen, fie erzeugt nichts Neues mehr, nachdem der Weltgeist im Menschen aus dem Anderssein zu sich gekommen; seitdem der Menschengeist und der Mensch ist

und bleibt doch der Mikrokosmus zu sich kam in der Geschichte, ist es aus mit seiner Fruchtbarkeit im bewußtlosen Erzeugen seines concreten Bildes, der Sprache. Seitdem wird auch sie nur reproducirt, aber in den Sprachgenerationen zeigt sich eine immermehr um sich greifende Entartung.“

1) Wem fällt hierbei nicht die moderne, immer komische Stereotype des „Zwickauer“ in dem von Muthwillen, Laune und Satire übersprudelnden berliner „Kladderadatsch“ ein?

sowie V. 104:

ἱαρταμὰν ἐξαρξ ̓ ἀναπισσόναι σάτρα,

οὐ λῆψι χρυσο, χαυνόπρωκτ ̓ Ιαοναῦ,

ein gräuliches perficirendes Griechisch herausklingt. 1) Mit diesem Mischmasch wollte der schelmische Aristophanes offenbar die Person eines bei den Athenern zur Zeit beglaubigten fremden (persischen) Gesandten perfifliren, indem er rasch und kurz mit diesen zwei Versen eine Figur über die Bühne schreiten ließ, von welcher die lachenden Athener recht wohl wußten, wer damit gemeint sei. Der Hieb auf diese Person fällt ja um so schwerer, als unmittelbar darauf (V. 115-122) vom Dikaiopolis die Entdeckung gemacht wird, daß unter der Begleitung dieser Caricatur (Pseudartabas) die beiden verkleideten Athener Kleisthenes und Straton, übel berufene Subjecte, sich befinden.

In ähnlicher Weise führt Plautus im fünften Act seines „Poenulus“ das Punische ein, von welchem übrigens F. Hißig in Zürich eine ganz herrliche, tüchtige Erklärung 2) gegeben hat. So klar und verständlich nach Hizig's Kritik und Erläuterung in der ersten Scene das Punische in Hanno's Munde ist, so überaus komisch ist das von Plautus dem unkundigen Sklaven Milphir in den Mund gegebene falsche Verständniß punischer Brocken und deren Wiedergabe nach lateinischer Afsonanz. Diese carikirten Vorführungen erotischer Sprachformen, welche an sich für die heimische Sprache gar nicht möglich waren und selbst vom populärsten Dichter nicht gewagt werden durften, wenn sie nicht schon dem Volke durch längern Verkehr kenntlich und verständlich geworden waren, zeigen gerade durch den Ort, durch den Zweck

1) Vgl. die Glosse von S Bergler in seiner Ausgabe des Aristophanes (Leiden 1760), S. 474: Jocatur quasi Persice loquens, und zu V. 104: Clarius hoc dicit, sed barbarizans: οὐ λήψει χρύσον, χαυνόπρωκτε Ιον,

Non accipies aurum, o effoeminate Ion, non. Iones proprie Athenienses dicuntur et 'Iάoves per dialectum quamdam.

2) F. G. Welcker und F. Nitschl, „Rheinisches Museum für Philologie", Jahrg. 10, S. 77 — 109. Vgl. noch daselbst Wer im Jahrg. 9, S. 312 fg. and Jahrg. 12, S. 627 fg. über denselben Gegenstand.

und durch die Weise, wo und wie sie unternommen würden, recht deutlich, wie sehr Dichter und Volf einig waren in bewußter Empfindung des römischen Sprachgeistes, welcher hier in der lachenden Satire einen recht ernsten Sieg feierte.

Während Cicero in seinen philosophischen Schriften, weniger in seinen Briefen, sich griechischer Wörter bediente, erkannte er mit seiner gerade durch ihn zu ganzer classischer Höhe geförderten Sprache deren volle Berechtigung an, zu ihrem Wortvorrath griechische Wörter aufzunehmen. Er war um so mehr befugt zu dieser Aufnahme, als er die griechische Philosophie auf römischen Boden überführte. Die neuaufgenommenen griechischen Wörter wurden. eben durch die aufgenommenen philosophischen Begriffe selbst ers läutert, sie wurden damit sowol geistiges wie sprachliches Eigenthum der Römer und durften daher auch die lateinischen Flerionen annehmen. Ueberall aber wies der Geist der römischen Sprache jede Einmischung solcher fremdsprachlicher Wörter zurück, für welche in der heimischen Sprache schon ausreichende Begriffe vorhanden waren. Gerade dadurch, daß da, wo Unwissenheit oder Eitelkeit die vom Sprachgeist bewachte Grenze überschritt, sogleich der Spott und die Satire bei der Hand waren, um den fremden Eindringling unbarmherzig zu züchtigen und zurückzuweisen, hat der römische Sprachgeist in der Satire eine mächtige Handhabe gefunden, um, wie die Sitte durch Sittencensur, so auch die Sprache durch Rüge vor dem Untergange zu retten und sie zu befähigen, daß sie kaum je eine todte Sprache, vielmehr die immer lebenskräftige Mutter der reichen romanischen Sprachfamilie wurde, von der jedes Mitglied die charakteristischen Züge der Mutter an sich trägt. Es gibt kaum etwas Schneidenderes, ja man kann sagen Boshafteres als die Weise der römischen Satiriker, mit welcher sie auf dem reichen Boden der Volkssprache die erotischen Wörter recht unter die Füße des Volkes warfen. Sie vernichteten damit geradezu nicht nur die gegeiselte Person, sondern vernichten auch für immer allen Muth zu solchen Sprachmengungsversuchen, wie z. B. in der von Genthe S. 11 angeführten Stelle des Lucretius:

Nigra μελιχροος est, immunda et foetida ἀκοσμος
Caesia παλλαδιον; nervosa et lignea δορκας;
Parvola numilio χαριτωνια, tota merum sal,
Magna atque immanis xataràŋğıç, plenaque honoris.
Balba loqui non quit, tpavλiget, muta pudens est;
At flagrans, odiosa, loquacula λaμлadov fit,
Ιχνον ἐρωμένιον tum fit, cum vivere non quit

Prae macie, fadɩvn vero est jam mortua tussi;

At genuina et onammosa Ceres est ipsa ab Iaccho,

Simula σιληνη ac Satyra 'st, labiosa φιλημα.

So auch mußte schon hundert Jahre vor Lucretius der alte Satiriker Lucilius und noch vor leßterm der Rhodier Pitholeon die Geisel geschwungen haben, von dem Horaz, Sat., I, 10, 20, sagt:

At magnum fecit, quod verbis Graeca Latinis Miscuit, o seri studiorum! quine putetis Difficile et mirum, Rhodio quod Pitholeonti Contigit? at sermo lingua concinnus utraque Suavior, ut Chio nota si commista Falerni est wobei denn auch Horaz selbst mit seinem o seri studiorum darüber spottet, daß man die Bedeutsamkeit der Pitholeonischen Sprachweise nicht schon gleich richtig aufgefaßt hatte.

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Ganz andere Gründe aber lagen der Versetzung der alten heiligen hebräischen Sprache mit andern Sprachstoffen zu Grunde. Mit dem gefangenen Judenvolk ward auch der hebräische Sprachgeist in der freien selbständigen Bewegung gebunden. Seine sichtbar werdende Gefangenschaft und Lähmung ist ein trübes Symptom des beginnenden völligen nationalen Untergangs des Gottesvolkes, dessen Ende mit dem Absterben der hebräischen Sprache angefangen hatte. Das zu Jesaias' Zeit den Bewohnern Judäas noch unverständliche Aramäische machte sich später sehr rasch in Palästina als Volkssprache geltend, sodaß alle Acte des bürgerlichen Lebens, Sprichwörter, bestimmte Formeln für das ungelehrte Volk, Weiber und Kinder, populäre Bücher u. s. w. in aramäischer Sprache abgefaßt wurden und in Umlauf famen. Die von Ne

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