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keit der überraschendsten Combinationen nicht wenig gefördert sein. Bei der Doppelgeltung der hebräischen Buchstaben als Lautund Zahlzeichen und bei der ganzen Structur der verhältnißmäßig flerionsarmen hebräischen Sprache hat die kabbalistische Operation in sprachlicher Hinsicht immerhin etwas Behendes, ja nahezu Natürliches. Aus dieser Behendigkeit erklärt sich auch der leichte Ursprung und Eingang derjenigen phonetisch neubelebten Wörter in den Volksmund, welche, dem Notarikon entsprechend, aus den Anfangsbuchstaben abbrevirter Wörter entstanden und wovon schon oben Beispiele aus dem jüdischdeutschen Wortvorrath angeführt sind, wie 17, JD, 4, 47 u. s. w. Andere Beispiele wird man im Wörterbuch finden.

Aeußerst ungeschickt sind nun aber die kabbalistischen Nachahmungen in deutscher Sprache, deren Buchstaben schon durch den gänzlichen Abgang der Zahlengeltung völlig ungeeignet für die Kabbala, besonders aber für die Gematria find. Dennoch hat sich die plumpe Nachahmungssucht sogar in der Gematria versucht, wobei denn durch die höchst willkürliche und höchst verschieden statuirte Zahlengeltung der deutschen Buchstaben, welche jeder deutsche Kabbalist den Buchstaben seiner Muttersprache ganz nach seinem subjectiven Willen beilegte, Geist, Geltung, Natürlichkeit und Behendigkeit der originellen jüdisch-kabbalistischen Construction verloren ging. Die deutsche Kabbala ist dadurch eine sehr matte, breite, widerliche Erscheinung geworden.

einen flüchtigen Begriff davon zu verschaffen, mag hier eins der kabbalistischen Paragramme wiedergegeben werden, welche Schudt, a. a. D. im lezten Supplement, mit Genugthuung abdrucken läßt. Man muß dies vollkommen geistlose Machwerk des J. F. Riderer in Nürnberg, von dem Schudt nichts anderes sagt, als daß er sein „, Hoch - werth - geschäßter Gönner“ sei, für echten nürnberger Land halten, wenn man nicht in dem apostrophirenden großgedruckten Ihnen" des nach Röm. 11, 8, gebildeten Paragramms eine cynische Bosheit des Riderer argwöhnen könnte. Der sehr autokratisch und unnatürlich statuirte Schlüssel zu dem Paragramma Cabbalisticum Trigonale" wird gegeben mit dem im

"

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vierten Theil (Continuation), S. 308, mitgetheilten Alphabeta Cabbalisticum:

a b с d e f g

1 3

0

h i k 1 6 10 15 21 28 36 p q s t u 105 120 136 153 171 190 210 231

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45 55 66 78 91

VV

X y Z

Das Paragramm lautet nun: Röm. 11, 8.

253 276 300

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Selbst die in jüdischdeutscher Sprache gemachten Versuche, obwol hier die den Buchstaben eigenthümliche Zahlengeltung behende Hülfe bietet, fallen sehr traurig und flach aus. Eins der tollsten

und gehässigsten Stücke, welche von den deutschen Kabbalisten, meistens Meschummodim, in hebräischer Sprache geleistet worden. find, wird von Schudt, I, 427, als „scharfsinnige Erfindung und artliche recht wundernswürdige und angenehme Application" des jüdischen Apostaten Paulus Christiani, nachmaligen Professors der Hebräischen und Rabbinischen Sprache zu Halle", gegen den Samuel Heydelberg angeführt, welcher leztere für die Juden den Proceß gegen Eisenmenger's,, Entdecktes Judenthum" 1) geführt hatte. 2) Das Paragramm bezieht die leßten Worte des zehnten Verses im einundzwanzigsten Psalm: 8 801 (und Feuer wird sie fressen) auf den Samuel Heydelberg, weil Christiani herausaddirt hat, daß das Zahlenaggregat der Buchstaben in den

ben Samuel Pentels) לשמואל היידילבערג בהם : drei Wortern

berg aus ihnen), nämlich 798, dem Aggregat aus den beiden Worten des Pfalmisten gleichkommt.

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1) Vgl. die Literatur Th. I, S. 233.

2) Sein voller Name ist: Samuel Heydelberg Oppenheimer. Er starb

1703 zu Wien in sehr geachteten Verhältnissen.

Es wäre höchst unerquicklich, noch mehr solcher kabbalistischer Misgeburten anzuführen, mit welchen die müßige deutsche Gelehrsamkeit früherer Jahrhunderte das edle freie Gebiet deutschen geistigen Strebens verunziert und dem Galimatias Thor und Thür geöffnet hat. Bezeichnend ist noch, daß, wenngleich die jüdisch, deutsche Sprache mit ihren Zahlenbuchstaben immer noch behend und glücklich in allen kabbalistischen Metamorphosen sich versuchen. fonnte, dennoch das nicht minder behend schlüpfende Gaunerthum niemals rechtes Glück mit kabbalistischen Positionen auf deutschem Sprachboden zu machen vermochte, sondern mit seinen themuratischen oder anagrammatischen Verseßungen immer in den Galimatias verfiel und daher nur wenige, offenbar nach themuratischer Methode transponirte gaunertechnische Wörter, wie z. B.: Jkbre für Brücke; Obelke (Opelke, Ockelbe) für Buckel; Kize für Zicke 1) (Ziege); Appeke (Oppeke, Opekü) für Kappe u. s. w. in Gang bringen und erhalten konnte. Das Weitere vgl. oben Kap. 40 und im Wörterbuche.

Fünfundachtzigstes Kapitel.

b) Syntaktische Bemerkungen.

Schließlich noch einige syntaktische Bemerkungen, welche bei den einzelnen Redetheilen noch nicht erwähnt worden sind. In Betreff der Wortbildung zeigt sich im Jüdischdeutschen

1) Kige ist offenbar Nebenform von Kaze. Schwenck, S. 316; Adelung, II, 1593. Im Niederdeutschen ist aber Zicke die Ziege. Sollte nicht dies Kīze in der Bedeutung Ziege aus einer Transpoñtion des niederdeutschen Zicke entstanden sein? Oder will man erst Kize aus dem Wendischen nehmen, we koza Ziege bedeutet, oder vom schwedischen kidd oder englischen kid, Ziege, berleiten? An Adelung's ", gedi, Bock, ist doch gewiß am allerwenigsten zu denken. Im Ungarischen ist für Kige ketzke; im Böhmischen kočka (koschka). Im Jüdischdeutschen ist das unhebräische, chossul, Kage, und das talmudische, schunra, Rage, vom talmudischen, schunar, schnarren, schnurren.

eine Vorliebe für die Bildung von Deminutiven, besonders durch die angehängte Silbe, che, unser hochdeutsches chen, niederdeutsch ken. Doch hat, wie im Niederdeutschen 1) das ken, dies jüdischdeutsche che weniger den schmeichelnden, liebkosenden Charafter des hochdeutschen chen, sondern bezeichnet höchstens nur das Kleine überhaupt, z. B.: pи, Mokom, Ort, п, Mo komche, kleiner Ort; inz, Bsule, die Jungfrau, zina, Bfulche, ein kleines Mädchen; pv, Schickse, ein Christenmädchen, po, Schickseche, ein kleines Mädchen. Bei manchen Substantiven findet man die Endung lich, z. B.: Perlich, Maidlich, Fingerlich, Kinderlich, Knäblich, Söhnlich. Höchst eigenthümlich findet man diese Endungen niemals im Singular, sondern stets nur als Plural, und zwar von Substantiven, welche auf oder 13 enden, sodaß hier ein gewissermaßen specifisch jüdischdeutscher Plural indicirt ist, 3. B. D, Perlche, Pl. TiD, Perlich; 137, Maidle, Pl. &iv, Maidlich u. f. w. Weniger häufig ist die Deminutivendung p, lein, obschon es in dem berühmten Passachabendliede, 77, chadgadje, zum Ueberfluß häufig vorkommt, 3.B.: pp, Zicklein; iv, Väterlein; pvp, Käßlein; 117, Hündlein; ppvvv, Stecklein; pir»5, Feuerlein; pït, Wasserlein.

So außerordentlich reich der Wortvorrath der jüdischdeutschen Sprache ist, so arm ist sie an Ausdrücken, welche man durchaus specifisch judendeutsch nennen dürfte. In der ganzen Entstehung und Wesenheit der jüdischdeutschen Sprache als einer nicht natürlich gewordenen, sondern künstlich gebildeten Sprache liegt der Grund, warum fast alle jüdischdeutschen Ausdrücke auf eine bestimmte vorhandene Sprache zurückgeführt werden können, aus welcher sie entlehnt sind. Schon im Liber Vagatorum tritt das

1) Vgl. J. Wiggers,,,Grammatik der plattdeutschen Sprache. In Grundlage der Mecklenburgisch - Vorpommerschen Mundart“ (zweite Auflage, Hamburg 1858), S. 96. Zu bedauern ist, daß diese treffliche, mit Geist und Kenntniß geschriebene Grammatik sich, wie schon erwähnt, allzusehr in das Mundartige verliert und Wiggers nur die specifisch mecklenburgisch-vorpommersche Mundart feiner Grammatik zu Grunde gelegt und die trefflichen Bemerkungen des alten wackern Hamburgers Nicheh ganz außer Acht gelassen hat.

Avé-Lallemant, Gaunerthum. III.

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