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Uebergang zu den Missionsliteratoren macht. Vermöge seiner theologischen und juristischen Bildung, seiner ausgedehnten Reisen und seiner Stellung als Bibliothekar in Altdorf konnte Wagenseil viel Material zu seinen Schriften zusammentragen und hat es auch nicht versäumt, in seiner „Belehrung“ eine Chrestomathie der interessantesten Sachen aus der Literatur zu sammeln 1), welche man sonst nicht leicht findet. Das ist der größte Vorzug des vorliegenden Buchs, welches in der Grammatik weit über Pfeiffer hinausgeht, aber doch Burtorf bei weitem nicht erreicht und nur als eine trockene Anleitung zum Lesen des Jüdischdeutschen gelten kann, übrigens durch ganz ungehörige lange Tractate über den Aussaß, über die Ausschuhung, über die Heirath zweier Schwestern hintereinander, sowie durch den schwülstigen „Fürtrag“ und die lange „Fürrede“ überladen ist. Auf das Grammatische wird weiterhin Rücksicht genommen werden.

Im Jahre 1709 erschien in Frankfurt a. M. von J. M. Koch eine,,Brevis manuductio ad lectionem Scriptorum JudaeorumGermanicorum" auf einem einzigen Druckbogen. 2) Sie wird schon von Chrysander im Vorbericht zu seiner Grammatik als „selten und zu kurz“ bezeichnet. Ich habe sie troz aller Nachfrage

der Kleider, und der Häuser, ehemahlen in dem Jüdischen Land, für eine Bewantnus gehabt. Zur Zugabe wird ein Bedenken beygefüget, wodurch die viel und lang höchst-strittig gewesene Frage: Ob die Heil. Schrift einem Manne erlaube zwey Schwestern nach einander zu heyrathen? dermaleins zu bescheiden, und die Bejahung allerdings fest zu sehen gesucht wird. Königsberg, gedruckt in dem 1699. Heyl-Jahr. In Verlegung Paul Friederich Rhode, Buchhändlers daselbst."

1) z. B. die drei Osterlieder:,, Allmächtiger Gott nun bau dein Tempel, schiera!" S. 105; „Eins das weiß ich", S. 106;,,Ein Zicklein, ein Zicklein, das hat gekauft mein Väterlein", S. 109;,,Das Vinz Hans Lied“ (Aufruhr zu Frankfurt 1614), von Helenius Wertheimer; „Ein schön Mase von König Artis Hof" (Ritter Wieduwilt mit dem Rade), nach dem „Wigalois“ des Vrynt von Grävenberg († 1212), S. 149; Uebungen aus dem teutsch - hebräischen Dialekte", aus Sitten- und Maasebüchern gesammelt, S. 305, von denen einiges weiterhin abgedruckt ist.

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2) Schudt,,, Jüdische Merkwürdigkeiten“, II, 289, führt sie ebenfalls an und nennt sie leicht deutlich und artlich". Koch wird von ihm als stud. theol. aus Eisenach bezeichnet.

nicht zu sehen bekommen können. Sie scheint indessen unbedeutend zu sein, da sie nur bei Schudt und Chrysander, sonst aber nirgends erwähnt wird.

Siebenundvierzigstes Kapitel.

b) Die chriftlichen Missionsgrammatiker.

Während man das 17. Jahrhundert von Burtorf an bis Wagenfeil als die Zeit bezeichnen kann, in welcher es bei Beachtung des Judendeutsch nur auf eine rein linguistische Behandlung ohne proselytische Tendenzen abgesehen war, so traten die leßtern mit und nach Wagenfeil desto schärfer und einseitiger hervor. Kaum war Eisenmenger's,,Entdecktes Judenthum", ein schmähliches, verlogenes Pasquill auf das Judenthum und ein Werk übler, eitler und bornirter Gelehrsamkeit, unterdrückt worden, so warf sich Wagenfeil zum Führer der Judenmission auf, indem er 1703 von Altdorf aus in seiner,,Denunciatio Christiana" u. f. w. 1) gegen das Judenthum einen Hirtenbrief erließ, in welchem er unter anderm einen jährlichen Schwur von allen gefeßesmündigen Juden verlangte, „unsern Heiland hinführo ungeschmäht zu lassen“, auch eine jährliche Judensteuer zur Förderung der Judenmission vorschlug. Die ganze ,,Denunciatio", ein merkwürdiges Zeugniß blinder ascetischer Verirrung, findet man bei Schudt, „Jüdische Merkwürdigkeiten", III, 339 fg., abgedruckt. Bei dem bisherigen unüberwindlich zähen passiven Widerstand des Judenthums gegen die rohen Verfolgungen des Christenthums griff diese `vielfach mit

1),, An alle Hohe Regenten und Obrigkeiten, welche Juden unter ihrer Bottmässigkeit haben, J. Chr. Wagenseil's Denunciatio Christiana, oder Christliche Ankündigung, wegen der Lästerung, womit die Juden, unsern Heyland Jesum Christum sonder Auffhören, freventlich schmähen, mit demüthigster flehentlicher Bitte, solchem Himmel-schreyenden Uebel dermahleins, weilen es hohe Zeit,und darzu gar leicht sein kan, umb Gottes willen zu wehren, und den Mäulern der Juden Zäume und Gebisse anzulegen."

dem Schein chriftlicher Humanität gerüstete Profelyterei sehr rasch, weit und nachhaltig um sich. Ein Zeugniß gibt die am 25. April 1705 begonnene (bei Schudt, III, 1, abgedruckte) Reihenfolge von Schreiben des Königs Friedrich I. von Preußen nach Wien um Aufhebung des vom Kaiser auf Eisenmenger's Entdecktes Judenthum" gelegten Arrestes und der vom König endlich selbst angeordnete neue Abdruck dieses Werkes im Jahre 1711, welches nun ganz besonders als Orakel bei Verfolgung jüdischer Verbrecher sich geltend machte (vgl. Th. I, S. 233), aber auch den Ton angab, die jüdischen Cultusformen mit hastiger christlicher Forschung zu,,entdecken" und fegenweise in gelehrten Trödelbuden als pikante Curiositäten zu Markte zu bringen.

Eine solche gelehrte Trödelbude sind die,,Jüdischen Merckwürdigkeiten" von J. J. Schudt. 1) Dem Verfasser stand in der trefflichen frankfurter Stadtbibliothek, sowie in der dortigen Dominicaner- und Karmeliterbibliothek und in den Privatbibliotheken von Lersner, Uffenbach, Diffenbach und Geissen, welche er auch in der Vorrede erwähnt, ein Quellenschaß zu Gebote, wie solcher, namentlich zur damaligen Zeit, selten geboten wurde. Doch ist dieser Schaß nur auf kümmerliche und geistlose Weise ausgebeutet und zu einer wirren, wüsten Masse zusammengehäuft wor den, durch welche man sich nur mit großer Mühe und Entschlossenheit hindurchfinden kann. Die Geschichte des Judenthums in den verschiedenen Ländern ist auf sehr platte, geistlose und bröckelige Weise dargestellt. Ueberall sieht man die, Quellen, aber nirgends sieht man sie lebendig fließen und sprudeln. Allein gerade die zahlreichen Aphorismen und Ercerpte und der Abdruck einer nicht

1) „Jüdische Merckwürdigkeiten, Vorstellende was sich Curieuses und Denckwürdiges in den neueren Zeiten bey einigen Jahr-hunderten mit denen in alle IV Theile der Welt, sonderlich durch Teutschland, zerstreuten Juden zugetragen. Sammt einer vollständigen Franckfurter Juden-Chronik, darinnen der zu Franckfurt am Mayn wohnenden Juden, vor einigen Jahr-hunderten, biß auf unsere Zeiten, merckwürdigste Begebenheiten enthalten. Benebst einigen, zur Erläuterung beygefügten Kupffern und Figuren. Mit historischer Feder in drey Theilen beschrieben“ u. f. w. (4 Thle., 4., Frankfurt und Leipzig, 1714–18).

geringen Menge Documente und bis dahin wenig oder gar nicht gekannter jüdischdeutscher Literatur macht das Werk, namentlich im dritten und vierten Bande, zu einer wichtigen literarischen Erscheinung, obschon in grammatischer Hinsicht Schudt, welcher zu einer Grammatik wirklichen Anlauf nimmt, z. B. Buch 5, Kap. 13, Buch 6, Kap. 16 (vgl. IV, 113), so geistlose, schiefe und falsche Ansichten zum Vorschein bringt, daß man namentlich im Hinblick auf seinen ausgezeichneten Vorrath von Literatur nicht begreifen kann, wie er in solcher grammatischen Unwissenheit hat befangen sein können, daß ihm oft das Verständniß einzelner Wörter und überhaupt der jüdischdeutschen Sprache ganz abgeht. So z. B. überseßt er in der Mechirus Joseph, III, 279, das jüdischdeutsche

p mit dem ganz ungeheuerlichen Ausdruck,,Coresie“ statt Courage (Kurasche) u. s. w. So verworren nun auch das durch die unordentlichen und kümmerlichen Register nicht einmal alphabetisch, der Materie nach, übersichtlich gemachte, dicke und breite Werk ist, so viel Unwahrheiten und entstellende Druckfehler es auch enthält, so ist es doch als Sammlung der verschiedenartigsten Hinweise, Documente und literarischen Curiositäten beim Studium des Jüdischdeutschen kaum zu entbehren und verdient auf das entschiedenste hier eine Berücksichtigung.

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Gleich geistlos, doch noch bei weitem armseliger hinsichtlich des sprachlichen, literarischen und gelehrten Stoffs ist K. Calvör in feiner Gloria Christi" 1), an deren Schluß noch eine Anleitung wie das Jüdisch-Teutsche zu lesen" angehängt ist. Calvör ist der eigentliche, unverblümte Typus der von Diffenbach, Hosmann und Wagenseil mit leidenschaftlichem Eifer begonnenen

1) „Gloria Christi Oder Herrligkeit Jesu Christi. Das ist: Beweißthum der Wahrheit Christlicher Religion wider die Juden: In Form eines Dialogi oder Unterredung durch Frage und Antwort aus der H. Schrifft, Talmud, Targumim, Rabbinen und gesunden Vernunfft - Gründen verfasset, Und nebst einem Juden-Catechismus So wol im gewöhnlichen als Jüdisch-Teutschen her ausgegeben“ u. s. w. (Leipzig 1710). Schon der beigefügte, jüdischdeutsche lange Titel 1 u. s. w. ist so breit wie affectirt und in incorrecter Sprache geschrieben, und es verlohnt nicht der Mühe, ihn ganz hierher zu seßen.

Judenmission. Die ganze,,Gloria Christi" ist eine matte, breite Polemik, in welcher die Herrlichkeit des Christenglaubens in seiner gewaltigen Kraft und seiner überzeugenden einfachen Wahrheit durch den gesuchten Prunk eitler, steifer Gelehrsamkeit eher abgeschwächt als gehoben wird. Dazu schreibt Calvör in einem unbeholfenen, ungleichen, affectirten und incorrecten Judendeutsch. Diesem Judendeutsch gegenüber hat er durch das ganze Werk mit eitler Ostentation auch eine reindeutsche Uebersetzung für Nichtjuden gegeben, welche den Umfang des schwülstigen Werkes abschreckend vergrößert. Mit so schlimmen innern und äußern Mängeln war es ein eitles Beginnen, dem Jahrhunderte hindurch verfolgten und gemarterten Judenthum auf seinem eigenen Gebiete zu begegnen, in der Absicht, es dort überzeugend zu gewinnen und sieghaft auf den chriftlichen Boden überzuführen. Ein schlagendes Kriterium, wie sehr Calvör selbst fühlen mußte, daß er sich an eine Arbeit gemacht hatte, welcher er auch in sprachlicher Hinsicht nicht gewachsen war, ist die am Schluß der deutschen Vorrede in judendeutscher Sprache angehängte Entschuldigung: „Mein lieber Jehude, laß dich nit wundern, daß ich nit allzeit nach deiner Art das Loschon aschkenas gefeßt" u. s. w. Die angehängte,,Anleitung wie das Jüdisch-Teutsche zu lesen" ist nur ein fümmerlicher Auszug aus Wagenseil's „Belehrung“ und gibt nirgends etwas Eigenes und Neues.

Nach Calvör gab J. H. Callenberg, Profeffor der Philosophie zu Halle, in der eigenen Buchdruckerei des (von ihm 1728 gegründeten) jüdischen Instituts 1733 eine „Kurze Anleitung zur jüdischdeutschen Sprache" heraus, welche, wenn sie auch Burtorf und Wagenseil in der Ausführlichkeit nicht erreicht und immer nur eine bloße Anleitung zum Lesen bleibt, doch besser als die von Pfeiffer und Calvör ist und von größerer Belesenheit, Kenntniß und Einsicht Zeugniß gibt. Die Mängel seiner Grammatik hat Callenberg selbst gefühlt, indem er in die Vorrede seines später (1736) herausgegebenen,,Jüdischteutschen Wörterbüchleins“ 1) aus

1) „Jüdischteutsches Wörterbüchlein welches meistens aus den bey dem

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