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Sprache zur äußerlichen Erscheinung. Dadurch ist im Menschen. eine stete Wechselwirkung zwischen Geistigem und Leiblichem als Nothwendigkeit gegeben.

Ist der Gedanke in Wort und Sprache äußere Erscheinung geworden, so ist Wort und Sprache zum dauernden Ausdruck desselben Gedankens und Begriffs festgestellt. So bildet sich die Gesammtheit der überhaupt oder bei einem besondern Volke vorhandenen Wörter und Sprachformen, in denen die Gesammtheit der überhaupt oder bei einem besondern Volke vorhandenen Begriffe und Begriffsverhältnisse ausgeprägt und niedergelegt ist, als gesprochene Sprache, d. h. als ein Organ, durch welches die Gedanken und Begriffe des einen leicht auch andern verständlich und somit ein Gemeingut aller werden und wodurch in jedem sprachvernehmenden Geiste wieder Geistiges erzeugt werden kann. 1)

Zweites Rapitel.

B. Die Ursprache und die Sprachstämme.

Hat sich die Sprache auf organische Weise und mit innerer Nothwendigkeit gebildet und entwickelt, indem das ursprünglich gesprochene Wort in organischer Entwickelung des Einfachen zum Mannichfachen allmählich zur zusammenhängenden Sprache als Ausdruck von Gedanken, Begriffen und Begriffsbeziehungen sich entfaltete: so wird auch das klar, was ohnehin unsere wahrhaft classische Zeit glänzender Sprachvergleichung auf das überzeugendste dargethan hat, daß es eine aus der Uranschauung verleiblichte Ursprache gegeben hat, deren Einheit durch Trübung und Versehung der Uranschauungen sich gelockert und im Verlauf der Zeit durch die Wirkungen neuer Umgebungen und Einflüsse

1) K. F. Becker,,,Ausführliche deutsche Grammatik“ (Frankfurt a. M. 1836), Einl., S. 1 fg.; H. Dittmar, „Die Geschichte der Welt vor und nach Christus“ (Heidelberg 1853), I, 13 fg.

beim Auseinandergehen der Menschen sich immer weiter zerbröckelt hat. Mit dem Weiterfortwandern der sich zu einzelnen Gruppen oder Stämmen zusammenthuenden Menschen gestaltete sich dann das aus der Ursprache Gerettete zu einem verkleinerten organischen Ganzen, in welchem man den mehr oder minder größern Grad der sittlichen und geistigen Entartung jedes Stammes ausgedrückt findet.

So ist die große Menge von Sprachen entstanden, deren nachgewiesene innere Verwandtschaft auf die frühere Spracheinheit wie überhaupt auf eine einheitliche Abstammung des Menschengeschlechts zurückdeutet. Die vielen Sprachen lassen sich auf wenige Sprachstämme zurückführen. Man unterscheidet den indoeuropäischen oder indogermanischen, den semitischen, den nordafrikanischen, den finnisch-tatarischen, den malaiisch- polynesischen, den chinesischhinterindischen, den japanisch-kurilischen, den amerikanischen u. f. w. Von allen diesen kommt in vorliegender Untersuchung nur der indogermanische Sprachstamm in Betracht, welcher sich von der Südspize Vorderasiens in nordwestlicher Richtung über Südwestasien und Europa bis Island hinzieht und die vorderindischen Sprachen, die persische und alle europäischen (mit Ausnahme der türkischen, ungarischen oder magyarischen, lappischen, finnischen und baskischen) umfaßt und der größtentheils auf zweisilbigen Wurzeln beruht. Dann ferner der semitische Sprachstamm, der im Westen des großen indoeuropäischen Sprachstammes sich in Asien vom Mittelmeere bis an den Euphrat und bis zum südlichen Arabien, in Afrika öftlich vom Nilquelland bis zum Mittelmeer und von da westlich bis zum Atlantischen Ocean hinzieht. Er begreift in sich das Hebräische (mit welchem das Phönizische und Punische verwandt war), das Aramäische, welches in das Syrische und Chaldäische zerfällt, das Arabische mit vielen Mundarten und das Abyssinische (die Gißsprache); dieser Stamm geht auf dreisilbige Wurzeln zurück. 1)

1) Dittmar, a. a. D., I, 49 fg.

Drittes Rapitel.

C. Die deutsche Sprache.

Fremde Schriftsteller sind es, welche die erste Urkunde gaben von dem Dasein der germanischen Völker. Ihre Nachrichten sind nur einseitig und dürftig. Aber das Wenige, was Julius Cäsar und Tacitus mit sicherm Griffel über unsere Vorfahren aufgezeich'net haben, ist ein vollgültiges Zeugniß körperlicher, geistiger und sittlicher Tüchtigkeit, hochherziger Gesinnung, fester Treue, unerschrockenen Muthes, glühender Freiheitsliebe und kräftigen Volksehrgefühls, tiefer Verehrung des Weibes und erhabener, würdiger Begriffe von der Gottheit. So wird uns in den vielen germanischen Stämmen ein einiges Volk dargestellt auf jener festen Grundlage, welche die Basis zur Vollkommenheit ist und das Streben und Ringen nach Vollkommenheit zu einem so natürlichen und nothwendigen Lebensproceß macht, wie das ununterbrochene Hervordringen immer zahlreicherer Triebe, Blätter und Blüten eines gewaltigen Stammes, dessen mächtiger Wurzeltrieb tief und weit in den dunkeln, mit geheimnißvollen Schäßen der Mythe und Sage reich durchzogenen Erdboden faßt und dem Stamme unvergängliche Nahrung schafft. Bei keines Volkes Geschichte begreift man vollkommener, daß das Volk vor seiner Volksgeschichte eine tiefe, reiche Sprachgeschichte hatte; bei keiner Volksgeschichte strebt man eifriger, auf seine Sprachgeschichte zu dringen und seine Sprache zu begreifen, als bei dem deutschen Volke, sobald nur die Geschichte beginnt. Denn schon seine erste Erscheinung als historisches Volk ist so vollmächtig, daß man sogleich bei seinem ersten Begreifen nicht anders als auf eine gleich vollmächtige Sprache schließen kann, und vor allem sieht man in der deutschen Mythe und Sage in prägnantester Weise die Sprachgeschichte des deutschen Volkes angedeutet. So muß die Sprachforschung beim Weiterstreben in Geschichte und Sprache immer und immer wieder in die alte Offenbarung der Mythe und Sage zurückblicken, um nicht nur an den vollendet mächtigen Gesang des Volkes, als an

sein Gesammteigenthum, und an die gewaltigen Lieder zu glauben, mit welchen es seine Götter und Helden 1) vor der Schlacht oder beim Mahle feierte, sondern auch den Blick noch viel weiter tief in den Orient hineinschweifen lassen, von welchem der Glanz unserer Sprache unverkennbar deutlich herleuchtet. So gewaltig war diese germanische Sprache, daß die alten Göttersagen nicht untergingen, sondern daß sie sich in den spätern Heldensagen verdichteten und zu jenen größern Sagenkreisen sich zusammenfügten. So erscheint die spätere Siegfriedsage ursprünglich als ein uralter Göttermythus, und die so festgehaltene. Thiersage weist unverkennbar auf die früheste Zeit hin, in welcher der Mensch mit der Thierwelt in vertraulicherer Beziehung lebte und in den thierischen Instincten eine Begabung höherer Art erkannte und verehrte. 2)

Sobald nun aber auch das geistige Leben der germanischen Völker über die beschränkte älteste Kundgebung der Runen hinaus seine Entwickelung in sprachmonumentalen Erscheinungen offenbart, so erkennt man sofort in Sprache und Schrift einen Zweig jenes von der Südspige Vorderasiens in nordwestlicher Richtung über Südwestasien und Europa bis Jsland sich hinaufziehenden indogermanischen Sprachstamms, welcher sich wieder in den slawischen, griechisch - lateinischen und germanischen Stamm vertheilt. Der germanische Sprachstamm begreift außer der deutschen Sprache die gothische, altnordische, welche die Mutter der schwedischen, dänischen und isländischen Sprache ist, und die angelsächsische, welche durch Vermischung der dänischen und französischen Sprache in die englische übergegangen ist. Die aus der Vermischung der germanischen und lateinischen Sprache hervorgegangenen Sprachen, die englische, französische, italienische, spanische und portugiesische, gebören ebenfalls zum indogermanischen Sprachstamm. Charakteristisch

1) Tac. Germ., cap. 2: Celebrant carminibus antiquis, quod unum apud illos memoriae et annalium genus est, Tuisconem deum terra editum, et filium Mannum, originem gentis conditoresque.

2) I. W. Schaffer, „Grundriß der Geschichte der deutschen Literatur“ (achte Auflage, Bremen 1858), S. 5.

unterscheidet sich von diesen Mengsprachen die deutsche Sprache dadurch, daß sie, wenn sie auch im Verlauf der Zeit durch die Berührung mit andern germanischen Sprachen und durch die wechselseitige Einwirkung der verschiedenen deutschen Mundarten aufeinander mancherlei Veränderung der Formen erlitten hat, dennoch von der Vermischung mit fremden Sprachen frei und dadurch dem deutschen Volke, welches sie spricht, verständlich geblieben ist. Die Wurzelwörter sind größtentheils noch in der Sprache selbst vorhanden, und die grammatischen Formen haben sich aus der Sprache selbst entwickelt. Auf dieser vollkommenen Verständlichkeit der Wörter wie der mannichfaltigen Flerions- und Ableitungsformen gründet sich zugleich die große Fülle, Bedeutsamkeit und Bildsamkeit des Ausdrucks, welche die deutsche Sprache vor den meisten neuern Sprachen auszeichnen. 1)

Viertes Rapitel.

D. Die deutschen Mundarten.

Die deutsche Sprache stellt sich in einer Menge von Mundarten dar. Keineswegs aber haben diese Mundarten eine Verschiedenartigkeit in den Sprachformen selbst. Im Gegentheil beweisen sie erst recht bestimmt die Einheit der deutschen Sprache gerade durch die Einheit ihres Wortvorraths und ihrer grammatischen Formen. Alle deutschen Mundarten haben denselben Wortvorrath und dieselben grammatischen Formen. Ihre Abweichung voneinander besteht nur in der Verschiedenheit der Lautverhältnisse der Wörter. Viel weniger unterscheiden sie sich durch Verschiedenheit in den Formen der Ableitung und Flerion und am wenigsten durch Verschiedenheit im Gebrauche der grammatischen Formen. Die Unterschiede in den Lautverhältnissen der Wörter gründen sich auf natürliche Uebergänge unter verwandten Sprachlauten. 2) Die

1) Becker, a. a. D., S. 54.
2) Becker, a. a. D., S. 54.

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