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der Freistühle auf rother Erde erwähnt, und da erwiesen die Freistühle sich nur in Westfalen) auf rother Erde befanden, so haben alle Schriftsteller 2) über Femgerichte es sich recht sauer angelegen sein lassen, herauszufinden, womit der gute westfälische Boden denn so roth geschaffen worden sei. Nach der von Gellius gegebenen Erklärung des rufus und der Grundbedeutung des rioda ergibt sich, daß Paul Wigand in seinem ausgezeichneten Werke 3) auch hier wieder seinen richtigen Blick bewährt hat, wenn er die rothe Erde überhaupt nur ganz einfach als die Erde, den freien Erdboden, freies Feld bezeichnet, auf welcher, im Gegensaß zu den in Städten und Häusern gehegten Gerichten, an alter freier Malstätte, unter offenem, freiem Himmel, Gericht gehalten wurde. 4)

Endlich - um aus den zahlreichen Belegen noch ein poetisches Specimen anzuführen singt Walther von der Vogelweide (Lieder und Sprüche; bei Wackernagel, „Althochdeutsches Lesebuch", 6. 390):

Dar zuo die bluomen manicvalt

diu heide rôt, der grüene walt

wo im zierlichen Bilde die rothe Heide recht bestimmt als flaches Feld

insbesondere zur Geschichte des deutschen Strafrechts" (Tübingen 1845) die erste Abhandlung: Die Femgerichte des Mittelalters, S. 3–38, und die Ercurse dazu S. 113–244, insbesondere die Quellen S. 113.

1) Wächter, a. a. D., S. 8, 175.

2) Vgl. die verschiedenen Ansichten von Klüber, Möser, von Lang, Wigand und Berck bei Wächter, a. a. D., S. 178 und 179.

3) ,,Das Femgericht Westfalens. Aus den Quellen dargestellt“ ( (Hamm 1825), S. 276.

4) Wächter, a. a. D., S. 179, stößt sich freilich daran und ist der Ansicht, daß bei dieser Erklärung der Ausdruck dann ja beinahe von allen Gerichten Deutschlands überhaupt bis tief in das 15. Jahrhundert hätte gebraucht werden müssen, was ja doch in der That nicht der Fall gewesen sei. Doch spricht Wächter, a. a. D., S. 8 (vgl. S. 175), auch mit vollem Recht und entschiedener Sicherheit aus, daß die Femgerichte nie einen Sig in Süddeutschland hatten, sondern daß Freistühle sich blos in Westfalen auf rother Erde befanden, aber freilich Freischöffen im ganzen Deutschen Reiche.

Avé-Lallemant, Gaunerthum. III.

2

im Gegensatz zu dem bunten Farbenton der Wiese und des Waldes erscheint. 1)

Neuntes Kapitel.

2) Gil.

Gewinnt somit schon das Rot des baseler Rathsmandats eine nicht zu verkennende bestimmte Bedeutung, so wird diese durch eine andere entsprechende Bezeichnung des Mandats noch mehr befestigt. Das Rathsmandat wurde, wie schon erwähnt, unmittelbar nach dem baseler Bündniß (1391) gegen die Gesellschaft, „den man spricht Rot und Schwarz", erlassen und erhielt im Eingange die Ueberschrift: Diß ist die Betrügnisse damitte die Gilen und Lamen 2) u. f. w.

Die Bedeutung der Lamen ist nicht zu verkennen. Es sind die fimulanten Krüppel, welche durch Schaustellung eines körperlichen Gebrechens, wie z. B. durch Aufschnallen eines Beins auf Krücken u. s. w., tiefern Eindruck auf das Mitleid zu machen suchten, um es desto besser auszubeuten. J. Knebel vertauscht das Lamen eigenmächtig mit Blinden, hat aber, gleich Brückner, die Gilen beibehalten, aus welchen Heumann (,,Exercitationes", S. 174) die so vermessene wie wunderliche Transposition Lieger gemacht hat 3), welche doch wol eher dem trockenen

1) Zum Ueberfluß sei hier nur flüchtig darauf hingewiesen, daß in V. 6 und 25 des Liber Vagatorum von Pamphilus Gengenbach:,,durch ihre sprach die mā nempt Not“, das Rot nur eine dem nachfolgenden Reim,,spodt“ zu Gefallen geschehene Verstümmelung von „,Rotwelsch“ ist. Das niederdeutsche rötern, räteln, rasseln, klappern, metaph. viel, rasch und ünverständlich reden, steht mit rot in keiner Verbindung, sondern ist von Nad (rota) abzuleiten; davon Rätel, Nöter und Rätelding, die Nachtwächterknarre; Rä terer, Plappermaul, Schwäßer. Richey, Hamb. Idiot., S. 207.

2) Vgl. Th. I, S. 125.

3) Im Althochdeutschen ist liegen liogan, lügen. Dagegen ist ligen, ahd. likkan, jacere. S. Wackernagel u. d. W. Die Schreibung ligen würde allerdings hierher passen, da ligen auch noch heute, besonders im nördlichen

"

Heumann zum Fehler anzurechnen ist als dem Schreiber des Ebener'schen Manuscripts. Der Liber Vagatorum scheint das „Gilen“ auch schon nicht mehr richtig verstanden zu haben und führt im Vocabular nur Giel, Mund, auf, welches auch die Deff'sche wie die Humm'sche Rotwelsche Grammatik in der Ueberschrift des ersten Theils (,,ja ein dart vff sein giel“) und im Vocabular mit der gleichen Bedeutung munt angibt. Die Schreibung Giel kommt jedoch so wenig wie die Bedeutung „Mund“ im Rathsmandat vor; der Inhalt des Mandats muß daher die Ueberschrift mit den ,,Gilen" deutlich machen. Das Gilen ist aber schwerlich etwas anderes als das mhd. gil, gel, gilb (lat. gilvus, auch gilbus, gelblich, fahl, falb, und helvus, röthlich, gelb), gelb, fahl, schmuzfarbig, wovon gilbe oder gilwe, welches im Rathsmandat unter der ersten Rubrik Grautener, am Schluß bei den Schweigern vorkommt und welches vom Liber Vagatorum und der Rotwelschen Grammatik als,,Gelsucht“ (I, 178), vom Bedeler orden als,,de gelen socht" (I, 199) übersezt wird. Man vgl. Schwenck, a. a. D., S. 217, 14; Schmeller, a. a. O., II, 31, und das Schwäbische Wörterbuch" von v. Schmid, S. 230, unter Giel, wo die als unverständlich angeführte Stelle aus Hermann von Sachsenheim:

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Der Knecht der ab dem Kalb da fiel,

Der mocht wohl sein ein thöricht Giel nach vorstehender Deutung erklärlich werden mag.

Das mhd. gil, gel, scheint auch noch mit dem hebräischen , gaal, beflecken, besudeln, in verwandtschaftlicher Beziehung zu stehen; davon, goal, Abscheu, Efel. Interessant ist bei Zun; 1), S. 438, Note 6, das Citat aus Rabbi Meir Rothenburg

Baiern, für liegen bleiben, in Wochen liegen gebraucht wird. Schmeller, II, 456. Doch mag Heumann das wol schwerlich im Auge gehabt haben. Mit der legten Bedeutung des ligen stimmt auch überein das noch sehr ge= bräuchliche nd. leeg, schlimm, krank, böse, salsch, niedrig, flach. Richey, a. a. D., S. 150, leitet dies leeg nach dem Vocabularius Theutonista (s. daß. S. 445, Col. 2, 24) von Lack, Gebrechen, Mangel, ab.

1) „Die gottesdienstlichen Vorträge der Juden“ (Berlin 1832). Ueber dies treffliche Werk wird noch mehr gesprochen werden.

R. G. A., Nr. 631, welcher das jüdischdeutsche Sy, gêl, geradezu für gelb gebraucht.

Rot und Gil scheinen danach einerlei Bedeutung zu haben und sehr bestimmt für die Bezeichnung der widerlichen Färbung gebraucht worden zu sein, mit welcher sich die Landstreicher und Gauner des Mittelalters Gesicht und Gliedmaßen entstellten, um sich den Anschein von Krankheit zu geben oder sich unkenntlich zu machen, von welcher Operation in den genannten ältesten Gaunerurkunden zahlreiche und verschiedene Mittel und Methoden angegeben werden. Diese Entstellungen machen sich seit dem ersten Auftreten und Bemerktwerden der Gauner als eine gebotene und eifrig cultivirte Politik bemerkbar und werden noch zur Stunde mit der raffinirtesten Kunst, aber mit feinern Mitteln zur Verdeckung der Persönlichkeit angewandt als vor Jahrhunderten, wo die Gauner sich mit „Pferd Mist, Meigewunne, Oben und Oben“ und andern ekeln Sachen behalfen.

Die Etymologie, Schreibung und Bedeutung von gel, gilen, gilb, gilwe ist zu bestimmt, als daß man das spätere Giel, Mund, des Liber Vagatorum damit in Verbindung bringen könnte, welches eine ganz andere Wurzel hat. Giel ist herzuleiten vom ahd. gail oder geil ), mit welchem das Vocabular St.-Galli das elatus überseßt, goth. gáiljan, erfreuen, mhd. ergeilen, erquicken, sich erfreuen; das ahd. geil ist üppig, fröhlich, fett, fruchtbar; geili, Ueppigkeit, Aufwand; ndl. geil, geyl, dän. geil, nord. galsi, wovon das heutige niederd. galferig, galsterig, fett, ranzig;

1) Schwenck, a. a. D., S. 215, nimmt den verlorenen Stamm geilan an, welches Ueppigkeit bezeichnet haben müsse. Schmeller, a. a. O., UI, 31, deutet bei geilen auf den Stamm gáln. Zu beachten ist die Geile, testiculus (Bibergeil, testiculi castoris; castoreum); geilen, emasculare (vgl. Frisch, S. 335, Col. 1); Gaul, Hengst; Geilstier, Zuchtstier. Schmid, „Schwäbisches Idiotikon“, S. 231, erklärt, mit Bezug auf des St.-Gallus elatus, keil, elate, kaillihho, das geil überhaupt mit,,was sich in die Höhe richtet, sei es aus Fruchtbarkeit, Stolz oder Vergnügen“. Schwenck, S. 215, weist auf die griech. Grundform xàíw, xàišw hin und führt dazu das lat. heluo als ver- . wandt auf. Doch hat Feftus, worin ihm auch Vossius,,,Etymologia“, beistimmt, die Ableitung von eluo. Vgl. Scheller's Lateinisches Lexikon, S. 4402.

also überall der Begriff von Fruchtbarkeit, Ueberfluß, Ueppigs feit, Aufwand, Uebermuth. Während gail schon in den ältesten althochdeutschen Urkunden vorkommt, findet man giel in der Bedeutung Mund erst viel später im Mittelhochdeutschen. Mindestens habe ich keine ältere Stelle finden können als die in Hans von Bühel's Leben Diocletian's" (15. Jahrhundert):

Solt ym aber übel beschehen

So muosz ich iuch ouch das veriehen
So tett der wint vff sinen giel

Dem pferde er in den swanz viel. 1)

Aus diesem ahd. gail ist sehr wahrscheinlich das mhd. geilen und Geiler entstanden mit der Bedeutung des unverschämten Forderns und Bettelns, wovon Frisch, a. a. D., S. 335, noch zahlreichere Beispiele und Eomposita anführt. Man vgl. auch bei Schmeller, a. a. O., II, 31, die Reihe gal, wo bei geilen auch noch Bettelgeiler für den frechen Bettler angeführt ist. Man vgl. auch noch Schmid, a. a. D., S. 225, und Schwenck, a. a. D., S. 215.

Endlich ist noch zu erwähnen, daß die Ausdrücke Gilen, Geilen, Giler und Geiler sowol der alten als auch der neuen Gaunersprache selbst ganz fremd sind. Auch nicht der Bedeler orden, welcher, wie seine bedeutende Vocabelzugabe ausweist, eifrig bestrebt ist, das Vocabular des Liber Vagatorum zu bereichern. und zum Rotboß des leßtern das diesem fehlende rottun, bedeler, und rotten, bedelen, hinzufügt, hat zu Giel, Mund, fein einziges Derivatum oder Compositum gefunden.

Somit erscheint der Rot, gleich dem Gilen, als der Bettler, Vagant, Gauner, welcher, um sich ein kränkliches und unfennt liches Ansehen zu geben, das Gesicht oder die entblößten Körpertheile mit Farbe, bemalt und entstellt. Nach dem in der baseler Bündnißacte von 1391 vorkommenden Beisaß Schwarz mag

1) Vgl. Wackernagel, a. a. D., S. 957, 34. W. hat noch S. 1005, 4 bie oben angeführte Stelle aus Hermann von Sachsenheim und weist im Wörterbuch, wo er giel mit Prahler erklärt, auf diese Stelle.

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