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einander geworfen, dem sittlichen und materiellen Elend den lautesten Nothschrei ausgepreßt und der Staatspolitik eine schrecklich leuchtende Fackel zu ganz neuen Heilswegen für das zerrüttete, nach Luft und Licht sich sehnende socialpolitische Leben angezündet hatte: selbst dann noch spielten Haus und Familie, Zucht und Belehrung mit den zuckenden Gliedmaßen des zwar schwer verwundeten, jedoch noch lange nicht überwundenen Drachen. Die Kunst, Methode und Sprache des Jugendunterrichts behielt noch immer Anklänge der alten finnlosen Formeln, wenn diese auch schon in rationellerer Gestalt erschienen. Die greuliche Methode verlangte von der biegsamen Geisteskraft und von der wunderbar frischen Elasticität des jugendlichen Gedächtnisses Opfer, welche wie eine feindliche Brandschaßung der Seele erscheinen. In den methodischen Lehr- und Jugendbüchern jener Zeit suchte sich die krankhafteste Eitelkeit vor der Jugend breit zu machen, welche schwer dabei leiden mußte. Man nehme das nächste beste derartige Unterrichtsbuch damaliger Zeit zur Hand, z. B. die „Historischen Sinnbilder" des S. Aepinus († 1660). 1) Man findet den tollften Galimatias darin. Aepinus hatte das Buch zunächst für den

1) „Historische Sinnbilder. | Oder kurße | Beschreibung | darinnen die vornehmste Ge | schichte vom Kayser Augusto biß Au | gustulum, Ihre geführte Negierung, | denckwürdige Reden vnd Thaten, also | abgefasset, daß sie mit Lust erlernet, | leichtlich behalten, vnd in wenig | Stunden widerholet werden | kön= nen. Gestellet durch | Sebastianum Aepinum, | Leiningen - Westerburgischen | Hoff-Predigern zu Riringen. | Straßburg, | bey J. Chr. Nagel. Anno MDC.LX" (2 Thle., 12.). Genau in gleichem Format und mit völlig gleichem Druck ist in meinem Exemplare angefügt ein ganz unverständliches „Selgames Traumgeficht“, 83 S., mit einem „Traums-verantwortlichen Anhang“ von 103 S. und 71 S., unter dem (mit alter, vergilbter Handschrift vorangeseßten) Titel: „Kurze und kurzweilige Beschreibung der zuvor unerhörten Reise, welche H. Bilgram von Hohenwandern ohnlängsten in die Newe Oberwelt des Mondes gethan. Traumgeschicht von Dir und Mir. Epimenides. Morpheus. Endymiō. Porta Cornea. Porta Eburnea." Es ist kaum zweifelhaft, daß Aepinus selbst der Verfasser dieser wüsten und wirren Darstellung ist, welche ein recht treffendes Bild von der damaligen breiten, schwülstigen und selbstgefälligen wiglosen Schreibweise gibt. Merkwürdig sind im zweiten Anhange S. 47-49 einige jüdischdeutsche Vocabeln, z. B. Dmeye (Tmea), Mege, Bethulim, Jungfrawschafft, Besel (Possul), Bild, Ponim, Gesicht u. s. w.

jungen Grafen Philipp Ludwig zu Leiningen zum Geschichtsunterricht geschrieben und behandelt im ersten Theile die römische Kaisergeschichte. Er führt nach der Folge der Jahrhunderte die,, nomina Caesarum secundum artem Mnemonicam Aphorismis brevibus comprehensa", obschon er in der Vorrede sich gegen,,das Künstlichste" verwahrt und nur ,,das Nüßlichste erwehlet" hat, in der Staunen und Unwillen erregenden Weise auf, daß er die römischen Kaisernamen jedes Jahrhunderts chronologisch hintereinander stellt, dabei aber die Namen selbst in tollster Weise verdreht und bis zur völligen Unkenntlichkeit entstellt, in einen völlig sinnlosen Aphorismus" zusammendrängt und dann unmittelbar den,,Sensus" des Aphorismus und darauf die „Explicatio" des Sensus und Aphorismus gibt. Ein Beispiel möge, die Tollheit anschaulich machen. Das Buch beginnt gleich auf S. 1 so: Nomina Caesarum secundum artem Mnemonicam Aphorismis brevibus comprehensa. Seculum I.

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Mense Julio augusto, prope Tiberim habitans, calceo ligulam addebat et tradebat claudo merobibo, à flavà vespà, Titus Domitor nervum percussus.

Sensus est: Titus Domitor prope Tiberim habitans percussus nervum, à flavà vespà, addebat mense Julio Augusto calceo ligulam et tradebat cum claudo merobibo.

Explicatio.

Mense Julio Julius Caesar augusto Augustus prope Tiberim habitans est Tiberius calceum ligulà ornabat, qui inde dictus Caligula, et tradebat claudo scilicet Claudio cui Regnum qui calceo comparari potest. . 60. 10. reliquit antecessor. Nero Insignis merobibus.

Flavius Vespasianus à flavà vespà secundum Joh. Paëpp. in Artif. Memor. denominari potest.

Titus quod unicum N. Propr. facile memoriae imprimitur. Domitianus Domitor indomitus fuit.

Nerva debilis et senex quasi sine nervis.

Im zweiten Bande 1), welcher im folgenden Jahre (1661) erschien, tritt Aepinus, wie schon der veränderte Litel zeigt, mit seiner Methode noch selbstgefälliger und noch verwegener auf, sodaß er hier sogar den Sensus wegläßt. Dadurch wird der Galimatias noch ärger, wie das nachfolgende Beispiel, S. 10 und 11, zeigt:

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Asiam occupat Perseus et non mediocritate usa Amazonú cohors; non hae mulieres, cordatos viros, etiam minas spargentes superarunt, pectora natarum exusserunt atque interfectionis (quod dicitur) dederunt alas seu sagittas alatas charissimis.

Explicatio.

Perseus Persianis nomen suum dedit. Medusa qs. dicatur mediocriter usa, nam quomodo haec bestia suà pulchritudine abusa sit, canunt Poetae. Amazones dictae sunt ab a priv. et paóc, mamma. Gordius i. in a. assumta litera. t. est cordatus. Midas d. in n. mutato (cum divites sint minaces) spargat minas. Daedalus u. in a. mutato, dedit alas filio Icaro, qui abjecta litera i. est charus.

Man sieht aus diesen ekeln Beispielen schon vollauf, wie der

1), Historische Sinnbilder | darinnen die | Antemonarchica | Denckwürdigste Gedicht | vnd Geschicht, von anfang biß | auff die Babylonische Monarchey, also | abgefafset“ u. s. w.

Galimatias sogar zur pädagogischen Methode fich construirt hatte, und wie weit und tief die unselige Erscheinung in das socialpolitische Leben eingedrungen war.

Der aus den Zauberbüchern geflohene Geist der Steganographie wurde jedoch vorzüglich durch die feine Kunst des Cardinals Richelieu, welcher sich der Geheimschrift zu seinen versteckten Intriguen besonders bediente, der Staatspolitik dienstbar gemacht und auch in den deutschen Cabineten bis zur höchsten Blüte cultivirt. Dem Volke blieb diese Kunst verborgen. Aber wiederum glückte es der so neugierigen wie arbeitslustigen Stubengelehrsamkeit, einige Brocken davon aufzufangen, welche sie nun nach ihrer Weise systematisch zu bearbeiten begann. Sie wußte aber nicht wohin mit ihren müßigen Producten und schob, da das niedrigste Volksleben und in und mit ihm das Gaunerthum mit seiner Kunst und Sprache so frech und sichtbar sich hervordrängte, ihre Stubensprachspielereien geradezu der geheimnißvollen Gaunersprache unter, ohne von Geist und Wesen derselben einen richtigen Begriff zu haben. So wurde denn dem Gaunerthum jenes wunderliche Rotwelsch aufgebürdet, welches der wackere Schottelius in seiner Ausführlichen Arbeit der Teutschen Haubt - Sprache", S. 1265 fg., und in modificirter Weise Moscherosch, II, 601, sechstes Gesicht, dargestellt hat. Alle diese Darstellungen sind Bastarde der Steganographie, aber troß des äußern rationellen Scheins so entschiedener Galimatias, daß es schon aus dem oberflächlichsten Vergleich der Wortfügung mit dem besondern Geist und Bau der Gaunersprache, ja nur der behenden Bewegung des Gaunerthums überhaupt sich ergibt, wie dasselbe sich niemals mit dieser plumpen Ausdrucksweise behelfen konnte, und daß es nicht einmal der Anführung der erwiesenen Thatsache bedarf, wie das Gaunerthum wirklich niemals diese Ausdrucksweise troß ihrer übermüthigen Sprachgewaltthätigkeit auf- und angenommen hat. Doch ist ein näheres Eingehen auf diese Darstellungen um so unabweislicher, als Thiele, ungeachtet er den allerdings ganz unberufenen von Train über alles Maß geziemender Kritik hinaus schwer getadelt hat, doch ebenso übel wie von Train und mit gleicher Un

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kenntniß der Gaunersprache diesen Galimatias ganz neuerlich derselben wieder zugewiesen hat. Zu beklagen ist besonders, daß Thiele bei seiner directen Betheiligung an der Löwenthal'schen Untersuchung nicht auf eine bessere Geschichte und Kritik der Gaunersprache geführt wurde, und daß er dem Schottelius, welcher, obschon „Jurist und Hofrath“, durchaus keine Kenntniß von der Gaunersprache hatte, wie das schon der höchst fehlerhafte und überhaupt schlechteste Abdruck des ,,Elemental der Rotwelschen Gram-matik", S. 1262, ausweist, so blind folgte, obgleich er es unterließ, diesen seinen Gewährsmann zu nennen, als er S. 196 der ,,Jüdischen Gauner" den durchaus falschen Unterschied zwischen „Rotwelsch“ und der „eigentlichen Gaunersprache“ machte.

Während daher Thiele doppelten Ladel verdient, ist Schottelius selbst nur zur Berichtigung anzuführen, um dem Wirrwarr zu begegnen. Nach dem Abdruck des Rotwelschen Vocabulars sagt Schottelius (S. 1265) weiter: „Die andere Art des Rotwelschen ist diese, wan alle Silben gedoppelt oder zweimahl mit zwischenmengung des Buchstaben p ausgesprochen werden, bestehet in folgenden Regulen:

1) Eine Silb so von einem Mitlauter sich anfähet, und auf einen Selblauter sich endigt, wird zweimahl also ausgesprochen, daß die wiederhohlte Silb ihren vorstehenden Mitlauter verliere, und an dessen stat allezeit gesezt werde ein p1), als wan ich sagen wollte: Du, geh, wie, da, wo, spricht man auf Rohtwelsch dupu, gehpeh, wiepie, dapa, wopo.

2) Eine Silb, so von einem Mitlauter sich anfengt, und auch auf einen Mitlauter sich endigt, wird zweymahl oder gedoppelt also ausgesprochen, daß der lezte Mitlauter in dem ausspruche der ersten Silben ausgelassen, und in der wiederhohlten Silb zulezt stehe, der p aber bleibet allezeit an stat des ersten Mitlauters vorn in der wiederhohlten Silbe. Als: Wir, wipir; gib, gipib; dir, dipir; disch, dipisch; stuel, stuepuel; kom, kopom; mur, mupur.

1) Die Recapitulation der Regeln in lateinischer Sprache, welche Schots telius durchgehends aufführt, bleibt der Raumersparung wegen ganz weg.

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