Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

RST

Wortvergleichungen und Zweideutigkeiten findet, bei denen er mit Behagen besonders den jüngern Scaliger als Autorität anführt, oder wenn man die Masse schmuziger Anekdoten in den „Face tiae" oder den,,Nugae venales" oder in der Unzahl lateinischer Dissertationen durchmustert, bei denen gelehrte Form und ge= lehrter Scharfsinn an den plattesten und elendesten Stoffen sich ergehen: so ist man doch noch mehr entrüstet darüber, daß die beiden eigensten Volkszuchtwissenschaften, die Jurisprudenz und die Theologie, in schauerlichem Verständniß so blind und herzlos mit der Tortur überführen und auf den Schaffoten der volks- und seelenmörderischen Justizprocedur solche Lobreden halten konnten. Zahllose derartige Beispiele werden noch nach fernen Jahrhunderten Sinn und Muth des Forschers niederbeugen. Die laute Forderung des Volkes nach Oeffentlichkeit der Rechtspflege ist eine historische Rache an der finstern Abgeschlossenheit der Justizpflege der frühern Jahrhunderte, und ihre Gewährung spottet des Gedankens einer` politischen Concession, wo sie im culturhistorischen Proceß aus dem Seelengrund und Streben des seines Wesens und seiner Würde sich immermehr bewußt gewordenen Volkes mit tiesinnerer Nothwendigkeit hervorgetreten ist.

Die übermäßige Verschwendung des deutschen Fleißes an die Form auf Kosten des dadurch immer flüchtiger werdenden Wesens war eine Folge der isolirten, müßigen, unpraktischen Gelehrsamkeit und zeigt sich vorzüglich bei den Spielereien in den alten classischen Sprachen, besonders der lateinischen, in welcher alle auf classische Bildung Anspruch machende Gelehrte mindestens Herameter und Distichen zu improvisiren wissen mußten, in welcher aus den alten Classikern seltsame Zufälligkeiten als absichtliche Künsteleien aufgelesen, zusammengestellt und mit dem tollsten Zwange transponirt und gedeutelt wurden, wobei die müßige, schmuzige französische Leichtfertigkeit das verwandte Latein mit eitlem, lüsternem Behagen auszubeuten wußte, um in der plattesten Weise geistreich zu sein. So entstand die Flut der schmuzigsten und unflätigsten équivoques, rebus, entends-trois, contrepeteries, anagrammes, vers retrogrades, allusions u. f. w., welche man, zum Avé-Lallemant, Gaunerthum. III.

12

Theil mit schamlosen Holzschnitten illustrirt, in großer Fülle bei Labourot findet. Der deutsche Sinn und der Geist der deutschen Sprache widerstand eine Zeit lang diesem schlecht candirten Zotenwesen, bis man gegen Ende des 16. Jahrhunderts die französische Sprache in Deutschland zu begünstigen anfing und damit auch alle Leichtfertigkeit und die équivoques fennen lernte und recipirte. Dazu verirrte fich der deutsche Fleiß der isolirten Gelehrten tief in die zaubermystischen Studien, die nicht einmal den Namen der kabbalistischen Forschung verdienen. Die Kenntniß der hebräischen Sprache war mit wenig Ausnahmen so dürftig, wie der Haß gegen das Judenthum zu groß war, als daß sich das Gelehrtenthum mit gründlichen Studien der schwierigen, specifisch jüdischen Kabbala hätte befassen sollen. Die Zaubermystiker stieBen nur gelegentlich auf rohe Aphorismen der Kabbala, welche sie nicht begriffen, an deren geheime Wirkung sie aber glaubten und welche sie zu den größten Sprachtollheiten verseßten und vergrößerten. Die Sprache der Zauberbücher des 16. und 17. Jahrhunderts ist nur in dieser Weise möglich geworden, obschon sie in keiner systematischen Weise zu erklären, sondern immer nur als kahle Masse versessener, wüster und idioter Willkür der specifischen Subjectivität aufzufassen ist. Die Zeit der Zauberbücher war schon das goldene Zeitalter des Galimatias 1), obschon dieser brandmar

1) Adelung, II, 392, hat: „Das Galimatias (spr. Galimatià) plur. ut nom. sing. aus dem französischen galimatias, in den schönen Wissenschaften eine ungeschickte Verbindung widereinander laufender Begriffe und Bilder, welche keinen vernünftigen Verstand gewähren, Unfinn; bei den Engländern Nonsense." Noch fürzer fertigt Heinsius, II, 268, das Wort ab: ",,Galimathias, Wortge= wirre. Unsinn." Schwenck hat S. 204: „Das, der Galimatias, Unsinn, unsinniges Geschwäß, frz. galimatias (engl. galimaufrey, gallimafry, Mischmasch, gallimatia, galimatias)." Das Wort Galimatias scheint wirklich erst zu Ende des 17. Jahrhunderts gebildet zu sein, da von Stieler, „Sprachschaz", das Wort gar nicht fennt. Es fehlt überall die Etymologie. Shakspeare gebraucht gallimaufrey für woman. In der englischen Volkssprache ist gallimaufrey für hodge-podge Gemenge von zusammengekochten Ingredienzen (remnants and scraps of the larder), und ganz in das Französische übergegangen, wo galimatrée ein Gericht von übriggebliebenen Stückchen Fleisch, Fricassée, bedeutet. Eine Beziehung des Gali auf walisc, welsch, scheint kaum angenommen wer

fende Name erst viel später, zu Ende des 17. Jahrhunderts und erst dann aufgekommen zu sein scheint, als man den vollen Unfinn erkannte und bespöttelte, aber doch immer noch in plumper Weise darin grimassirte, wie bei der traurigen plattspaßigen Nachahmung der Geberden eines Trunkenbolds.

Der Galimatias ist eine taubstumme Misgeburt der Steganographie, welcher Aberglaube und Unwissenheit vergeblich eine artikulirte Sprache durch bloße Buchstabenstellung zu verleihen strebten, welche aber niemals über die tolle Construction einzelner, völlig unverständlicher Wörter hinauskam und deren verkümmertem Organismus mit dem logischen Verständniß auch die natürliche Lautsprache versagt blieb. Als mit dem Schluß des 15. Jahrhunderts J. Tritheim (1462-1516) die Grundsäge seiner Steganographie darlegte, hatte er das Nüchternste und Verständlichste von allen mit ihm auf gleichem Gebiete arbeitenden Zeitgenossen geleistet. Als ob aber schon von Anfang her der christliche Zaubermysticismus zur absoluten Unklarheit für alle Zeiten hätte verdammt sein sollen, entschlüpfte das einzige klare Stück ihrer Forschung, der behende Geist der Steganographie, aus den Gelehrtenstuben, wo er den Buchstabenmechanismus wie eine todte Hülse hinter sich ließ, und machte sich der neu erstehenden Kryptographie dienstbar, welche aus dem grauen Alterthum her durch Richelieu's schlaue Politik zur neuen geheimen Wissenschaft umgeschaffen und mächtig gefördert, in der Staatspolitik wie in der Literatur bis auf den heutigen Tag eine so geheime wie gewaltige Rolle spielen sollte, während es jener todten Hülfe vorbehalten blieb, aus den Gelehrtenstuben heraus in dogmatischer, ethischer,

den zu können, so wenig wie auf Gal, Hall, Schall, Schrei, bei Schmid, „Schwäbisches Idiotifon", S. 216, welcher dabei, Stimme, 51, jauchzen, sowie zadɛēv, rufen, anführt. Lehternfalls würde dann eine Ableitung von xaàsiv und μaría (vergebliches, fruchtloses Unternehmen, Leichtsinn, Thorheit, Versehen, Fehler), wenn auch sehr gesucht, denkbar sein. Doch ist der Ausdruck wol immer nur ein, vielleicht mit Spott, flüchtig hingeworfener Gelehrtenausdruck für die unsinnige Zusammensetzung nicht nur der Rede, sondern auch des einzelnen Wortes selbst.

culturhistorischer, juristischer und sprachlicher Hinsicht eine so schmähliche, verderbliche Bedeutsamkeit zu gewinnen.

Es gilt hier zunächst nur, den Wortbau und die Wortfügung der zaubermystischen Sprache einigermaßen aufzuklären, um begreiflich zu machen, wohin auf solcher Basis die Sprach- und Verstandesverirrung gerathen konnte und gerathen mußte. Die Steganographie enthält seit Tritheim, welcher schon selbst eine Menge Methoden gibt, eine Unzahl Methoden zum geheimen, verkappten Sprachausdruck. Die nächste beste Methode mag hier zur Erläuterung dienen.

Nach dieser Methode schrieb der Steganograph in irgendeiner Sprache, welche er seiner Geheimschrift zu Grunde legte, zu den einzelnen Wörtern nach einer bestimmten Verabredung falsche ganze Wörter oder auch Buchstaben hinzu, sodaß durch diese Zuthat von Wörtern und Buchstaben seltsam klingende Wörter herauskamen, die auf den ersten Anblick ganz sinnlos erschienen. Dabei wurden mehrsilbige Wörter getheilt und unter Beifügung falscher Buchstaben aus einem Worte mehrere Wörter gemacht. Wer nun die Schrift lesen wollte, strich nach der Verabredung die falschen Wör› ter und Buchstaben hinweg. Das bei J. L. Klüber 1) angeführte Beispiel wird die Sache klar machen.

Zunächst sei der Schlüssel gegeben.

1) In der ersten Zeile gelten die drei ersten Wörter sowie das legte nicht.

2) In jeder folgenden Zeile gilt das erste und lezte Wort nicht. 3) Bei jedem der übrigen Wörter gilt der erste und lezte Buchstabe nicht.

Danach erweisen sich die an sich völlig sinnlosen Worte:
Lampsi deso salcu eregesu sexa anobio nous

father clitates uducest text suirtutey ai

mà tsumunta; onect gregio abuso sinfinie et
yes atas sauta alibei strat spoteso etasi; pa

1) „Kryptographik Lehrbuch der Geheimschreibekunst (Chiffrir- und De chiffrirkunft) in Staats- und Privatgeschäften“ (Tübingen 1809), S. 117.

là seta sducesi sexema oplos spotiusi sind
miò squame simpet striop asio opromtiu que
to esit econspil acuiz, osim santer sacis do

le semo sagantu sadmio eratiox anes spraet y
allos osunty dorche

[ocr errors]

als die Stelle bei Tacitus (Germania, cap. 1, princip.): Reges ex nobilitate, duces ex virtute sumunt; nec regibus infinita aut libera potestas; et duces exemplo potius quam imperio; si prompti, si conspicui, si ante aciem agant, admiratione praesunt.

Solche Beispiele kann man unter Berücksichtigung des gegebenen Schlüssels in jeder Sprache in beliebiger Weise selbst construiren. Man sieht aber schon aus dieser einen, mitten aus der großen Masse vieler anderer herausgerissenen Methode, welchen Charakter die ganze Sprache der Zaubermystik an sich trug und auf wie willkürlichen Constructionen der ganze Wortwust beruhte. Den vollendetsten Triumph aber feierten der Aberglaube und die Unwissenheit darin, daß nun diese misförmigen Worterscheinungen ohne inneres Verständniß, ohne Berücksichtigung oder Kenntniß des Schlüssels für den originellen Ausdruck geheimnißvoller Offenbarung oder mystischer Tradition, ja sogar für die Offenbarung der jüdischen Kabbala selbst gehalten und Grundlage zu jenen ungeheuern Verirrungen wurden, welche den deutschen Gelehrtenstand und die deutsche Tiefe und Wahrheit gebrandmarkt haben und selbst wieder so erbittert, so entseßlich hart gestraft wurden von einem Widerstande, dessen Einsicht nicht einmal besser war, sondern in der That auf demselben Boden stand. Dieser Widerstand belauschte alle stillen friedlichen und geheiligten Stätten des häuslichen und öffentlichen Lebens, tastete überall mit blödem Blick und roher Hand umher, griff mit einem Schuldigen hundert Unschuldige und offenbarte an allen seine fluchwürdige blinde Thätigkeit, welche kein anderes Ziel hatte als Schaffot und Scheiterhaufen. Und dennoch blieb die Wirkung dieser Zaubermystik für Haus und Familie, für das ganze socialpolitische Leben schauerlich groß. Selbst dann, als der Dreißigjährige Krieg ausgetobt, alles durch

« ZurückWeiter »