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nerthums mit seiner geschworenen Lebensgefährtin, der Prostitution, ganz begriffen werden. Die ersten Wörtersammlungen der Gaunersprache, das Vocabular des Gerold Edlibach, der Liber Vagátorum, wimmeln von schmuzigen Ausdrücken der fahrenden Weiber, und diese Zoten stechen um so mehr ins Auge, als sie durch ihre meistens fremdartige, gelehrte, klerikale Form die Vaterschaft und Gönnerschaft derselben Prostitution scharf kennzeichnen, welche wiedetum in denselben Vocabularien die Väter und Gönner mit einer Flut gemeiner Bezeichnungen herabwürdigt. Selbst die Zoten des 15. Jahrhunderts, mit welchen das auch für Laune und Spott frisch erwachte Volk meistens auf das versunkene Mönchsthum zielte, erscheinen nur noch wie einzelne ausgestoßene Schimpfwörter aus zornigem Munde, während die Schmuzigkeiten der Facetiae des 16. Jahrhunderts, troß ihrer Schamlosigkeit, nicht mehr die nackte, kahle, widerliche Zote sind, indem sie über die kaustische Kürze des bloßen Schimpfworts hinaus zur Schimpfrede und gedehntern Spottanekdote übergingen und damit auch den Grund des Spottes und Grolls motivirten. Aber doch noch viel später, namentlich erst mit dem Eingang des französischen Wesens und seines verderblichen Gefolges, kommt die Sprache der Prostitution zu längern Redensarten, weil doch wol ihre kurzen Aphorismen zu rasch vom Gaunerthum absorbirt wurden und die geile Luft der scharf beobachtenden Mezen zu neuen Schmuzwörtern größer war als ihre Muße zum Ausdenken und Ausspinnen längerer Redensarten. So bröckelte die Sprache der Dappelschicksen zusammenhangslos wie ein Hagelschlag in die Gaunersprache hinein. Sie zerschmolz in diese und verlor dadurch die eigenthümliche historische Färbung, und es hat den Anschein, als ob sie in jedem Jahrzehnd mit imnter neuen Vocabeln wie mit einer neuen Erfindung auftritt. Die linguistische Fertigkeit und Fruchtbarkeit der Prostitution ist unglaublich groß. Man lernt sie vorzüglich dann begreifen, wenn der amtliche Beruf dazu zwingt, ekle Untersuchungen zu führen wegen Streitigkeiten, Schlägereien, Betrug und Intriguen aller Art zwischen den Wegen unter sich oder den Wirthen, dem Herrn" oder der „, Madame.", oder mit den

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Gästen, von denen auch der schmuzigste Bursche,,Herr" oder,,Freund" genannt wird, troß der Prügel, die er etwa von den Dirnen empfing oder ihnen wiedergab. Dabei bieten diese Untersuchungen, besonders aus den Matrosenbordells, neben andern erstaunlichen Ergebnissen auch einen pandemo-linguistischen Reichthum dar, wovon man sich im Binnenlande keinen Begriff machen kann. Zunächst werden dieselben Dirnen, welche man mit phantastischen Namen bei den Gästen einführt, von dem Bordellwirth nach bestimmten Körpertheilen, welche er mit faltem, vichhändlerischem Kennerblick diagnosirt, in so haarsträubend roher Weise bezeichnet und gerufen, daß man nicht wagen darf, ein einziges Beispiel anzudeuten. Die Dirnen benußen die vertraute Heimlichkeit mit dem arglosen Gaste, um ihn in gleicher schamloser Weise an ihre Genossinnen zu verrathen und zu brandmarken. Sie verschonen selbst ihre gaunerischen Genossen nicht mit dem Verrath, und so sind lediglich aus dem Verrath der Prostitution die scheußlichen Gaunerspiznamen entsprungen, von welchen die Gaunerlisten schon seit Jahrhunderten wimmeln. Daher kommen in der Bordellsprache Eigennamen mit Bezug auf bestimmte Persönlichkeiten vor, denen eine appellative Bedeutung beigelegt wird. So wird der jedesmalige Name des Beamten, welcher die nächste Aufsicht über die Bordelle führt, sicherlich zu irgendeiner schmuzigen Bezeichnung verwandt; selbst höhere Personen müssen dazu herhalten, wie ähnlich im slang, der englischen Gaunersprache, z. B. der Ausdruck Lord John Russell a bustle, Hüftpolster (le cul de Paris), Lord Lovel a shovel, Schaufel, und sogar Jenny Linder a window (in der vulgären Sprache winder), Fenster bedeutet. Nicht immer sind aber diese Namen topisch oder persönlich gebunden. So geht z. B. der Louis 1) durch ganz Deutschland, und überall werden jezt Hei

1) Louis soll ein Sohn Berlins gewesen sein, welcher einer mit Ausweisung bedrohten fremden liederlichen Person Heimatsrechte in Berlin, dadurch verschaffte, daß er sich mit ihr copuliren ließ. Louis ist daher jeder (gewöhnlich alte, stumpfe oder doch erwerbsunfähige) Mann, welcher eine Person geheirathet hat, die von der Liederlichkeit lebt und ihren Mann auch davon leben läßt, gewöhnlich sich getrennt von ihm hält und ihm ein bestimmtes, Mo

rathen mit Louis, Louisheirathen geschlossen, ohne daß dabei die Polizei etwas anderes thun kann, als das so schmählich vereinigte Ehepaar scharf zu überwachen. Ebenso ist der in dem Buche,,Die Prostitution in Berlin und ihre Opfer" (Berlin 1846), S. 171 erwähnte, von der frivolen berliner Prostitution geschaffene Ausdruck Porzellanfuhre 1), wenn auch in Berlin aufgekommen, doch in ganz Deutschland bekannt, wo es verschlossene und mit Gardinen verhängte Droschken oder Fiaker gibt.

Wie das Schinderwesen, so zeigt auch die Prostitution eine gleich große Gewalt über das Gaunerthum darin, daß auch sie im Stande war, entschieden gaunersprach- originalen Ausdrücken ihre ursprüngliche Bedeutung zu nehmen und andere Bedeutungen zu verleihen. So heißt z. B. Freier in der Gaunersprache jeder, welcher bestohlen werden soll; die Prostitution bezeichnet damit aber den Kunden, der sie aufsucht, und toffer Freier, ist der Kunde, wenn er gut bezahlt. Koberer, Gaunerspr. Wirth, Hehler, ist in der Sprache der Prostitution der Zuhälter (,,Bräutigam“, „Freund“) der Dirne, welcher ihr Geschäft (Ueberseßung des Massematten), das Schandgewerbe (auch den einzelnen Coitus selbst), leitet und überwacht, die Dirne beschüßt, begleitet und auf

natsgehalt oder Jahresalimente auszahlt. Eine solche Partie heißt eine Louisheirath, Louishochzeit. Vgl. noch die interessante kleine Broschüre von Th. Bade, Ueber Gelegenheitsmacherei und öffentliches Lanzvergnügen“ (Berlin 1858), €. 65 fg.

1) Die Porzellanfuhre ist die Fahrt zweier liederlicher Personen in verz schlossenem, mit Gardinen verhängtem Wagen, wobei der (häufig besonders mit seinem Wagen dazu eingerichtete) Kutscher (Porzellankutscher, Porzellanfuhrmann) so langsam fahren muß, als ob er zerbrechliches Porzellan führe. Deut sche Kunsthändler schämen sich nicht, neben andern liederlichen französischen Bildern auch colorirte pariser Bogen zu verkaufen, auf denen eine an dem untern Fensterrande der mit Gardinen dicht verhüllten Kutsche sich haltende Weiberhand eine nichtswürdige Andeutung gibt. Und wie wimmeln die Umgebungen großer Städte, auch in Deutschland, von langsam fahrenden Fuhrwerken! Eine neuere entsprechende Bezeichnung für Porzellanfuhreist: erste Klasse fahren, erste Fahrt machen, d. i. auf der Eisenbahn in einem Coupé erster Klasse fahren, deren höherer Preis einem liederlichen Paare die erstrebte Einsamkeit im Coupé sichert.

paßt, wenn sie verdient, d. h. den Coitus vollzieht, oder auf den Strich oder Schnepfenstrich oder Zapfenstreich oder auf das Schnallenrennen geht. Dagegen bedeutet Køberin, Chawrin und Vertuschmacherin, Decke die Gelegenheitsmacherin, Kupplerin. In Wien ist Kuberer 1) der Polizeicommissar; kobern dagegen ist wieder concumbere, coire. Schmier ist der Polizeidiener; die Schmier kommt ausheben! Schredensruf der Winkeldirnen, wenn Polizeidiener zur „Revision“ kommen. Strichbube, Strichler (Strabanzer) ist vorzüglich in Wien der Beschüßer und Zuhälter der Dirnen, wie Koberer. Türkische Musik oder Pauken und Trompeten, lues venerea. Einzelne wenige Ausdrücke scheinen sich endlich auch aus dem Mittelhochdeutschen erhalten zu haben, wie z. B. Loth oder Lod, in Wien das für den Act gezahlte Geld, wahrscheinlich vom Stammwort Lôt, wovon Lotter, lottern, Lotterbube, Lottergasse (in Basel), Luder, ludern, lüderlich und das oberländische lodehaft, liederlich, und lödern von Mädchen, die den Mannspersonen allzu geneigt sind. Im Pinzgau ist Loder der Heerdestier und Loderin ein Mädchen 2) (Schmeller, II, 525). Auch ist das wienerische Schab bemerkenswerth als Antheil der Kupplerin am Loth, welches die Dirne empfangen hat. Schab fommt wol vom ahd. scaban, schaben (oxánтev, graben), her, hier vielleicht in Verbindung zu seßen mit dem allgemein in Süddeutschland üblichen und bekannten gellenden Feierabendruf der Maurerjungen,,Schab' ab", wenn die Abendglocke ertönt und die Maurerkellen abgeschabt werden müssen. Vgl. Schmeller, III, 304 und 305; Schwenck, S. 549. Doch erklärt sich das Schab vielleicht am nächsten aus dem (ebenfalls von scaban herzuleitenden) Schabe, d. h. die kleinen, holzigen Theile oder Fasern von den

1) Doch hier wol zunächst vom altað. Kif, Kuff, Haus, Herberge, Hütte, während Koberer vom füdischdeutschen 7, keber und kwure abzuleiten ist. Vgl. Th. II, S. 112, 145, 231.

2) Die stämmige Bquerdirne weist den ihr nicht genehmen Gunstbewerber ab mit den Worten:,,Du Lödel bist auf'n Henn' zu schwar, auf 'n Mensch z' g'ring". Schmeller, a. a. D.

Flachsstengeln, welche durch Brechen, Schwingen und Hecheln davon abgesondert werden; nd. Schäw, Adj. schäw’sch; schäwschen Keerl, ein gemeiner, schmuziger Mensch. Vgl. Heinfius, „Wörterbuch“, IV, 68, 2; Adelung, III, 1313.

Doch genug der Beispiele, welche hinreichen mögen, einen Begriff vom Geist und Wesen der Prostitution und ihrer frechen Sprache zu geben, von welcher noch weitere und namentlich auch jüdischdeutsche Ausdrücke im Wörterbuch vorkommen werden. Das Gesagte muß aber auch genügen, um den verberbenbringenden Dämon selbst, vor allem aber das zu erkennen, was um aller Gefahr und Noth willen gesagt werden muß: daß bei diesem von der Polizei gekannten und beschönigten, sittevernichtenden, Staat und Kirche bedrohenden, noch immer ungestört waltenden Wesen der Prostitution diese selbst weit weniger das strafbare Lafter des Volkes als das Verbrechen der Polizei ist, deffen objectiver Thatbestand offen in den Bordellen daliegt und dessen subjectiven Thatbestand der schuldige Theil nicht mehr von sich abweisen darf, und am welcher schweren Schuld willen doch endlich endlich dem ungeheuern Elend mit Ernst und Strenge ein Ende geschafft werden muß!

Vierzigftes Rapitel.

3) Der Galimatias.

Schon aus der bisherigen Darstellung kann man sehen, daß jeder socialpolitische Kreis wie ein fruchtbares Quelland aus der Tiefe seines Bodens dem Hauptstamm der deutschen Sprache einen reichen, lebendigen Zuwachs zuführt, in dessen lebhafte Bewegung die Kunst des Gaunerthums tief hineingetaucht hat, um von der Strömung getragen zu werden und sich zu jenem lebendigen, wenn auch bröckeligen und verschieblichen Ganzen zusammenzuthun, welches die Kunstsprache des Gaunerthums darstellt. So buntfarbig und bis zur Unnatürlichkeit verschiedenartig die gaunerischen Sprachstoffe auch zusammengesezt sind, so haben sie doch, ganz abgesehen

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