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geben ihre Wagen zur Kawure her, wobei sie häufig davonjagen, als ob das Pferd durchginge, bis sie in gewisser Entfernung halten, da ihre Droschkennummer sie doch jedenfalls kennzeichnet, und im Tumulte die Kawure, den versarkenten Torf, von einem nacheilenden oder nahe postirten Chawer aus der Agole heben lassen. Ueber die Bedeutung der schändlichen Porzellanfuhren, bei denen sogar einzelne Subjecte mit besonderer Routine und Einrichtung einen Ruf unter Kupplerinnen und Wollüftlingen besigen, sehe man das Kapitel von der Sprache der Freudenmädchen. Unzählige Ränke und Gaunereien wissen die Agler zu befördern; sie spotten aller Controle, troß Nummern, Marken, Stationswechsel und scharfer Bestrafung. Der täglich von den Aglern gegen ihren Brotherrn gemachte Unterschleif geht ins Unglaubliche und ist fast immer der Löwenantheil am Tagesertrage des Fahrzeugs. Dieser Unterschleif ist aber, weil er ja nur den einzelnen trifft, kaum so hoch anzuschlagen wie der materielle und sittliche Schaden, welchen die Agler durch ihre stete Bereitschaft zur Beihülfe und Unterstüßung von Diebstahl, Raub und Liederlichkeit anrichten. Von dem Aufsigen vertrauter Genossen auf den Fahrbock, der Mitnahme derselben als blinder Passagiere zum Vertussen oder Handeln ist schon Th. II, S. 37 und 234 fg. ausführlich die Rede gewesen.

Ebenso wenig wie durch die oberflächliche Betrachtung des scheinbar harten Loses, welchem die den ganzen Tag jedem Witterungswechsel ausgefeßten Agler unterworfen sind, darf man sich hinreißen lassen, eine Arglosigkeit in den Neckereien zu finden, welche die Agler auf ihren Stationen sowol unter sich als auch gegen Vorübergehende sich herausnehmen. Gerade die Agler werden von Kupplern und Wollüftlingen am meisten benußt, um Rendezvous mit den vorübergehenden Dienstmädchen und Grisetten zu veranstalten, und die Stationspläge sind gerade der Ort, von welchem aus der dem Agler befreundete Gauner sich als unbekannter Fremder zur Fahrt einladen und an den zur Ausführung einer Gaunerei bestimmten Ort fahren läßt. Alle Agler haben, wie die Gauner überhaupt, einen Spiznamen, z. B.

Reform, Feuersprize, Volksbote, Eisenbahn, Kladderadatsch, von den Blättern, welche sie auf dem Kutschbock lesen, oder auch andere triviale Namen nach der Persönlichkeit oder von bestimmten Erlebnissen her, z. B. Klopphingst, Peerappel, Sweep, Lötentrecker, Kömsnut, Pardauz, oder, wie in Berlin, Nasenkönig, bunter Karl, delicater Eduard, Plattbein, Festungsnase, glibberiger Julius, finniger Wilhelm, oder, wie in Wien, Walter-ScottSeppel, Knackerl, Großkopf, Sterzmichel, Batteriedeckel u. s. w. Alle aber sind in der Gaunersprache bewandert, deren Ausdrücken sie theils eine andere Bedeutung, theils auch neuen eigenthümlichen Zuwachs geben, z. B.: auf die Spize fahren (Spize für Spieße), zu einem Wirthshause fahren, einkehren; Spaziertour, die absichtliche Umfahrt eines Fremden, um die Zeit der Fahrt zu verlängern und die Tare zu erhöhen; jökeln, coire, auf der Porzellanfahrt; Pferdeschwanz (Peersteert), ein Stußer, Elegant; striegeln, mit der Tare betrügen; Krippe (Krüw), der Mund; Haber, Essen; Reingottswort, Kornbranntwein; auf den Trab bringen, ausschelten, fliehen machen; hüppisch, verrückt; kollerig, zornig, böse; zurückhoppen, von etwas abgehen; das Geschirr pußen, sich rechtfertigen; das Geschirr lackiren, beschönigen; vorbei, hinterbei (vörbi, achterbi), nebenher, unbedeutend u. s. w. Die wichtigsten Wörter und Redensarten findet man im Wörterbuche.

Sünfunddreißigstes Kapitel.

z. Die Fallmachersprache.

Schon im Abschnitt vom Jedionen, Th. II, S. 245–296, ist der verschiedenen Betrügereien gedacht worden, mit welchen der Aberglaube und die Unwissenheit des Volkes durch Wahrfager, Schaggräber und Spieler aller Art ausgebeutet wird. Bei den verschiedenen Betrugsarten sind auch bereits die hauptsächlichsten Kunstausdrücke angeführt und erläutert worden; andere werden im Wörterbuche Play finden. Doch sind die meisten dieser

Ausdrücke gaunerische Ausdrücke, welche der Volkssprache zum Theil gänzlich oder doch nicht in der gaunerischen Bedeutung bekannt sind. Die Gaunersprache macht aber gerade beim Spiele, namentlich in den Glücksbuden, von ihrem geheimen Absolutismus eine ganz eigenthümliche Digression zu einer besondern Popularität hin. Sie macht sich mit ihren Opfern so populär wie die spielende Kaze mit der Maus, und ihre Art und Weise erscheint nur dem Kenner nicht arg und gefahrlos. Bei allem bittern Hohn, allem frechen Spott, aller frivolen Frechheit der Gaunersprache, welche ihr charakteristisches Kriterium ist, findet fich wie eine Incarnation in der Sprache der Glücksbüdner ein ganz merkwürdiges Eingehen auf die eigenthümliche abergläubische Spieldogmatik des Volkes, welche vor Jahrhunderten vom Gaunerthum selbst künstlich geschaffen und immer weiter gefördert worden ist, bis denn diese Dogmatik so fest im Volke zu haften angefangen hat, daß die stets unverkümmert fortwuchernde und neuerdings wesentlich durch schlimme buchhändlerische Speculation getragene Traumdeute- und Wahrsagekunst-Literatur seit Jahrhunderten her so reich und eigenthümlich im Volke selbst dasteht, als ob sie wie eine echte Volksliteratur naturwüchsig mitten aus dem Volke und seinem geistigen Bedürfniß herausgedrungen wäre. Für dieses Spiel mit dem Volke in jeder Bedeutung des Worts hat das Gaunerthum nicht nur eine sprachliche, sondern auch eine persönliche Incarnation in der Erscheinung und Sprache der Fallmacher, von deren Treiben schon besonders Th. II,

. 283 fg. und 292 fg. die Rede gewesen ist. In genauer Kenntniß der seit Jahrhunderten von ihnen geschaffenen und geförderten Schwäche des Volkes erscheinen die Fallmacher bei ihrer künstlichen Verführung desselben gerade am arglosesten und natürlichsten, wenn sie in ihrer Berührung mit dem Volke dieses eine Sprache sprechen lassen, welche sie selbst doch erfunden und heimlich in dasselbe hineingestreut haben, während sie selbst ihre geheimen technischen Wörter, Zeichen und Manipulationen im tiefften Geheimniß vor dem Volke bewahren. So erscheint die Fallmachersprache theils als eine absolut geheime, vollkommen gau

nerische, theils als eine geoffenbarte, populäre Sprache, welcher leztern die Fallmacher stets Form und Schein der Volkseigenthümlichkeit zu erhalten suchen, und in welcher populären Sprache sie mit dem Volke in einer Weise verkehren, als ob sie selbst dem Volke in diesem ihnen scheinbar fremden, nicht eigenthümlichen Elemente ein Genüge leisten wollten. Vorzüglich hat die Fallmachersprache besondere specifische Bezeichnungen für das Volk bei solchen Gegenständen gewählt, welche im gewöhnlichen Leben ohnehin schon allgemeine feste Typen haben, vorzüglich also bei Zahlenreihen, weshalb denn auch besonders das in den Glücksbuden stark betriebene Lottospiel, welches ohnehin in neuerer Zeit statt der frühern bloßen Würfelentscheidung in den Glücksbuden, mehr oder minder modificirt, sehr auffallend sich hervordrängt, von folchen Fallmacherausdrücken wimmelt. So heißen z. B. Klasse alle Zahlen innerhalb einer Zehnerreihe, also 1, 2, 3, 4, 9, oder 20, 21, 22, 25, 29, oder 30, 31, 39, oder 40, 41, 49 u. s. w., wobei die Klassen mit Zehnerklasse, Zwanzigerklasse, Dreißigerklasse u. f. w. bezeichnet werden. Zwillinge sind die in Klasse und Einer gleichen Zahlen, z. B. 11, 22, 33, 44 u. s. w. Rücken ist die Gleichheit der Einer in verschiedenen Klassen, z. B. 13, 23, 43, 53, oder 17, 27, 37, 97 u. s. w. Zur speciellen Bezeichnung der Rücken dienen noch die Einer; so sind die hier angeführten Rücken Dreierrücken und Siebenerrücken. Eine Nummer wird zeitig oder kommt vors Bret, wenn sie gezogen wird; fest sigt sie, wenn sie nicht gezogen wird. Eine gedeckte Nummer ist eine, deren Gewinn gesichert sein soll u. f. w. Vgl. das sehr interessante und belehrende Gespräch bei S. Wagner, a. a. D., S. 44 fg.

Noch bunter erscheint die Fallmacher-Sprachterminologie im Jüdischdeutschen, in welchem alle Zahlen nach dem Buchstaben genannt werden. Die Klassen sind danach die Zusser (Zehner), Kaffer (Zwanziger) u. s. w. Kaf Bes, Lamed Gimmel u. f. w. sind Zwillinge. Die oben angeführten Beispiele vom Rücken sind: Jud Gimmel 13, Kaf Gimmel 23, Memm Gimmel 43, Nun Gimmel 53, und heißen Jusserrücken, Kafferrücken,

Memmerrücken, Nunnerrücken u. s. w. Doch findet man sich leicht durch diese bunten Terminologien durch, wenn man die Zahlentabelle etwas genau ansieht.

Blickt man durch diese bunten Typen der Fallmachersprache hindurch auf den culturhistorischen Proceß, in welchem eben diese Typen sich bilden und festsehen konnten, so tritt auch hier eine starke Trübung des Volkslebens hervor und macht die Betrachtung sehr ernst. Die Geltung jeder Zahl ist aus dem tiefsten Aberglauben und Betruge, besonders aus der Kartenlegerei und Traumdeuterei entstanden, welche beide sich hier in eine düstere Verbindung gesezt haben. Wie bis zur Verwirrung gemischt auch die Theorie und Eregetik der Kartenlegerei und Traumdeuterei geworden ist, so abweichend jedes neue Karten und Traumdeutebuch von jedem andern und namentlich von ältern ist: unverjährt blickt doch derselbe alte Dämon des Mittelalters mit der alten unheimlichen Form und Farbe hindurch. Wenn die heutige wiener Köchin mit Zuversicht ihre Kreuzer auf 47 feßt, sobald sie von todten oder lebenden Bekannten, auf 1, wenn sie von einem jungen Kinde oder dem Kaiser, auf 11, wenn sie von Feuer und Soldaten, auf 90, wenn sie von Unrath oder Bauchfneipen träumt 1), so ist das die wiener Modernität; anderer Orten, in Berlin, Dresden, Hamburg, Lübeck, Kiel, Schleswig u.s. w., blickt überall die alte Kartendeutung mit der Beziehung auf Träume hervor, sodaß der Gegenstand des Traums auf seine bestimmte Bedeutung in der Karte zurückgeführt wird und dann die Zahlengeltung der somit indicirten Karte die sicher gewinnende Lottonummer ergibt, wobei die Anzahl der Personen und anderer Erscheinungen, welche im Traume vorkommen, die Klasse anzeigt

Doch ist diese alte Theorie durch den Absolutismus neuerer, unter dem schlimmen Scheine der Aufklärung doch noch immer auf den alten unvertilgbaren Dämon speculirender Theorien sehr verwischt und mit modernen fraßenhaften Tönen bis zur Unkenntlichkeit und völligen Entartung aufgefrischt worden.

1) Wagner, a. a. D., S. 277.

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