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einigung zur bloßen geselligen Erheiterung. Die Gebundenheit der Kellner an ihre offene geschäftliche wie geheime unlautere

der ihm dann einen seinem Grade und seiner Befähigung, die er übrigens nicht selten nach der Splendidität beurtheilt, entsprechenden Dienst anweist. Unter sich (S. 183) kennen sich die Kellner größtentheils nur unter Spignamen, deren Ursprung entweder aus drolligen Scenen ihrer Unterhaltungen oder aus physischen oder geistigen Eigenschaften herzuleiten sind, z. B. Pickachter, Cachuca Pepi, Bierschädel, steifer Michel, großer Schwab, Prophetenjack u. s. w. Alle in Dienst stehenden Kellner sind wenigstens von 9 oder 10 Uhr morgens an bis 12 Uhr und noch länger abends beschäftigt, daher sie, außer an ihrem alle 2-3 Wochen fallenden freien Nachmittage, nur frühmorgens und spätabends nach dem Feierabend ausgehen können. Morgens kommen sie, besonders an Sonn- und Festtagen, in schon bestimmten Kasseehäusern zum Frühstück zusammen und halten da ihre nach den Rangstusen verschiedenen Conversationen. Die Eleganten find modisch zusammengestugt, entweder einen stinkenden Mackintosh, einen engen Lüffel oder aber einen weiten Plunzendarmrock mit hölzernen Suppentellerknöpfen über dem zierlichen Frack à la Richelieu, Ringe, soviel nur immer Plag haben an den Fingern, schwere goldene Uhrketten um den Hals, dampfend aus einer mächtigen Meerschaumpfeife, oder einen noch 'noblern quasi-amerikanischen Glimmstengel rauchend, die mit Poudre du serail oder Eau de Bretfeld ganz durchräucherte, mit dem wiener aromatischen Schönheitswasser gewaschene und mit der ganz neu erfundenen privilegirten aromatisch-vegetabilischen Handyommade geschmierte Dulcinea an der Seite. Ihrer ganzen Unterhaltung nach würde man sie für Elegants aus den höhern Klaffen halten, wenn sie ihr Amt vergessen könnten und nicht häufig instinctmäßig nach dem Fidibus langten, wenn zufällig ihr nächster Nachbar sich eine Pfeife ladet. Die Mindern sprechen meistentheils nur von Geschäftssachen, und einer, der Gelegenheit hat, eine solche Morgenconversation anzuhören, kann Wunder vernehmen; man tischt hier auf, wie der Herr von S. und der Herr von M. und dann der galante P. schon lange bei ihm anschreiben lassen und bereits ihre Uhren und Ringe bei ihm verpfändet haben; wie einer oder der andere gerade von einem kreidigen Dandy kommt, den er mit einem infamen Morgenbesuch vergebens beehrt hat u. s. w.; wie der und der Wirth die Bierzurichtung und die Weinmischung betreibt, und was dergleichen Geschäftsgeheimnisse mehr sind. Verschwenderisch, ja sogar muthwillig prassend sind sie besonders die gute Pläge haben, d. h. wo ihnen viel geschenkt wird und wo sie viel betrügen können in ihren Abendunterhaltungen, bei denen in jeder Hinsicht tüchtig geschwelgt wird und die ohne ganz gemeinen Zank wol selten endigen. Es ist gar nichts Besonderes, daß so ein nobler Bierhauskellner mit einem oder zwei Gollegen 100 und noch mehr Gulden auf Champagner verschwendet, der dann, wenn er etliche Wochen ohne Dienst ist, erbärmlich herumgeht.

Thätigkeit, an Ort und Haus scheint kaum den Schluß auf eine durch bestimmten Ton und Geist zusammengehaltene innige Verbindung zuzulassen. Und doch ist schon das Ganze durch den Geist des Gaunerthums in die weiteste allgemeine Verbindung und zu einer socialpolitischen Bedeutsamkeit gebracht, so verschiedenartig auch in einzelnen Ländern und Orten je nach der vortretenden Färbung des Fremdenzugs im Aeußern die fremde Eigenthümlichkeit copirt werden mag, was außer Kleidung und Manieren besonders in der schlecht copirten Sprache der Fremden hervortritt. Die Nothwendigkeit der Verständigung mit fremdländischen Reisenden hat auch die Kellner auf das linguistische Gebiet geführt und Anlaß zur Erlernung fremder Sprachen gegeben, welche aus dem Munde eines aller bessern Schul- und geistigen Bildung baren, meistens aus den Wohnungen und Schulen der städtischen oder ländlichen Armuth in das Gasthofsleben der Stadt gezogenen und höchstens nach der,,Kunst, in vierundzwanzig Stunden ein kleiner Däne, Schwede, Russe, Franzose, Engländer u. s. w. zu werden" sprachmäßig (oft sogar autodidaktisch) unterrichteten Menschen, bei aller Beschränkung auf die kümmerlichste conversationelle Phraseologie, wie eine ungeheure, Ironie klingen und die Kellnersprache zu einem modernen idioten Rotwelsch gemacht haben, in welchem jeder Tiefling originell ist. Während man in den Gasthöfen der Ostseehandelspläge ein vermöge der Sprachverwandtschaft mit den kühnsten niederdeutschen Wörtern und Redensarten durchsponnenes fürchterliches Schwedisch und Dänisch, auch sogar Russisch hört, bildet gegen das mit dieser Art Rotwelsch schwer heimgesuchte Lübeck das benachbarte Hamburg die scharfe Grenze, wo der anglodeutsche Kellnersprachgürtel beginnt und von von da ab die Küsten der Nordsee entlang, den Rhein hinauf in die Schweiz und von da wieder nach Wien, Dresden u. s. w. hin sich verliert. Ein ebenso wunderlicher frankodeutscher Kellnersprachgürtel zieht sich von den Hauptpassagen über den Rhein besonders mitten durch Deutschland nach Böhmen hinein.

Wenn nun diese tolle und rohe Sprachmengerei lediglich aus

Unwissenheit entstanden ist, so hat doch eben die bis zur Verwegenheit gesteigerte Sicherheit ihres Gebrauchs dem auch im Kellnerleben wuchernden Gaunerthum Gelegenheit und Lust ge= boten, solche ungeheuerliche Worte in die Gaunersprache aufzunehmen und ihnen eine bestimmte Bedeutung zu verleihen, vorzüglich aber sie zu Spitznamen für die Kellner selbst zu verwenden. Die Wortmengung ist so roh und albern, daß Beispiele fast Ekel erregen: fashionmodern, comfortablebequem, Smörbutter, Ostkäs, Waschslugadiener, Parasolschirm u. s. w. und die Spiznamen: Monsieur Parlewu, Sir Spiekju, Duju, Waschsluga, Gawaritje u. s. w. Haben diese auf angegebenem Wege entstandenen baren Albernheiten jedenfalls ihre besondere Geltung, so hat dazu die geheime Tieflingsprache sich auch aus der Gaunersprache nicht unbedeutend verstärkt und umgekehrt auch dieser wieder manchen sprachlichen Zuwachs zugewendet, z. B.: abschäften, mit der Zeche durchgehen; Aufdiesser, Lohndiener, Kellner, Wirth; bissig, theuer; jungmäßig, ohne Geld; Lichtenstein oder Nassauer sein, kein Geld haben; Nägel machen, groß thun; Rauner, Auge, Geficht; halt's in Rauner, halt's im Auge; Tiefling, Kellner, Aufwärter; Wurf, Speise, Effen; Wurfplan, Speisekarte u. s. w. Namentlich sind auch alle bereits Th. II, S. 153 fg., S. 165 fg. und E. 182 fg. erklärten Kunstregeln und Kunstausdrücke der Makkener und Kittenschieber unter dem verdorbensten Theil der Tief= linge bekannt. So haben wir am lübecker Polizeiamte den Th. II, S. 166 u. abgebildeten Echeder nebst einem ähnlichen größern gerade dem Hausknecht eines großen Hotels abgenommen, wo derselbe seine Klamoniß auf dem Futterboden kawure gelegt hatte.

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Wie das ganze Treiben und die ganze zunächst für Wirth und Gast gleich gefährliche Stellung der Kellner in Deutschland ein scharfes Augenmerk verdient, so wenig dürfen auch beim Studium der Gaunersprache jene eigenthümlichen Ausdrücke ́unbeachtet bleiben, welche mit den Tieflingen in die Hotels hinein und wieder aus diesen herausziehen. Wer sich von dem Glanz und Com

fort großer Hotels mit unverschämtem Personal so wenig blenden läßt, wie von der Unscheinbarkeit ärmlicher Herbergen und Gaunerkneipen, der muß unbefangen gestehen, daß, wenn die früher in der Praris nicht selten und in Räuberromanen sehr häufig vorkommenden Mordkneipen und Höhlen so ziemlich vor der Aufsicht der Sicherheitsbehörden geschwunden sind, der reisende Fremde doch hier wie dort schon als Aequivalent für seine schmerzhafte Fremdencontrole das zu fordern berechtigt ist, was seine vaterländische Behörde auf dem ertheilten Passe für ihn ausdrücklich fordert: Freiheit und Schuß der Person und des Eigenthums.

Vierunddreißightes Kapitel.

. Die Aglersprache.

In größern Städten und namentlich an den Endpunkten der Eisenbahnen und der Dampfschiffahrt hat der Materialismus, wo er die Massen nicht mehr im großen compacten Ganzen weiter bewegen kann, die Zahl der Mittel zur verkleinerten Massenbewegung in übergroßer Anzahl vermehrt. Diese Mittel erscheinen vorzüglich geboten und förderlich, weil auch sie Raum und Zeit bewältigen und somit durch ihre Menge der großen Gesammtbewegung entsprechen. Auf den Hafenplägen, Eisenbahnhöfen, Marktplägen, Thorzingeln und Hauptstraßen steht und bewegt sich durcheinander mit den verschiedensten Namen: Chaise, Fiaker, Kutsche, Droschke, Omnibus u. s. w., zur Beförderung von Personen und Sachen eine Unzahl von Fahrzeugen, deren jedes einen besondern Führer haben muß. Bei der großen Menge dieser Fuhrwerke ist der Fahrbock das Asyl geworden, auf welches sich das durch denselben Materialismus ins Ungeheuere vermehrte Proletariat geflüchtet hat, um neben der Aufgabe, ohne besondere Kenntniß der Pferdebehandlung abgetriebene Gäule auf dem harten Gaffenpflaster in einen schwerfälligen Trab zu bringen, in der bunten Hin- und Herbewegung theils selbst die durchdachtesten

Gaunereien zu begehen, theils solche mindestens zu Gunsten vertrauter Genossen zu befördern und vom gemachten Gewinn seinen Vortheil zu ziehen. Schon längst hat die Polizei durch scharfe Fahrordnungen die frechen Zollschmuggeleien, die vielfachen Betrügereien, mit welchen die Agler 1) ihre Dienstherren wie die Passagiere durch Unterschlagung und Tarenüberseßung zu hintergehen wissen, zu beseitigen gesucht. Doch ist das verkappte Gaunerthum, welches durch die Agler auf den Kutschböcken repräsentirt wird, noch lange nicht genug beachtet und durch gënügende Maßregeln gebändigt worden. Der Agler, welcher von früh morgens bis spät abends in Schnee, Sturm, Regen und Sonnenhiße auf den Straßen und öffentlichen Plägen zubringt, hat eher den Schein gutmüthiger Harmlosigkeit für sich, als jedes andere verdächtige Ansehen. Doch ist die Verbindung der Agler unter sich so wenig zu leugnen wie die mit den ärgsten Gaunern. Das Unwesen findet sich besonders in großen Städten. Die Agler beschränken sich nicht allein auf die Beförderung ihrer diebischen Genossen, Kuppler und Gelegenheitsmacher von einer Stelle zur andern, sie geben ihren gaunerischen Verbündeten von ihrem Size, von dem aus sie das dichte Gedränge öffentlicher Pläge und belebter Straßen am besten übersehen können, geheime Zinken mit Blicken, Zuruf, Handbewegungen und vor allem mit der Peitsche, welche eins der merkwürdigsten und behendesten Mittel zum Zinkenen ist. So ist z. B. das spielende Knippen mit der Peitsche, während das Pferd steht, ein Warnungszinken zur Vorsicht. Starkes Klatschen gegen eine Seite des Pferdes, wobei dieses eine rasche Bewegung macht, bedeutet eine von dieser Seite drohende nahe Gefahr. Vor allem sind die Agler die gesuchtesten Vertusser, indem sie nach Verabredung ihr Pferd scharf strafen und wild machen, um die Aufmerksamkeit der Menge von den handelnden Torfdrückern oder Schottenfellern abzulenken. Sie sind mit ihren Fahrzeugen die besten Wandmacher (Th. II, S. 230) und

1), aglon, eder 2, agler, Kutscher, Fuhrmann; 2, agole, Wagen. Vgl. Th. II, S. 37, 90, 237 und das Wörterbuch.

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