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in welcher man so hochmüthig auf die Zunftrollen herabschaute. Was vom eigentlichen Handwerk in den Zunftrollen steht, ist quantitativ nur wenig, aber dies Wenige war ein mahnender Hinweis auf Reellität der Arbeit. Alles Uebrige ist ein so starker Zwang zu christlicher Zucht und Sitte wie die eiserne Nothwendigkeit selbst. Die Zunftrollen sind die Geburtszeugnisse des deutschen Bürgerthums und die Beglaubigung seiner christlichen Weihe, in welcher der Kern und die volle sittliche Kraft des deutschen Volkes sich entwickelte. Die Zünfte schufen den deutschen Handel und machten ihn stark und mächtig. Sie hegten und pflegten die Wissenschaft und Kunst und dachten und schufen zuerst die fromme christliche Malerei und Musik. Schon lange, che Fürsten und Ritter die Meistersänger begünstigt und dann überdrüssig von ihnen sich abgewandt hatten, waren es die Zünfte gewesen, welche den Gesang zum Volkslied umgeschaffen hatten, und als die Meistersänger mit ihrer entarteten Kunst von den Höfen sich fortwenden mußten und zu einem bänkelsängerischen Vagabundenleben übergingen: da hatten Gesang und Lied ihre feste heimische Stätte in den Handwerkersingschulen gefunden, welche sich zum Theil noch bis in dies Jahrhundert hinein erhalten konnten, weil sie, wenn auch in zunftmäßiger Abgeschlossenheit gehalten, doch in frischer Naturpoesie und in einfacher Weise von Freud und Leid des Lebens sangen. Die Poesie mußte erst in den Städten Volkspoesie werden, um Begeisterung und zum Ausdruck der Begeisterung die reine edle deutsche Sprache zu gewinnen. Was an den Höfen der Großen verdorben war, wurde in den Städten geläutert und zur wahren gefunden Bildung übergeführt. Wenn man die Sprache in ihrer würdigsten Gestalt bezeichnen will, so sollte man sie nicht „Sprache der Bildung", sondern geradezu die „Sprache der Zünfte“ nennen, weil diese die deutsche Sprache gerettet, erhalten, gepflegt und veredelt haben. Dieser Geist, diese Sprache der Zünfte gab den sprachrettenden Vereinigungen jene festgeschlossene, geistesgewaltige Form, in welcher ja der gerechte Forscher den ganzen bewußten, klaren und mächtigen Volksgeist erfennen muß, welcher gerade in den von ihm geschaffenen Formen

seine Kraft abklären wollte, um diese seine Kraft zu beherrschen und zu erhalten. Nur die kurzsichtigste Einseitigkeit beschränkt den Begriff der Zunftsprache auf die dürre Bezeichnung technischer Begriffe und Thätigkeiten; nur diese Einseitigkeit findet solche Bezeichnung roh und abgeschmackt, da sie nicht bedenkt, daß Begriff und Wort eine erste kindliche Entstehung hatten, und daß die Beibehaltung der unveränderten, unbefangenen alten Form gerade ein frisches Zeichen von der Gewalt des Geistes ist, welcher diese Formen schuf und erhielt, bis die zur Wahrung des Kunst und Zunftgeheimnisses geheim gehaltenen Begriffe, Zeichen und Losungsworte zuerst von der ängstlichen Reichsgeseßgebung in politischer Hinsicht verdächtigt, in neuerer Zeit durch Heraustreten der mechanischen, physikalischen und chemischen Wissenschaften auf der Folie gelehrter Kunstausdrücke lächerlich gemacht und durch das von der Gewerbefreiheit mächtig geförderte Emporwuchern eines proletarischen vagabundirenden Handwerksburschenthums mit aller polizeilichen Strenge überwacht und gemaßregelt wurden. Gerade aber diese specifische Zunft oder Handwerkersprache, als bedeutsames Zeugniß für die innere Kräftigkeit und Sittlichkeit der Zünfte, sollte nicht so obenhin angesehen werden. Der als Mitglied der Familie seines Lehrmeisters aufgenommene Lehrling wurde, nachdem er die großen Cardinaltugenden des socialpoliti schen Lebens, Zucht, Ordnung und Gehorsam, gelernt und geübt hatte, zum Gesellen gesprochen und der Geselle angewiesen, durch Wandern seine Kenntnisse und Geschicklichkeit zu erweitern. Mit jener sittlichen Ausrüstung ging er in die Fremde und kehrte als geschickter, kenntnißreicher Arbeiter zurück.. Er brachte das Beste mit, und das Schlechte, wenn er es nicht schon auswärts als solches erkannt und gemieden hatte, konnte er nicht in das reine Sittenleben der zünftigen Familie zurücktragen. Der in der Fremde verdorbene Ankömmling wurde gemieden und ausgestoßen. Wenn es ja einen Absolutismus in den Zünften gab, so war es der Absolutismus der strengen Sittlichkeit. Der Lurus mit seinen entsittlichenden Consequenzen ist Folge des Handels und ging, wenn überall in alle socialpolitischen Schichten, doch am spätesten

in den Handwerkerstand über. Mit der Sitte blieb auch die Sprache rein und deutsch, und das von der Fremde hereingetragene Gute wurde nur zur glücklichen deutschen Analogie und fand stets seine treffende deutsche Bezeichnung, die mit ehrlicher Treue durch Jahrhunderte beibehalten und nur dann für lächerlich und abgeschmackt erflärt wurde, als man das Alte nicht mehr verstehen konnte und deshalb geringschäßig behandelte. Darum hat erst die neuere Zeit mit dem Wandel und der Zerseßung zünftiger Sitte auch fremde Ausdrücke in die Handwerkersprache gebracht, und bedenklich, nicht mehr komisch erscheint es, wenn, während früher der Handwerker mit dem Hauptbindestoff seiner zünftigen Arbeit, der Tischler mit,, Leim", der Schuhmacher mit „Draht“, der Schneider mit „Zwirn" oder „Knöpfen" u. s. w. den nervus rerum bezeichnete, jezt alle Handwerksburschen verstehen, daß der Gaunerausdruck „Moos“ Geld bedeutet. Wie die flutende Beweglichkeit des Gaunerthums die ehrbare Wanderschaft der Zunftgesellen mit sich fortgerissen hat, daß es schwer hält, in der trüben Strömung die lautern Zuthaten von den unlautern zu unterscheiden, so ist auch die Zunftsprache in ihren alten Farbigkeit verblichen und mit Gaunerausdrücken durchmischt, sodaß die alte Erkenntniß des Zunftgenossen verloren gegangen, die Controle des Ab- und Zuwanderns in dem Paßbureau die widerlichste, trübfte und vergeblichste Arbeit des Polizeimanns geworden ist und zum schweren Nachtheil und Miscredit der Polizei die schlimmsten Fehlgriffe auf den Bureaur und den Vigilanzstationen kaum noch zu vermeiden sind.

Sweiunddreißightes Kapitel.

7. Die Soldatensprache.

Datirt man den Anfang des heutigen stabilen Soldatenthums von dem Auftreten der ersten größern Söldnermassen und nicht. erst von den durch Anlehnung an die fürstlichen Leibgarden des 17. Jahrhunderts eingerichteten stehenden Heeren des Dreißig

jährigen Kriegs, so muß man bekennen, daß nach einem mehr als dreihundertjährigen furchtbaren Treiben des deutschen Kriegsvolks die neueste Zeit allerdings sehr Großes am Soldatenthum gefördert hat. Die ersten Eremplare jenes Soldatenthums überhaupt, welche Deutschland zu sehen bekam, waren die Bruchstücke des aus Räuberbanden vom Connétable Bernhard von Armagnac im Anfang des 15. Jahrhunderts gesammelten, später mit dem Dauphin für Oesterreich gegen die Eidgenossen geschickten Armagnakenheeres, welches nach seiner Zersprengung in der Schlacht bei St.Jakob auf die empörendste Weise im Elsaß hauste. Im selben Jahrhundert findet man unter Maximilian I. die gleich verworfenen und verrufenen Landsknechte, über deren Auftreten schon Th. I, S. 48 gesprochen ist, und welche nicht allein in sittlicher, sondern auch in medicinalpolizeilicher Hinsicht historisch geworden sind, da sie, die von dem Volke wegen ihrer brutalen Liederlichfeit mit dem Namen buc gebrandmarkten Wüstlinge, es waren, welche die Syphilis und Blattern nach Deutschland einschleppten. Wennschon ihr Wesen und Treiben von Pontus Heuterus von Delfft (,, Belgische Geschichte“, VII, 341), von Sebastian Franck (,,Weltchronik“, f. 230) sehr dramatisch und von Hans Sachs (I, 995) poetisch geschildert wird:

Ihr Angesicht schrammet und knebelbartet,

auf das allerwildest geartet;

in summa wüst aller Gestalt,

wie man vor Jahren die Teufel malt u. s. w.

so erkennt man diese würzige Hauptingredienz des Soldatenthums vom 15.-17. Jahrhundert sehr deutlich aus der Unzahl der Kriegsordnungen, Artikelbriefe, Reglements u. s. w., aus Marimilian's,,Reuterbestallung“ und „Der Teutschen Knechte Articula“ u. s. w., welche wie eine psychologische Paraphrase dieser ungeheuerlichen Gestalten erscheinen. In den,,Fünf Büchern vom Kriegsregiment und Ordnung“ von Leonhard Frönsperger figuriren für jedes Fußknechtregiment neben dem Oberst und seinem Lieutenant, den Hauptleuten, dem Wacht-, Proviant- und Quartiermeister noch der Schultheiß, Gerichtsschreiber, Gerichtswaibel,

Gerichtsleute, Profoß, Stockmeister, Steckenknecht, Nachrichter und Hurenwaibel. Lezterer hatte die im Troß befindlichen Weibspersonen und Buben in Ordnung zu halten und besonders dafür zu sorgen, daß sie nicht in die Reihen liefen oder gar vor dem Soldatenhaufen in die Lager und Ortschaften voranliefen und die Nahrungsmittel vorwegnahmen. Bei dem fortdauernden Werbesystem konnte später selbst die tüchtige Kriegskunst Wallenstein's, Tilly's, Gustav Adolf's und Bernhard's von Weimar den sitt lichen Gehalt der wilden Soldatenhorden nicht heben, so tüchtig diese auch in der Schlacht sich zeigten. Vielmehr verschlimmerte sich sogar die ganze sittliche Haltung der Soldaten mehr und mehr, welche freilich aus fast allen Theilen Europas zusammengeworben waren. Da kamen Holländer, Engländer, Franzosen, Italiener, Ungarn, Siebenbürgen, Türken, Tataren, Zigeuner, Haiducken, Kosacken, Kroaten, Spanier, Wallonen und Deutsche aus allen Ecken Deutschlands zusammen. Die ruchloseste Aufführung neben der strengen Kriegszucht dieser zusammengerafften Horden gab dem Stockmeister, Nachrichter und Consorten alle Hände voll zu thun, sodaß die criminalistische Behendigkeit der Gerichte des 17. Jahrhunderts im Prügeln, Foltern und Hinrichten ganz besonders auch im Soldatenthum geläufig wurde. Es ist bezeichnend, daß das Eremplar des,, Beutelschneider“ (vgl. die Literatur Th. I, S. 216), welches ich besize, nach dem Auto- · graph auf dem Schmuzblatte vor dem Titel dem Sproß einer noch jest in Deutschland auf diplomatischem und soldatischem Gebiete ausgezeichneten adelichen Familie gehört hat, welcher wäh rend des Dreißigjährigen Kriegs,,Haubtmann über ein Companey von Zweyhundert man in Deß Wol Edlen und Gestrengen Herrn Herrn Oberst B. Regiment" gewesen ist und den Beutelschneider mit seinem specifisch criminalpolizeilichen Inhalte wol oft genug als Noth- und Hülfsbüchlein zur Aufrechthaltung der Ordnung in seiner Companey" zu Rathe gezogen haben mag. 1)

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1) Am Schlusse des Autographs steht dazu noch die herametrische Reflerion: Quid sis, quid fueris, quid eris, semper mediteris.

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