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deshalb volle Aufmerksamkeit, und ihre besondere Aufzählung und kritische Analyse würde lohnend genug sein.

Das offene, arglose Wesen des Matrosenthums bot dem Gaunerthum schon sehr früh Gelegenheit, alle seine Künste gegen dasselbe spielen zu lassen. Deshalb ist denn auch die Gesezgebung in Hafen- und Seestädten schon sehr zeitig bemüht gewesen, das arglose, nur zu leicht zu betrügende Secvolk durch eigene, sehr strenge Geseße zu schüßen. Nicht nur werden Diebstähle auf und in Schiffen als qualificirte Diebstähle sehr scharf bestraft, sondern auch jeder Hausirhandel an, auf und in Schiffen ist streng untersagt. Dennoch hat sich das Gaunerthum in die offene Weise und Sprache des Matrosenthums tief hineinstudirt und weiß sein er forenes Opfer auf alle erdenkliche Art zu überlisten, wenn auch jeder Gauner das schwere Risico sehr wohl kennt, daß der ent rüstete Betrogene unverdrossen manche Meile zu Fuße von einer Hafenstadt zur andern zurücklegt, blos um mit kaltem Blute dem Betrüger, ein blaues Auge zu geben“, was ihm, zum Nachtheil der polizeilichen Thätigkeit, bei weitem mehr Satisfaction ist als die Bestrafung des Betrügers und voller Schadenersaß durch Vermittelung der Behörde. So hat denn bei dem Eingange des Gauner thums auch in diese Sphäre die Gaunersprache besonders an der norddeutschen Küste eine nicht geringe Anzahl Wörter und Redensarten aus der Schiffersprache in sich aufgenommen, welche dann bei der Beweglichkeit des Gaunerthums auch tief landeinwärts getragen sind und bei ihrem Vorkommen in den entferntesten Theilen Deutschlands zwiefach überraschen.

Dazu findet nun aber leider das Gaunerthum, welches sich früher kaum an Bord der Schiffe wagte, jezt auch auf dem offenen Meere das Feld seiner Thätigkeit. Wie der Materialismus seit der Auflösung des ehrbaren Zunstwesens im sittlichen und materiellen Elend der breiten Gewerbefreiheit seine Triumphe feiert, so fängt denn auch das herrliche frische Matrosenleben nur allzu entschieden und rasch an abzubrechen und droht ganz zu Grunde zu gehen, je mehr die eigentliche wahre Schiffahrt, die Segelschiffahrt, von der Dampfschiffahrt verdrängt wird. Die alte Eins

fachheit und Ehrlichkeit, die `alte Sitte, der ehrerbietige Gehorsam, die harte gesunde Arbeit und Kost verschwinden vor dem raffinirten Wirthshausleben der Dampfschiffe. Jedes Dampfschiff trägt ein ganzes Stück bunten Weltlebens mit seinem Glanz und Elend hin und her, um es auch über das Meer hinweg immer rascher und bunter allenthalbenhin zu vertheilen. Das Dampfschiff braucht feine freien, frischen, frommen Matrosen mehr, es braucht nur Feuerleute, von welchen der Matrose sich stolz abwendet, weil zu jenen schon genug geringe Tagelöhner und auch flüchtige und verkappte Verbrecher zu haben sind. Bedeutungsvoll läuft auf tiefem Meeresgrund der verrätherische Draht unter dem flüchti gen sichern Verbrecher hinweg, um ihm doch noch zuvorzukommen und statt des rührenden alten, schlichten Lebewohls und Willkom mens den Abschied und Willkommen auf die Minute der Polizei zuzuweisen, ohne welche Abfahrt und Ankunft des Schiffs schon gar nicht mehr denkbar ist. Noch ist es viel Gutes und Schönes, was zu Grunde zu gehen und dem Gaunerthum zuzufallen hat, um dem riesigen Dämon und Herrn der Zeit, dem Materialismus, volle Genüge zu leisten. Das echte Matrosenthum ist bisjezt noch eine köstliche Perle an der Krone des deutschen Wesens, deren hohen Werth der Polizeimann am besten zu schägen weiß.

Dreißigstes Rapitel.

ε. Die Bergmannssprache.

Das Bergmannsleben weist in der socialpolitischen Lebensabschichtung eine ganz besondere Eigenthümlichkeit auf. Diese Eigenthümlichkeit beruht nicht so sehr auf der Abschichtung der Bergleute zur besondern geschiedenen Gruppe, welche, von der Oberfläche der Erde weggewiesen, in deren dunkelm, geheimnißvollem Schose ihre monotone emsige Thätigkeit entwickelt, als in der Geschiedenheit des einzelnen in der Gruppe selbst zu einer gebannten concreten Individualität. Während in jeder noch so streng Avé-kallemant, Gaunerthum. III.

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geschiedenen socialpolitischen Gruppe ihr charakteristisch Geistiges in der Zusammenstellung und Zusammenwirkung der einzelnen zum Ganzen als bezüglicher belebender Theile des lebendigen Ganzen zu erkennen ist und in dieser Weise als Geist der ganzen Gruppe auch wieder im einzelnen sich darstellt, welcher Geist eben durch sein collectives Leben eine Strömung nach außen gewinnt und die ganze Gruppe mit der Außenwelt sowol in der eigenthümlichen subjectiven Thätigkeit als in der äußern objectiven Anschauung innig auch durch den einzelnen verbindet: steht der Bergmann unten im Dunkel der Erde mitten unter der Schar seiner Berufsgenossen durchgehends als isolirte Individualität da; trägt auch das Leben und Verständniß der Außenwelt nicht in seiner Brust. Er hat nur einen Freund um sich, das Grubenlicht, das ihm seine Arbeit und die Möglichkeit ihrer Bewältigung anweist und durch die tägliche monotone Wiederholung seine innere und äußere Welt kaum weiter construirt, als seine Flamme leuchtet. Wie das Leben auf der Oberfläche der Erde ihm eine fremdartige Abstraction ist, in welche er sich wol hineinwagen, welche er aber niemals voll begreifen und beherrschen kann, wenn er auch die gelegentlich gebotene Lebensfreude gern und oft mit Begierde und wilder Lust genießt: so ist auch sein inneres Leben ein dunkeles, abgeschlossenes Geheimniß, in welches selbst die ausgelassenste Heiterkeit sich immer wieder zurückflüchtet, welches höchstens in Ahnungen zu lebendiger Regsamkeit sich erhebt, in trüben Aberglauben ausläuft und gegen diesen mit verzagter Frömmigkeit sich waffnet. Daraus erklärt sich die auffallende Thatsache, daß, so trübe bergmännische Erscheinungen auch hier und da aufgetaucht sind, das Gaunerthum in seiner ganzen langen Geschichte keinen einzigen Bergmann in seiner ungeheuern Jüngerschaft aufzuweisen hat, mindestens keinen, der ein Koryphae war, und daß nur wenige bergmännische Ausdrücke sich schüchtern in die Gaunersprache hineingewagt haben, wogegen einzelne, scheinbar specifische Gaunerausdrücke in der Bergmannssprache lediglich zufällige Aehnlichkeiten und fast durchgehends aus einer und derselben Stammwurzel mit verschiedener Bedeutung herzuleiten sind, wie z. B. Kau,

Zagel, Keffer (Geffer), auskärnen, anlegen, anfißen, abstechen u. s. w.

Die Bergmannssprache, so eigenthümlich sie auch dem Laien erscheint, hat unter allen Gewerbegruppen, welche zur Bezeichnung ihrer gewerblichen Gegenstände und Thätigkeit eine besondere Terminologie sich angeeignet haben, sich am reinsten und am meisten unverseht mit fremden Ausdrücken als deutsche Sprache erhalten. Sie hat die ältesten Wortwurzeln in steter Verjüngung, wenn auch in kunstgemäßer Abgeschloffenheit von der Laienwelt in sich bewahrt und erhalten, obgleich die ursprüngliche Bedeutung oft genug der neuern technischen Begriffsbezeichnung hat weichen müssen. Immerhin ist es interessant, namentlich ältere Wörterbücher der Bergmannssprache durchzusehen, wie z. B. das recht reichhaltige, obgleich auch nicht vollständige, der vornehmsten BergwercksTerminorum", S. 12-80 des zweiten Anhangs in dem bereits citirten „Historisch - Politisch - Juristischen Lericon“ von Nehring, wenn auch, wie erwähnt, die Ausbeute für das Studium der Gaunersprache nur gering ist.

Einunddreißigstes Rapitel.

3. Die Handwerkersprache.

Zwar findet man überall, daß die große Bedeutsamkeit der Zünfte für die Entwickelung des deutschen Bürgerthums von den Historikern erkannt worden ist; die Geschichte der Zünfte ist besonders in neuerer Zeit Gegenstand historischer Forschung gewesen. Aber gerade in der Allgemeinheit der historischen Darstellung hat man nur die einzelnen Züge der gewaltigen Erscheinung aufgefaßt und damit nur eine fragmentarische Physiognomik derselben geschaffen, mit welcher man den gewaltigen Geist weder ergründen noch ganz erfassen kann. Das Zunstwesen ist nicht das bloße Formular des Bürgerthums, in welchem dieses sich selbst ordnete und bändigte, sobald es sich hinter den Mauern der Städte zu

sammengefunden hatte: es ist die Offenbarung des wunderbar kräftigen Bürgerthums selbst, aus welcher allein man die Psychologie dieses Bürgerthums ergründen und construiren kann, um die ganze gewaltige Geltung und die so seltsame und wunder bar wechselnde Protection, Befehdung, Aufhebung und Wiedereinsegung der Zünfte durch Magistrat, Landesherrn und Kaiser begreifen zu lernen. Das Zunstwesen hielt das ganze mittelalterliche socialpolitische Leben aufrecht; das Zunftwesen schuf vor den Augen der Magistrate und der Landesherren die deutsche Polizei mit solcher innern Natürlichkeit, daß Magistrat und Landesherren selbst gern in dem Glauben sich ergingen, die aus tief chriftlichsittlichem, deutsch-geistigem Leben hervorsprießende Ordnung sei das gelungene Meisterstück ihrer künstlichen grübelnden Staatsweisheit, dessen Erhaltung ihre ordnende Hand nothwendig mache und rechtfertige, weshalb denn die merkwürdigen Kämpfe der Zünfte gegen die Zumuthungen der Obern, welche nur dann einen schwachen Sieg gegen die Zünfte zu erringen vermochten, wenn diese in der Ueberfülle ihrer natürlichen gefunden Lebenskraft die Symptome eines hypertrophischen Körpers zeigten und in diesem Befunde über sich ergehen ließen, daß die Magistrate in der matten Bánnungsformel der sogenannten Morgensprache" sich die kahle formelle Macht beilegten,,,die Zünfte zu mehren, zu mindern. oder gänzlich aufzuheben", ohne daß Magistrat und Zünfte jemals ernstlich daran denken konnten, daß diese leere, äußerlich wie ein Lebensabspruch lautende Drohung jemals That und Wahrheit wer den und in der sogenannten Gewerbefreiheit das Bürgerthum zur bloßen Staatshörigkeit, ohne Sonderung und Sicherung gegen das Proletariat, überführen würde.

Der tief in alle socialpolitischen Verhältnisse hineinwirkende Einfluß dieser beklagenswerthen Aufhebung der Zünfte hat den ernsten Blick der Staatsmänner auf die Geschichte der Zünfte zurückgelenkt, um möglichst wieder zu gewinnen, was verloren gegangen ist, und durch verständige Reform noch zu retten, was auch hier dem Materialismus gänzlich zum Opfer zu fallen droht. Man ist gerechter damit gegen Volk und Geschichte als jene Zeit,

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