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Judenthum hat der Eifer für das Gesetz lediglich den Zweck, das messianische Heil vom Himmel auf die Erde herabzuziehn. So allein ist uns auch die Existenz der jüdischen Diaspora verständlich, die an Eifer niemals hinter dem Mutterlande zurückgestanden, oft dasselbe weit übertroffen hat. Was die in alle Welt versprengten Juden bei dem väterlichen Glauben festhielt, waren im Grunde allein die Hoffnungen, die in jedem einzelnen lebendig waren. Es sollte einmal eine Zeit kommen, wo aller Stolz der Heidenwelt sich vor dem verachteten Judengotte und Judenvolke bücken musste.

In gewöhnlichen Zeiten war diese Hoffnung durchaus frei von aller Erregtheit, sie bildete den ruhigen Hintergrund der Stimmung. Man hatte ein Angeld auf ihre einstige Erfüllung in der Rückkehr der Verbannten aus Babylon, in der Wiedererstehung der heiligen Stadt und des heiligen Berges, der einmal der Sitz der Weltherrschaft Gottes werden sollte. Andererseits sah man unter der Gesetzesherrschaft erst recht ein, wie viel dazu gehörte, dem göttlichen Willen gerecht zu werden. Das stimmte die Leute zur Geduld, auch zur Geduld in der Hoffnung. Für die Besten hatte die Hoffnung auch einen sehr ernsten Character. Mit dem Eintritt der messianischen Zeit sollte auch ein strenges Läuterungsgericht über die Gemeinde kommen, da sollten die Gottlosen nicht im Gericht und die Sünder nicht in der Gemeinde der Gerechten bleiben. Ferner beanspruchte der Einzelne für sich anfänglich keinen persönlichen Antheil an der messianischen Zukunft. Er arbeitete freilich durch Erfüllung des Gesetzes an ihrer Herbeiführung mit, aber er fühlte sich so sehr als ein Theil des Ganzen, dafs er für sich selbst zufrieden war, wenn er zeitlebens Jerusalem im Glück sah. Ihm war es genug, dafs seinem Volke zuletzt das gröfste zu Theil werden musste, in dieser Zuversicht starb er getrost den Tod der Gerechten, von dem Bileam redet. Erst ganz

allmählich kam der Glaube an eine Auferstehung auf, und zwar hoffte man auch da zunächst nur eine Auferstehung der Märtyrer und der Abtrünnigen, nicht aber eine allgemeine Auferstehung aller Juden, von den Heiden nicht zu reden. So geduldete man sich vorläufig wegen der Zeit und Stunde und suchte sich über das Elend der Gegenwart so gut zu trösten, als es ging. Merkwürdig sind einzelne Vorstellungen, die man zu dem Zweck falste und die einen beinahe dogmatischen Charakter trugen. Man sagte, gegenwärtig wohne Jahve noch nicht wieder im Tempel wie in alter Zeit, aber zuletzt sollte er doch wieder in sein Haus einziehn und dann alle Herrlichkeit mit sich bringen, die man jetzt vermifste. Man suchte das Elend der Gegenwart auch wohl mit der Annahme zu erklären, dafs gegenwärtig nicht Gott selbst die Welt regiere. Man sagte, Jahve habe die Weltregierung gewissen Engelfürsten übertragen, die für die himmlischen Patrone der heidnischen Grofsmächte gelten, und diese Engelfürsten führten das Regiment im Widerspruch mit den Anweisungen Gottes. Aber am Ende der Tage sollten sie zur Rechenschaft gezogen und in die Hölle geworfen werden. Das einfachste und populärste Theologumen dieser Art war jedoch die Idee von der Aera des Zorns. Immer noch zürnte Jahve wegen der Sünden der Väter und dieser Zorn musste sich nun wie eine unwiderstehliche Naturgewalt einmal auswirken. Das war mehr als das allgemeine Schuldbewusstsein. Man war nämlich nicht der Meinung, dafs der Zorn Gottes mit der Sünde Israels in einem ganz bestimmten Verhältnifs stehe, bis auf einen gewissen Grad schien der Zorn überhaupt unfafslich. Eine solche Denkweise konnte einen irreligiösen Character annehmen, sie entstammte aber einer ächt religiösen Wurzel.

Für gewöhnlich verzichtete man also darauf, Zeit und Stunde zu wissen, in denen Jahves und Israels Herrlichkeit offenbar werden sollte, aber im Augenblick der

höchsten Noth, wenn die Gemeinde mit der heidnischen Weltmacht zusammenstiefs, wenn sie und mit ihr der wahre Gott von der Welt verschlungen zu werden schien, dann war eine solche Resignation unmöglich. Als Antiochus Epiphanes die jüdische Religion verbot und die Erfüllung des Gesetzes mit dem Tode bestrafte, als er den Tempel in Jerusalem plünderte, verwüstete und in einen Zeustempel umwandelte, als er oben auf den heiligen Altar Gottes einen Götzenaltar setzte und heidnische Gräuelopfer darauf darbringen liefs, da schien der grofse Kampf zwischen Gott und Welt zur letzten Entscheidung kommen zu sollen.

Eine unsägliche Erbitterung gegen den Schänder des Heiligthums erfüllte die Gemüther, aber zugleich auch eine namenlose Angst. Noch nie hatte der Glaube vor einem so furchtbaren Räthsel gestanden. Wohl war der Tempel schon öfter in die Hände der Heiden gefallen, auch die Chaldäer hatten ihn entweiht und zerstört. Das war aber damals von den Propheten längst vorher geweissagt und zwar als Strafe für die Abgötterei des Volkes, jetzt wurde die Gemeinde aufs Grausamste wegen ihrer Treue gegen den Gott der Väter verfolgt. Ausdrücklich und ausschliesslich richteten sich die Angriffe der Heiden auf den Glauben und auf den Gott Israels, um den heiligen Namen aus der Welt zu vertilgen. In grofssprecherischen Proclamationen rühmte Antiochus sich den Juden gegenüber, dass er ungestraft an das Heiligthum ihres Gottes die Hand gelegt habe. Dem gegenüber musste der wahre Gott sein Dasein und seine Macht beweisen, er mufste durch Entfaltung aller seiner Wunder diesen Angriff auf seine Majestät niederschlagen. Sonst schien aller Glaube zu Boden zu fallen. Wie ein Nothschrei von Ertrinkenden drang da zum Himmel der uralte Ruf empor: Erwache, warum schläfst Du? So riefen die Ungeduldigen, andere waren aber von der baldigen Offenbarung der

göttlichen Herrlichkeit überzeugt und das waren eigentlich die Geduldigen.

Um das zu verstehn, müssen wir das Verhalten der ächten Juden jener Zeit ins Auge fassen. Bekanntlich wagten die makkabäischen Freiheitskämpfer anfangs am Sabbath nicht zu fechten. Hunderte von ihnen wurden einst am Sabbath von den Syrern niedergemacht, ohne sich zur Wehr zu setzen. Es gab aber auch Juden, die allen und jeden Widerstand für unerlaubt hielten. Diese erfüllten trotz aller Verfolgung das Gesetz und litten dafür geduldig den Märtyrertod, indem sie allein Gott die Rache anheimstellten. Wer sich aber so ganz allein auf Gott verliefs, der erwartete von Gottes Einschreiten auch viel mehr als die, welche das Schwert gegen die Syrer zogen. Für einen solchen steigerte sich der Glaube an den endlichen Sieg seines Gottes zu der Gewissheit, dass die Fülle der Zeiten gekommen sei. In dieser Ueberzeugung ist damals das Buch Daniel geschrieben, der älteste und edelste Vertreter der eigentlich so zu nennenden jüdischen Apocalyptik.

Das Wesen der Apocalyptik ist die Gewissheit von der unmittelbaren Nähe der messianischen Zukunft. Das wird am Schlufs des Buches Daniel deutlich genug. Daniel hat eben die letzte und ausführlichste Offenbarung über das Ende aller Geschichte empfangen. Die Schändung des Heiligthums durch den verruchten König des Nordlandes, der den Opferdienst unterbricht und den Gräuel des Entsetzens im Tempel aufstellt, soll den endlichen Wendepunkt bringen. Da wird jener Verruchte von himmlischer Hand niedergeworfen und zugleich die Herrschaft des heiligen Volkes Gottes für alle Ewigkeit aufgerichtet. Die Vision ist zu Ende. Gabriel, der dies alles dem Daniel offenbarte, schwebt über den Wassern des Tigris, die beiden Engel, die ihn begleiteten, stehen rechts und links auf beiden Ufern des Flusses, über ihnen

kehrt Gabriel in den Himmel zurück. Da gilt es nun im letzten Augenblick, ehe der Himmlische völlig verschwindet, noch einmal Gewissheit über die wichtigste aller Fragen zu erhalten, die freilich schon öfter beantwortet ist, aber hier zum Schlufs energisch erneuert wird. Es ist die Frage nach der Dauer der letzten Leidenszeit. Daniel, der anbetend am Boden liegt, wagt selbst diese Frage nicht zu stellen, wie in stillem Einverständnifs fragt deshalb für ihn einer der beiden Engel, bis wann denn das Ende all der entsetzlichen Dinge zu erwarten sei. Da hebt Gabriel seine Rechte und Linke gen Himmel und schwört bei dem, der da ewig lebt, die Noth werde dauern eine Zeit und Zeiten und eine halbe Zeit. Aber diese Antwort Gabriels erscheint noch räthselhaft und so nimmt Daniel sich nun den Muth selbst zu fragen, wann denn das Ende sein werde. Und da lautet die Auskunft: Von der Unterbrechung des Gottesdienstes und der Aufrichtung des heidnischen Altars werden 1290 Tage vergehn und Heil dem, der da ausharrt und 1335 Tage erreicht! Scheinbar genaue, aber in Wahrheit runde Zahlen, die das ungefähre Zeitmals von 3, Jahren umschreiben sollen, das ist: eine Zeit und Zeiten und eine halbe Zeit. Man wollte sich also geduldig abschlachten lassen, aber man wollte auch die Tage zählen können, die bis zur Offenbarung der himmlischen Herrlichkeit noch verstreichen müfsten.

Der Glaube an den endlichen Triumph des wahren Gottes über die gottlose Welt nahm damals mit innerer Nothwendigkeit die Gestalt an, dafs dieser Triumph unmittelbar bevorstehe. Diese Eigenthümlichkeit theilt das Buch Daniel in gewissem Mafse mit aller religiösen Literatur, die aus ungewöhnlich erregten Zeiten stammt, mit allen Apocalypsen und, wenn auch in etwas anderer Weise, mit allen Prophetien, auch mit dem Neuen Testament. Aber nirgendwo ist diese Eigenthümlichkeit begreiflicher wie hier. Wohl niemals ist der Glaube in einer so furcht

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