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So schrieb ich einen Brief nach dem andern, und Sie erhalten gedruckt, was ich Ihnen schreiben wollte, statt einer Reihe von Briefen ein Buch.

Ich denke, es soll für Mehrere, als für Sie, feyn. Man hat immer treffend für Viele geschrieben, wenn man einen Einzelnen aus dem Kreise, für den man schreiben will, einen Notablen dieses Kreises, recht in's Auge faßt und sich vor der Seele erhält.

3 weiter Brief.

An denselben.

Freilich fällt es dem Unbefangenen auf, daß My

stik so warme Verehrer für sich, und so erbitterte Feinde, so arge Spötter gegen sich hat; daß große Gelehrte, Bibelkenner, Bibelerklärer so sehr da= gegen, und Bibelkenner, cinige Bibelverehrer so sehr dafür find. Aber geht es nicht mehreren Menschen, Büchern, Anstalten, theologischen und philosophischen Systemen so? Hören Sie Manche über Spinoza, Jean Paul, über die Brüdergemeinde, über Schelling und seine Naturphilosophie reden; so ist die Quintessenz aller Genialitát, Weisheit, das einzige, wahre Christenthum, die einzige, wahre Philosophie in den Schriften dieser Månner, in diesen Systemen oder Kirchen zu finden. Hören Sie Andere, so ist Spinoza ein Atheist, Jean Paul versteht sich oft selbst nicht, ist überladen mit Bildern, die Brüdergemeinde ist ein religiöser Nothstall, in dem die Menschen zu

willenlosen Maschinen gebildet werden, und die Naturphilosophie ist eine Vernunftschwärmerei, nach welcher Tugend und Laster, Religiosität und Atheismus, Grund und Ungrund Eins find. Mir ist dies schon ein Wink, daß in solchen Månnern, Schriften, Anstalten irgend etwas Anziehendes und Abstoßendes für manche Subjecte liegen müsse. Etwas Gemeines, Alltägliches kann es nicht seyn. Das liebt und haßt man nicht; man übersicht es oder verachtet es. Beides, das Abstoßende wie das Anziehende kann indeß in dem Menschen, in der Schrift,, dem System, der. Anstalt selbst, liegen; daß bei Einer Partei Menschen das Anziehende so stark anzieht, daß das Abstoßende nicht bemerkt wird,, also nicht abstoßen kann, oder daß man es duldet, wie man gewisse Schwachheiten an großen, ehrwürdigen Menschen duldet, und bei einer andern das Abstoßende so hervorspringt, daß das Anziehende in Schatten ge= stellt, sohin übersehen wird. Es kann indeß auch seyn, daß es in der Organisation der Beobachtenden, Lesenden, Prüfenden liegt, wenn sie das Anzichende, Treffliche in manchen Menschen, Schriften, Systemen, Kirchen nicht schäßen, wohl gar für Thorheit, Schwärmerei, oder gar für gefährlich halten, weil sie, im eigentlichsten Verstande, keinen Sinn für solche Sachen oder

Wahrheiten haben. Man kann nämlich ein großer Gelehrter, Sprach- und Alterthumsgelehrter seyn, ohne darum ein philosophisches System übersehen und beurtheilen zu können. Man kann noch eher ein tiefer, scharfsinniger Philosoph seyn, ohne. darum Shakspeares Philosophie zu verstehen, oder an Offians Natur- und Heldengemålden Geschmack zu finden. Der größte Mathematiker mag vielleicht Gluk's Iphigenie oder Hendels Messias nicht hören. Sind nun solche einseitig organisirte oder gebildete Menschen bescheiden; kennen sie sich ge= nug, um zu wissen, wofür sie Sinn haben, und wofür ihnen der Sinn fehlt; so sagen fie offen: mir ist diese oder jene Ansicht, diese oder jene Schrift nichts; Musik, Malerei, Poesie ist meine Sache nicht, und Niemand hat etwas dagegen einzuwenden. Aber wenn sie wähnen, sie verstånden den hohen Geist, oder das zart und tief Gemuthliche einer Schrift, weil sie den Buchstaben derselben vielleicht besser als hundert Andere verstehen; wenn sie über dies tief Gemüthliche, als über Schwärmerei oder Unsinn absprechen, weil sie keinen Sinn dafür haben; wenn sie innere und aus dem Innerften gegebene Erfahrungen leugnen, weil sie von diesen Erfahrungen nichts wissen; so sind sie nicht weiser, als jener Taubgeborne, der nicht begreifen konnte, daß vibrirte Saiten gewisse Töne von sich gåben,

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und dem Tonkünstler sagte: Faites moi vos sons visible, ou je doute leur existence." So gut Mangel des Gesichts bei dem zartesten Tonsinn bestehen kann, so gut man blind und ein Dülon seyn kann; so gut kann Gelehrsamkeit, philoso= phischer Scharfsinn bei Stumpfheit des Gefühls bestehen; aber Dülon müßte sich nicht anmaßen, eine Madonna von Rafael zu beurtheilen. Und eben so wenig sollten bloße Sprach- und Buchstaben Gelehrte über Aeußerungen des tiefsten Gemüths urtheilen oder sie gar verurtheilen, weil ihnen der Sinn dafür fehlt. Dies gilt von keinen Aeußerungen mehr, als von so vielen Aeußerungen der Bibel. Sie ist nicht für den Sprachforscher, den Philosophen, sondern für das Tiefste, Heiligste unseres Gemüths, für das Innerste, wo Denk- und Gefühlvermögen noch Eins ist, für den religiösen Sinn. Der Sprachgelehrte kann uns den buchstäblichen Sinn mancher Stelle verständlich machen; der Philosoph kann eine Theodicee aus den Aeußerungen der Bibel construiren, wenn er noch kindlich genug ist, das Gegebene wieder zu geben, also nicht Menschen und Gott - sehen will. Aber ohne religiösen Sinn wird er nie verstehen, was dem religiösen

Sinn allein gegeben ist. Eine Zeitlang konnt' ich nicht begreifen, wie manche tiefgelehrte Exegeten

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