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Die Führung der Zöglinge und des ZöglingsVolks Gottes ist Symbol von der Führung aller Christen in den Hauptperioden ihres Gangs.

Man muß von diesem Gange, von diesem innern Leben Etwas erfahren haben, wenn man einen Begriff davon haben oder daran glauben soll. Allen durch Erfahrung nicht Eingeweihten ist und bleibt es ein Geheimniß.

Ich gebe Ihnen jest nur diese Hauptgrundsähe der wahren Mystik hin, ohne Beweis, ohne irgend Etwas zu ihrer Bestätigung zu sagen. Denken Sie darüber nach, ob Sie Etwas darin wahr finden, und sagen mir Ihre Meinung. Ich will mich dann nåher erklären. Wir wollen Nichts für wahr annehmen, weil es dem Zeitgeist als wahr erscheint, aber auch Nichts verwerfen, weil es der Zeitgeist verwirft. Gründe allein sollen uns bestimmen. Doch werde ich Ihnen manchmal eine Auctorität vorführen, die Sie als solche erkennen, um meine Behauptungen vor dem Vorwurfe der Schwärmerei zu sichern und mir die Zeit und Mühe weitläufiger Beweise zu ersparen; und ein hic niger est etc. von mir abzuwenden, das fast so schimpflich ist, als der Titel Keher in älteren Zeiten gefährlich war.

Neunter Brief.

A n denselben.

Ich habe Ihnen die Hauptgrundsähe der Mystiker

kurz dargelegt. Sie wünschten aber diese Grundfåge genau kennen zu lernen; die Art, wie sie auf die Bibel blicken, die Bibel erklären, und wie man ihre Naturphilosophie, die von ihnen so oft be= rührte Aehnlichkeit ihrer Führung mit der Führung der vorzüglichsten Bibelmenschen und der Juden, dieses Zöglingsvolks Gottes, zu verstehen habe. Ehe ich mich an dies Geschäft wage, muß ich ein Paar Anmerkungen vorausschicken, damit Sie sich keine unrichtige Vorstellung von Dem machen, was ich zu Ihrer Befriedigung leisten kann.

Vor Alem also denken Sie sich die Mystiker nicht wie Philosophen, die ihre Grundsäge bestimmt, wenn auch oft dunkel genug, hinstellen, und daraus folgerecht deduciren, was daraus deducirt

werden kann, oder was sie daraus herleiten wollen. Mit den Mystikern ist es anders.

Sie werden schwerlich irgend Eine bei ihren Ansichten zum Grunde liegende Wahrheit so allge= mein ausgedrückt finden, wie ich sie Ihnen geben muß, wenn Sie zufrieden seyn sollen. Ihre Grundfäße sind eigentlich Das nicht, was man gewöhnlich so nennt, nicht Wahrheiten oder Behauptungen, die man durchgedacht hat, und die man zu be= weisen sucht. Es sind eigentlich Grundanschauungen, Grunderfahrungen, die keines Beweises fähig sind, aber auch keines Beweises bedürfen. Sie wissen, es gibt manche Wahrheiten, und gerade die höchsten und tiefsten, deren Wahrheit man nur begreift, wenn man sie hat; von deren Möglichkeit man Nichts ahnet, bis sie in uns sind. Und auch dann kann man sie nur fühlen, und vermag sie nicht zu zergliedern. Man muß fie sich ganz und im Ganzen zum Bewußtseyn bringen. So ist Glaube, Liebe, neue Geburt, wovon Jesus sagt: Der Wind wehet und du hörest sein Saufen wohl, aber du weißt nicht, wo er entstand, und wie weit er geht. So ist jeder Mensch, der aus dem Geiste geboren wird." Wenn man sie in sich zur Anschauung bringt, oder wenn sie zum innerlichen Anschauen kommen, so hat man sie darum auch. Anschauen des Schönen, des

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Wahren, des Göttlichen ist augenblickliche Besitznahme dieser Güter. Diese Fähigkeit des Anschauens seht so viel Aehnlichkeit mit diesen Eigenschaften voraus, oder entwickelt diese Aehnlichkeit so sehr, daß wir Eigenthümer einer Tugend, Urheber einer Handlung, Erfinder einer Wahrheit, Inhaber einer Glückseligkeit werden, indem wir sie anschauen. Ich sage: anschauen, nicht ein kaltes Erkennen. Darum fagt der tief-mystische Johannes: ,,Wenn Alles vollendet ist, dann werden wir Gott gleich seyn; denn wir werden ihn sehen, wie er ist." *) Wenn auch die verkehrten Menschen manchmal eine hohe Begeisterung für das Vortreffliche anwandelt, so ist es eine unnatürliche, durch einen Schwung der Phantasie hervorgebrachte, die flüchtig dahin schwindet und das Herz den niedrigen Leidenschaften nur ermatteter überlåßt. Von der Richtigkeit der mystischen Grundanschauungen muß man also ausgehen; fie muß man voraussehen, wenn man die Mystiker verstehen will, wie man ja auch, nach Jacobi, und sogar nach Hume, gewisse speculative Wahrheiten ohne Beweis voraussehen oder glauben muß, wenn die Philoso: phen uns Etwas geben sollen.

*) I. Joh. 3, 2.

Eine andere, Bemerkung, die ich Ihnen machen muß, ist: die alte Mystik und sogenannte Theosophie sind durchaus verschieden, ob sie gleich häufig miteinander verwechselt werden. Zwar kann ein Theosoph zugleich Mystiker seyn; aber der Mystiker ist darum nicht Theosoph. Der bekannte Jacob Böhme war Theosoph, aber nicht Mystiker. Eben so Schwedenborg, St. Martin und Mehrere. Wenigstens sind es ihre Schriften nicht. Theosophen und Mystiker ge= hen auch als solche einen ganz verschiedenen Weg. Jene blicken nach außen hin, wirken nach außen. Ihre Anschauungen haben die Natur in ihren innersten Geheimnissen und den geheimen Sinn der Bibel zum Gegenstand. Diese, die Mystiker, blicken nur in sich. Ihr innerer Mensch ist die Welt. Von ihm aus blicken sie nach außen. Er löset ih= nen manche Räthsel der Natur und der Bibel. Und so machen sie freilich auch manchmal eine Anwendung von der Bibel, die besonders unseren flachen Eregeten ein Gråuel seyn muß. Manchmal wird auch ihre Erklärungsart gemißbraucht, wenn der historische Sinn bei Seite geseßt, und Alles blos auf den Gang und Fortgang, auf die Umschwünge und Schicksale des innern Menschen be= zogen wird.

Und nun hören Sie die Grundanschauungen, worauf sich in aller Mystik Alles bezieht.

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