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ruchten Menschen einen tapfern Verfechter der Or= thodorie und des katholischen Glaubens nannte, der den ersten Christen ganz ähnlich gewesen sey. Zu der nämlichen Zeit lebte aber auch Augustin, der den Gang und die Entwickelung seines innern Lebens so treu darstellte und durch seine Schriften so großen Einfluß auf sein Zeitalter hatte; Chrysostomus, der Einkehr in sich selbst, Verleugnung und festes Anhalten an den Herrn mit so sanft eindringender Beredtsamkeit predigte; der demüthig fromme Martin, der die niedrigste Stelle in der Kirche annahm, da alle andere Geistliche seiner Zeit Bisthümer suchten, Isidor von Pelusio, der gar keine geistliche Stelle wollte, aber durch seine Correspondenz weit um sich her wirkte, auch durch sein Beispiel so erbaute, daß man ihn Deophoron, einen mit Gott vereinigten Menschen, nannte; ein Name, der es schon zeigte, wohin sein Streben gerichtet, und daß er Eins mit den Mystikern war. Das waren auch alle übrige ge= nannte Månner, wenn sie auch nicht so hießen, weil der Geist echter Mystik, inneres Leben, Nahrung dieses Lebens, durch Verleugnung, Glaube und Liebe ihnen war, weil er sich gerade durch den verdorbenen Zeitgeist in ihnen entwickelt hatte, dem fie entgegen zu arbeiten sich innerlich berufen fühlten.

Ich würde Sie ermüden, verehrter Mann, wenn ich fortfahren wollte, Ihnen durch alle Jahrhunderte der christlichen Zeitrechnung zu zeigen, wie Mystik und Mystiker entstanden seyen und was sie sollten. Aber in die mittleren Zeiten, in das zwölfte bis funfzehnte Jahrhundert, muß ich Sie doch führen, wo wir den Culminationspunct ~ der Mystik finden, um meine Behauptung zu be stätigen. Der Uebermuth und das Verderben der Geistlichkeit wuchs von Tage zu Tage. Sie vergaß ganz, was sie war und seyn sollte. Baronius und Gualterus erzählen, der Bischof Otto von Freißingen habe mit dem Herzog von Baiern Krieg angefangen und viel Gewalt gebraucht. Ein anderer Erzbischof habe eben deßwegen viele taufend Menschen ermordet, Schlösser und feste Plähe eingenommen, die Kirchen beraubt und Alles verheert. Zwei Webte, die sich feind waren, verwendeten alle Einkünfte ihrer Klöster auf Werbung von Soldaten, um sich einander zu bekriegen. Allgemein wurde geklagt, wer in einem Consistorium Etwas zu suchen habe, 'der müsse nur bei Zeiten Geld suchen, wolle er nicht verlieren. Man höre da nur die, welche krumme Hånde mitbråchten. Der König von England, Wilhelm II, wollte die unleidliche, årgerliche Wollust der Mönche bestrafen; aber der Bischof Anselm von Can

Die Sitten:

terbury gab es nicht zu und behauptete, es ges bühre keiner weltlichen Obrigkeit, die Sünden der Geistlichen zu strafen. Von den Bischöfen wurden sie aber auch nicht bestraft, ja der Papst selbst sah alle dem Unwesen ruhig zu, und heşte die Parteien noch gegen einander auf. und Ruchlosigkeit ging so weit, daß sich die Geistlichen, in Gegenwart des Kaisers Conrad, am Pfingstfeste in der Kirche um den Vorrang stritten, daß ihre Diener auf beiden Seiten sich in den Streit mischten, so daß viel Blut in der Kirche vergossen wurde. Dabei ward das Lesen der Bibel von den Theologen verboten, und die Klerisci verfiel nun ganz in die Schul- und StreitTheologie, in welcher der bekannte Petrus Lombardus ein Meister war. Es wurden lauter un nüße Fragen aufgeworfen und mit Spitfindigkeiten beantwortet, über die Beantwortung gestritten, und das Bestrittene ebenfalls bestritten. Und diese Klopffechterei, bei der das Streiten nicht Mittel zur Vereinigung, sondern Zweck war, sollte Reli gion ersehen, sollte Religion seyn! Indeß war auch damals echte Religiosität noch nicht ausges storben. Es lebten gar Manche, die ihre Knie nicht beugten vor dem Baal jener Zeit. Die Waldenser traten als Zeugen der Wahrheit auf. Ihr Leben und Wandel zeugte am stärksten für

sie. Selbst einer ihrer Inquifitoren sagte von ihnen:,,Man kennt die Keher gleich an ihrem Leben und Reden." (Keßer hieß also der, der anders spricht und handelt als die Klerisei. ) Wunder, sollte man jest denken, welche Laster und Verbrechen jetzt aufgezählt werden würden. Aber der Inquisitor fährt fort: ,,Sie sind in ihrem Bezeigen bescheiden und sittsam; in Kleidern gar nicht stolz; denn sie haben weder kostbare, noch allzugeringe Kleider an. Sie pflegen nicht zu handeln, damit sie die Lügen, Eidschwur und Betrug vermeiden; sondern sie nåhren sich nur von ihrer Hånde Arbeit. Sie fammeln auch keinen Reichthum, sondern sind mit der Nothdurft vergnügt. Sie, die Leonisten (so hießen damals alle Waldenfer), sind auch keusche Leute. In Speise und Trank c. ganz måßig. Sie gehen nicht in die Saufhäuser, auch nicht zum Tanz oder andern Eitelkeiten. Vom Zorn enthalten sie sich gleichfalls; wenn sie aber nicht arbeiten, so lehren oder lernen sie Etwas, und deßwegen beten sie wenig." (Ein Anderer sagt aber, daß sie des Tags sehr oft gebetet håtten, aber mit ihres Gleichen auf den Knien, hielten aber kein ander Gebet für gut, als das Vaterunser. Sie kommen auch verstellter Weise" (das seht der Herzenskenner hinzu) zur Kirche, Beichte und Communion, und hören die

Predigt mit, (,,damit sie den Prediger in seiner Rede fangen," seßt der liebevolle Inquisitor hinzu.) Und diese Leute waren es, die man auf alle Art verfolgte; gegen die Lucius III eine donnernde Bulle herausgab, ja, gegen die man im Jahre 1208 einen ordentlichen Krieg anfing, in welchem über 70,000 ermordet, und ihnen alle ihre Wohnpläße genommen wurden. Der Fanatismus ging so weit, daß die Pfaffen diesen Krieg den heiligen Krieg nannten und volle Vergebung der Sünden denen versprachen, welche einige von diesen Kehern tödteten. Sie sehen hier die treue Darstellung von dem epidemischen Gifte in jenem Zeitalter, und von dem Gegengift; besonders wenn ich Sie noch daran erinnere, daß in der nämlichen Periode die trefflichen Mystiker, Hugo und Richard de S. Victore lebten.

Wenn das Verderben der Geistlichkeit und des Volks noch steigen konnte, so stieg es im dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert. Die Klerisei, das Salz der Erde, war nicht nur taub, es war zu Arsenik geworden, das seine giftigen Dünste überall hin verbreitete. Es war kein Laster, keine Schandthat zu erdenken, die nicht bei der Klerisei, fehr Wenige ausgenommen, geherrscht hätte. Dabei war ihr Uebermuth so groß, daß Bonifacius VIII in seinen Decreten ausdrücklich behauptete,

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