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Salz ihrer Zeit. Gerade wenn das Verderben, besonders unter den Geistlichen, am größten, der Aberglaube am krassesten, wenn die Religion am meisten in ein todtes und tödtendes Ceremonienwesen ausgeartet war, traten solche Männer auf, die durch ihren tiefern Sinn für den Geist des Christenthums durch ihre Kenntnisse des innern Menschen - eine viel tiefere, als die flache, ge= wöhnliche Psychologie durch Erfahrung und inneres Anschauen, besonders aber durch ihren frommen Wandel, ihr stilles Dulden und Wirken, je nachdem es Gott wollte, am kräftigsten diesem Geist ohne Polemik entgegen arbeiteten. Um die Zeiten von Bonaventura und Bernhard von Clairvaur erreichte die Mystik ihren Culminationspunct, und man weiß, wie tief damals die Religion gesunken war. Im sechszehnten Jahrhundert standen zwar keine ausgezeichnete Mystiker auf, obgleich in den Schriften Nikolaus von Unterwalden, Nikolaus Esch, Henrichs von Nürnberg, Verfasser der vielgelesenen evangelischen Perle, viel Gutes, Erbauliches zu finden ist. Allein die Schriften von Dionys, Tauler und Anderen wurden durch Luther und andere berühmte Männer überall gerühmt, und neue Auflagen davon veran= staltet; und es war auch dringend nothwendig, da die Scholastik durch ihre Spitfindigkeiten und

Bestimmungen des Unbestimmbaren das ganze Christenthum mit ihrem Spinnen- und Raupengewebe zu überziehen drohte. Da kamen Anleitungen zur Reinigung, Erkenntniß Gottes und Vereinigung mit Gott von Männern, die diesen Weg selbst gegangen waren, zu rechter Zeit. So bewirkte die bekannte Therese à Jesu, daß in Spanien bei den Mönchen das beständige Herzensgebet wieder eingeführt wurde. Man weiß, wie die Zeiten waren, als Dionys und Tauler auftraten. Gerade in schweren Zeiten fanden trostbegierige Seeten bei sogenannten Mystikern, z. B. bei Arndt, Stephanus Pråtorius und Anderen mehr Erquickung als bei all' den scharfsinnigen Schulgelehrten, welche in den Erbauungsbüchern dieser Männer manchen Gedanken, der auf der Bleiwage der symbolischen Bücher die Prüfung nicht aushielt, manche, im Feuer der Andacht überspannte, oder sonst einer Mißdeutung fähige Redensart, manche aus katholischen oder Schwenkfeldischen Schriften erborgte Stellen entdeckten, Ihre Polemik ist långst vergessen; aber an Thomas und Arndts Schriften erbauen sich noch Tausende. So ist durch die Natur dafür gesorgt, daß die antiscorbutischen Pflanzen, Löffelkraut 2c. da am häufigsten wachsen, wo der menschliche Körper am meisten zu Scorbut sich neigt, und daß die

erfrischendsten, faftigsten Früchte sich da häufig finden, wo die große Hiße Erfrischung nöthig macht.

Schon deßwegen sollte also Niemand so schnell und arg über Mystik absprechen, weil Mystiker so viel unleugbar Gutes, und in Zeiten gewirkt haben, wo es gerade nöthig war, weil auch so viele anerkannt große Månner, ohne bestimmte Partei für Mystik zu nehmen, ihnen Gerechtigkeit widerfahren ließen. Man kann Fanatiker auch gegen Fanatismus seyn. Es gibt eine ich möchte sa= gen trockene Schwärmerei, die årger als die flüssige, flüchtige ist, eben darum, weil sie fester ist. Fire Ideen sind schlimmer als Phantasien.

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Siebenter Brief.

2 n denselben.

In den Schriften all' der Männer, die ich schon in meinem vorigen Briefe nannte, finden sich freilich Hauptideen der Mystiker, allein in den ersten Zeiten des Christenthums ward es von ihnen nicht eigentlich darauf angelegt, dem einreißenden Verderben entgegen zu arbeiten.

Es scheint, die Verfolgungen, die das Christenthum erlitt, das Vorbild der Mårtyrer, das man sah, arbeitete dem einreißenden Verderben entgegen. Auch Druck von außen ist Reinigungsmittel, wie bei einzelnen Menschen, so bei Kirchen. Die innern Kräfte werden geübt; der Mensch versucht und erfährt, was er an seinem Glauben hat. Die falsche Politik Trajans und Domitians Mordsucht, war auch das Feuer, wodurch das Gold von Schlacken gereinigt ward. Aber schon im fünften

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Jahrhunderte nahm das Verderben in der christli chen Kirche, besonders unter der Geistlichkeit zu. Sidonius faffet ihre Untugenden zusammen, in den Worten: Sie sind im Amt faul, im Widersprechen geschwind, in Meutereien geschäftig, in der Liebe kalt, im Aufwiegeln mächtig, in Haß und Groll halsstarrig; sie vermessen sich, die Ge= meinden zu regieren, da sie selber nach ihrem Alter regiert werden sollten." Einer der verdientesten Lehrer jener Zeit, der sich dem groben, sittenverderblichen Prådestinatismus widersette, warnt seine Untergebenen, sie möchten nicht mit Kirchendienern umgehen, weil sie durch ihren Umgang nur die reine Betrachtung heiliger Dinge hinderten.,,Wenn das Salz taub ist, (nicht mehr salzt), womit soll man salzen?" Ja wohl war das Salz taub, und mehr als taub; es war Kalkerde, die Alles verdarb, statt Alles zu erhalten. Selbst ein Bischof (Cyrillus aus Alexandrien) ließ nicht nur eine Menge Juden auf die grausamste Art um= bringen, sondern auch den Landeshauptmann öffent lich auf der Straße anfallen, mißhandeln, und den Rådelsführer dieses öffentlichen Aufruhrs, der gefangen genommen, und nach der damaligen, freilich grausamen Art getödtet wurde, als einen Mårtyrer in einer Kirche öffentlich begraben. Der Zeitgeist war so verdorben, daß man diesen ver

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