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Quelle einer unchriftlichen Moral finden kann. Ja, wåre es blos eine,,müßige Beschauung des Leidenden und Gekreuzigten," was der Verfasser vorausseßt, so möchte er nicht unrecht haben; aber er redet zu einem Menschen, den „die Sünde, die er etwa begangen hat, verdammen und verzagt machen will." Und für diesen ist das Hinweisen auf den erlösenden Tod Jesus eben so psychologisch als christlich.

Bei Gelegenheit der Nachricht von Verbreitung der kleinen Erbauungsschriften und der Anzeige an Christenthumsfreunde, mit Einladung zu Beitrågen für dieses Gotteswerk, sagt der Verfasser der schon angeführten kleinen Schrift:,,Was könnte nicht aus dem gewaltigen Vereine edler Månner werden, wenn sie ihre Mittel zu geläuterten Zwecken verwenden würden, um häusliche und fittliche Mißbräuche gemeinschaftlich zu bekämpfen, Unordnungen im Sittlichen wie im Politischen, zuerst mit eigenem kräftigem Beispiel, dann in den verbreiteten Lehren weislich zu wirken, 3. B. auf herrschendes Fluchen und Schwören, Spielen, Trinken, Betrügen 2c., besonders auf das bald alle Schaam verlierende Laster der Unzucht!" Recht gut, das könnte und müßte allerdings geschehen. Aber sind denn dies die einzigen, geläuterten Zwecke? Sind es die höchsten?

Wird denn Moral ausgeübt blos dadurch, daß man Moral predigt? Muß nicht ein tieferes, lebendiges und belebendes Princip in den Menschen gepflanzt werden, wenn die Gewalt der Sinnlichkeit gezügelt werden soll? Hat denn Jesus, haben seine Gesandten blos Moral gepredigt? Die Schüler Jesus wurden ausgesendet, um das Reich Gottes zu predigen; *) aber war das Reich Gottes eine Moral oder ein Evangelium? Kann eine bloße Moral ein Evangelium (eine frohe Botschaft) heißen und seyn? Haben die Apostel auch allein oder hauptsächlich Moral gepredigt, hauptsächlich vor Fluchen, Schwören 2c. gewarnt? Nein, fie verkündigten den erlösenden Tod und das erlösende Leben Jesus, sie suchten für ihn zu gewinnen, Zutrauen und Liebe zu ihm zu erregen; und das suchen die meisten der Tractate auch, so ungeschickt sie es auch oft an= fangen mögen. Man sollte also, wie die Tracta= ten - Gesellschaft in St. Gallen im Jahre 1816 erklärt hat, aus den eingesandten Tractaten sorgfåltig wählen, und Nichts zur Austheilung zulafsen, was nicht für jeden Christen genießbar und erbauend seyn könnte; aber sich auch nicht blos

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*) Luk. 9, 2.

auf Moral beschränken und Glaube und Liebe zu Jesus als den belebenden Keim alles eigentlichen Christenlebens so zu nåhren suchen, wie ihn die Evangelien nähren.

Es ist wahr, viele Bilder in den Tractaten sind so craß und materiell, daß sie jeden gebildeten Menschen anekeln. Wer mag lesen von den Honigtropfen aus dem Felsen Christi; von dem tiefen Hineinsehen in die Wunden Jesus; dem Lanzenstich in Jesus Seite, der das Herz Gottes öffnet; von dem Auflegen des Bluts Christi auf die von der Sünde verwundete Secle; von dem Herzen, das zur Krippe wird, einmal ein Kind werde" u. dgl.

damit Gott noch

Aber für Gebil dete wurden die Tractate auch nicht geschrieben. Man versteht doch, was die Verfasser meinten; und vielleicht wirkten sie gerade auf Ungebildete desto mehr, je derber sie waren. Der rohe Landmann bedarf grober Speise.,,Auf Bilder Jagd machen und die Sache nicht berühren," sagt Jakobi, heißt, die Männer meiden und mit den Weibern kämpfen." Eben so wahr ist's, daß sich gar manche Behauptungen in den Tractaten finden, die übertrieben, einseitig, unbestimmt und manchem Mißbrauch ausgesezt sind. Allein durch die meisten dåmmert doch ein Geist von innerem, oft von tiefem Christenthume, von Demuth, Hin

gebung an Gott, von Verzichtthun auf alle eigene Gerechtigkeit, die freilich auch bei den besten Menschen, genau geprüft, nicht viel werth ist, von Festhalten an Jesus, kurz von echter Mystik durch, worüber man nicht so derb absprechen sollte. Man muß freilich das Bad nicht so groß machen, daß das Kind darin erfaufen könnte; man muß aber auch das Kind nicht mit dem Bade ausgießen. ,,Prüfet Alles und das Wahre behaltet." Am richtigsten würde man über den Werth der kleinen Schriften urtheilen können, wenn man fleißig auf das Leben derjenigen merkte, die sie recht fleißig lesen. Die Früchte zeugen vom Baum.“ Nicht?

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