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Wirklich hätte ich fast Lust gehabt, so Etwas zu wünschen; nicht gerade wegen meiner Abtheilung, ob ich gleich diesen Mysticismus weder einen philosophischen, noch ästhetischen, noch mythischen nennen könnte, der allenfalls nur ein spielender heißen kann, sondern weil mir manche kleine Schriften, in diesem Geiste geschrieben, wirklich so widerten, daß ich sie lieber gar nicht geschrieben gewußt hätte. Doch ich muß wohl etwas weiter ausholen.

Sie haben vielleicht von einer Gesellschaft in England gehört, die sich die Tractaten - Gesellschaft oder bestimmter die Gesellschaft für Verbreitung kleiner Erbauungsschriften oder Tractåtlein nennt. Sie ist von der großen Bibelgesellschaft ganz verschieden, die sich bekanntlich allein mit Verbreitung von Bibeln ohne alle Anmerkungen beschäf= tigt, obgleich beide oft mit einander vermischt werden. Die Absicht der Stifter war gut, die Ausführung war es aber weniger, weil eine Menge unberufener Menschen aus allen Stånden sich mit Schreiben abgaben. In Deutschland, besonders in der Schweiz, entstanden ähnliche Gesellschaften zu ähnlichem Zweck, und die von ihnen herausgegebenen Schriften vermehrten sich so sehr, daß die würdigen Vorsteher dieser Anstalt betheuerten, ihre Anzahl sey seit zehn Jahren auf die fast unglaubliche

Summe von zwanzig Millionen gestiegen. Nun ist zwar nicht zu leugnen, daß in vielen dieser kleinen Schriften eine kleinliche, unerträgliche Spielerei mit dem Blute Jesus, eine übertriebene Darstellung seiner Leiden, eine Anhäufung der widersinnigsten, unpassendsten Bilder, eine so unbestimmte, halb wahre, leicht zu mißbrauchende orthodore oder hyperorthodore Dogmatik und eine so crasse Mönchsmoral herrscht, was den mit reinem Bibelgeist genährten Christenthumsverehrer nur årgern muß, weil es ihn schmerzt, so viel Unkraut unter dem Waizen zu sehen, besonders weil er fürchten muß, daß das hoch aufgeschossene, üppig blühende Unkraut den Unerfahrnen mehr als der Waizen anziehen, daß er diesen stehen lassen und sich an das Unkraut halten werde. Doch davon braucht man Nichts zu sagen, weil die Verfasser jener kleinen Tractaten sowohl von unberufenen, intoleranten, groben, als von christlichen, edlen Männern, sanft und hart, aber doch meist mit Unklugheit zurecht gewiesen worden sind. Ich sage mit Unklugheit! Denn gutgesinnte Månner, was doch die meisten Verfasser der kleinen Tractate wohl sind, bemühen sich leichter ihre Verirrungen zu verbessern, wenn sie mit sanftmüthigem Geiste zurechtgewiesen werden, und werden selbst besser.. Gerade sie find aber geneigt, sich für Märtyrer ihres Christensinns

zu halten, wenn man sie mit absprechender, verächtlicher Strenge behandelt, weil sie sich wenig ́stens ihrer guten Absichten bewußt sind, und sie verderben dann durch eine Art von geistlichem Stolz. Allein auf der andern Seite hat man doch auch manchmal der Sache zu viel gethan und Behauptungen als Schwärmerei, wohl gar als nachtheilig für Sittlichkeit verworfen, die doch eigentliche Christenthumslehren sind. So wird z. B. in einem von den kleinen Tractaten,,Blick auf Jesus Christus, den Gekreuzigten" gesagt: „Wenn dich die Sünde, die du etwa begangen hast, verdammen und verzagt machen will, so wird ein Blick auf sein Kreuz sie entwaffnen, dir Trost und Freudigkeit einflößen, in dir die gläubige Zuversicht wecken: Er starb für mich; er ist das Lamm Gottes, das meine Sünde wegnimmt. Er trug meine Sünden auf dem Holze des Kreuzes, an seinem Leibe. Gott warf alle unsere Sünden auf ihn“ u. s. w. Noch eine Menge Redensarten, zum Theil mit den eigenen Worten der Bibel. Es wird hinzugeseßt:,,Und wenn meine Sünden Millionenmal größer wåren, so wären sie durch deinen Tod gebüßet, und du mein Bürge und Lösegeld dafür, das überflüssig bezahlt hat Alles, was ich immer verschuldet haben mag." Dagegen sagt der Verfasser der kleinen Schrift:

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,,Geschichtliches über Bibel und Tractaten - Gesellschaft und ihren Mysticismus, (auch der Bibelgesellschaften?),,welche hinkende, unchristliche, ge= fährliche und schädliche Moral in diesen Grundfåhen! Der Tod alles thätigen, christlichen Le= bens! Diese schwärmerische Zuversicht auf die Verdienste des Gekreuzigten wird also alle Buße, alle Besserung, alles Bestreben nach guten Werken, alle Uebung der Gottes und Menschenliebe ent= behrlich machen. In einer ganz müßigen Beschauung des Leidenden und Gekreuzigten findet also der Mensch Beruhigung für sein ganzes vorhergehendes Leben!" u. s. w. Welche Schwärmerei gegen angebliche Schwärmerei! Welche Kapuzinade ohne Gehalt und Wahrheit! Einmal werden Sie aus der Erinnerung an Bibelstellen schon bemerken, daß die Bibel sich eben so allgemein, so bestimmt über die beruhigenden Folgen des versöhnenden Todes Jesus ausdrückt. „Das Blut Jesu Christi macht uns rein von allen unseren Sünden." ,,Gott hat den, der von keiner Sünde wußte, für uns zur Sünde gemacht, auf daß wir in ihm würden die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt." ,,So schließen wir nun, daß der Mensch gerecht werde ohne des Gesezes Werk," (nåmlich auch des Sittengesehes; sehen Sie Römer 13, 10. 8.),,,allein durch den Glauben.",,Wenn eure Sun

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den blutroth sind, so sollen sie schneeweiß werden." Er wird alle unsere Sünden in die Tiefe des Meeres werfen:“ · Mit Einem Opfer hat Jefus in Ewigkeit vollendet Alle, die geheiligt werden." ,,Wo die Sünde mächtig worden ist“ (und ich meine, sie war mächtig genug; sie erz streckte sich über alle Menschen),,,da ist die Gnade viel mächtiger worden." Und wodurch? Durch die Gerechtigkeit zum ewigen Leben, durch Jesum Christum, unsern Herrn. Kann man allgemeiner und bestimmter über Sündenvergebung reden? Und mußte nicht so geredet werden, wenn der Zweck der christlichen Besserungsmethode, dem Muthlosen Muth zu machen, erreicht werden sollte! Und ist nicht Muth, gerade um christlich thätiges Leben zu befördern, durchaus nothwendig? Glaube so nothwendig wie Buße oder Reue? Ist je Etwas gethan, sind je zu irgend einem Zweck Kräfte angestrengt worden ohne Muth? Und soll dem Menschen durch das ewige Vorpredigen von guten Werken, von Uebung der Gottes- und Menschenliebe Muth gegeben werden sie auszuüben? Sie werden schwer begreifen, wie man etwas so Unpsychologisches wollen, sich davon Etwas verspre= chen, und noch weniger, wie man in dem Vertrauen auf Gottes Barmherzigkeit, wozu uns doch so viele Bibelstellen aufmuntern, die vergiftete

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