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daß eine Erzählung Mythe sey, wenn der eigentliche Sinn etwas Ungereimtes, der mythische aber etwas ganz Passendes enthalte. Aber man muß sich sorgfältig hüten, Etwas zum Voraus für uns gereimt zu erklären und dann zu schließen, es müsse eine Mythe seyn, weil es als Erzählung etwas Ungereimtes enthalte. Seht man z. B. voraus, es ist ungereimt, das Daseyn von En= geln und ihre sichtbare Erscheinung zu glauben, und man findet in der Bibel solche Engelerscheinungen, so muß man schon deswegen annehmen, daß es lauter Mythen seyen, nach folgender Schlußart:

Engelerscheinungen sind ungereimt;

Hier wird aber eine Engelerscheinung er

Also ist es eine Mythe.

zählt,

Nicht so! Der Schluß müßte heißen:
Also ist die Erzählung ungereimt.

Wenigstens: Der Erzähler hat etwas Ungereimtcs

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geglaubt.

Wenn indeß die Engelerscheinung mitten unter gewöhnlichen Begebenheiten, auf das einfachste, in dem nåmlichen Ton wie die gewöhnlichen Begebenheiten erzählt wird; wenn in dem nåmlichen Buche, von den nåmlichen Verfassern mehrere

eben so ungewöhnliche oder noch ungewöhnlichere Begebenheiten erzählt werden; wenn die erzählten Engelerscheinungen in der wirklichen Geschichte Folgen haben, die nicht Statt finden könnten, wenn kein Engel erschienen wåre; so ist es das Allerunwahrscheinlichste, anzunehmen, daß die einz fache Erzählung mitten unter andern eben so einfachen eine Mythe sey. Wahrscheinlicher wäre es noch, wenn man sagte, die ganze Erz zählung ist von dem Verfasser erdichtet, er hat sie geträumt; er hålt sie zwar für Wahrheit, aber sie ist doch nicht wahr. Man läßt auch Manches davon merken und würde es ganz laut sagen, wenn die Erzählungen nicht in einem Buche stånden, daß von so. Vielen noch für eine Got tesoffenbarung gehalten wird. ,,Man muß den Leuten ihre Krücken lassen," sagte mir einmal ein berühmter Theolog,,,bis sie die Kraft haben auf ihren eigenen Füßen zu gehen.“

Aber ist es denn etwas so unleugbar Ungereimtes, daß es Engel gebe oder Wesen, die in der Geisterwelt höher stehen als die Menschen, und doch weniger sind als Gott und abhängig von Gott? daß sie Gottes Befehle an die Menschen ausrichten? daß Gott mittelbar durch sie auf Menschen wirkt, da wir von einer unmittel baren Wirkung der Gottheit Nichts wissen? Ken

nen wir denn das Geisterreich genau genug, um bestimmen zu können, was nicht darin seyn kann? Von dem Reiche, von dem wir nur Ein Geschlecht, den Menschen kennen? Was würde man von den Anmaßungen eines soi-disant Naturforschers sagen, der aus dem Thierreich blos Polypen`oder Schaalthiere kennte und gegen andere Naturforscher, die von Pferden, Kameelen und Elephanten sprächen, behauptete, es sey ungereimt, sölche Thiere anzunehmen, von denen er keins gese= hen håtte? Noch mehr! Die Astronomen vermutheten långst, ehe man die vier neuen entdeckt hatte, es müßten zwischen den beiden Planeten Mars und Jupiter noch einer oder mehrere seyn, weil sich ein leerer Raum dazwischen finde, der in dem übrigen Planeten - Cyklus ausgefüllt fey; und fie betrogen sich nicht. Uranus, Ceres, Juno und Vesta wurden entdeckt. Wir finden eine lückenlose Stufenfolge in der Natur, keine Lücke, keinen Sprung. Der Mensch steht oben an als Mittelglied zwischen der Körper und Geisterwelt. Ist es nicht schon darum wahrscheinlich, daß es noch höhere geistige Wesen gebe, als der Mensch, da die Lücke zwischen ihm und dem höchsten Geiste so ungeheuer groß ist?

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Offenbar ist es also ein bloßer Nothbegriff der Exegeten und Theologen, die ihr System nicht

aus der Bibel schöpfen, sondern es schon im Kopf haben, wenn sie Mythen annehmen, wo kein anderer Mensch Mythen sieht, blos um ihr System zu retten und es doch nicht ganz mit den Bibelverehrern zu verderben, oder um sich doch noch als Professoren der Theologie, oder gar als christliche Prediger bezahlen zu lassen. Nicht?

Fünf und dreißigster Brief.

2 n denselben.

Ich vergaß in meinem Briefe, Ihnen noch von

einer andern Art des falschen Mysticismus zu reden, der noch vor einigen Jahren in England und in manchen Gegenden der Schweiz viel Aufsehen machte, seine Anhänger und Widersacher hatte, wie natürlich, die denn übertrieben dafür und dagegen schrieben. Eigentlich vergaß ich es nicht, sondern ich wußte nur nicht, wohin ich ihn ordnen sollte, weil doch manches echt Mystische in den Schriften der Partei war, und weil er in keine meiner Clasfen paßte.,,So ging es Ihnen ja, wie jenem Naturforscher," werden Sie sagen, „der, ein strenger Linnéaner, nicht wußte, wohin er den schnellen Gun sehen sollte, da er eben so viel von einem Pferde als von einem Ochsen und Hirsch hat, und lieber wünschte, daß das Thier gar nicht eristirte.“

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