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Sechster Brief.

An denselben.

Es soll kein Beweis für die Wahrheit der echten

Mystik seyn, aber es ist doch auffallend, daß sie sich durch alle Zeitalter der christlichen Rechnung, in jedem Zustande der Kirche und des Christenthums, unter allen Kirchen und Secten, gegen alle Verfolgungen der herrschenden Kirche und alle Spitfindigkeiten der Scholastiker erhalten hat.

Im ersten Jahrhundert lebte Frenâus, Justin der Märtyrer, Barnabas. Ihren Schriften liegt echte Mystik zum Grunde; im zweiten, Diony=" fius Areopagita. Er hat das Zeugniß der berühmtesten, frömmsten Theologen aus allen Kirchen und vieler Jahrhunderte für sich. Im drit ten, Clemens von Alexandrien, Zeno Vereus und Methodius; im vierten, Didymus von Alexandrien, Ephrem der Syrer, Macarius der Weltere;

im fünften, Chrysostomus und Augustinus; im sechsten, Anastasius, Gregor der Große; im fiebenten, Marimus und Antiochus; im a ch = ten, neunten, zehnten und eilften, Paschafius Radbert, Anselmus Bruno; im zwölften, Bernhard, Abt zu Clair - Vaur, von dem Henke sagt: „Ein für Wahrheit und Frömmigkeit so eifriger, und dabei so allgemein verehrter, beinahe gefürchteter Mann war bei dem überhandnehmen den Modestudium der Theologie sehr nöthig, um zu verhüten, daß die Religionslehren nicht gänzlich zur müssigen Schulunterhaltung, zur Uebung einer spielenden Grübelei und gelehrten Streitlust verwandelt würde;" Hugo und Bernhard de Sancto Victore, Albert der Große oder Groot, von dem wir die herrliche Schrift haben, wie man Gott anhängen solle; im dreizehnten und vierzehnten, Gertrudis und Mechtildis, Katharina von Siena, Johann Tauler, von dem Luther sagt, er sey ein Lehrer, wie man seit den Zeiten der Apostel keinen gehabt habe; im fun zehnten, Johannes Gerson, Thomas à Kempis, mehr als 1800 Mal herausgegeben, in alle Sprachen überseßt, zu allen Zeiten und von allen christlichen Confessio= nen und Secten verehrt, und der Verfasser der deutschen Theologie. Der gewiß keiner Vorliebe für Mystik und Gefühl-Christenthum verdächtige

Henke sagt von ihm: „Ein, für seine Zeit und für das nächste Jahrhundert ganz vorzüglicher Sittenlehrer, der sich nicht nur durch sein Jahrhunderte hindurch geschäßtes Erbauungsbuch, sondern auch durch die Erweckung und Bildung vieler guten Köpfe verdient machte." Im sechszehnten, Johannes von Staupiz, Therese de Jesu, Johannes à Cruce. Im siebenzehnten, Arndt, Richard Barter, Franz von Sales, Skriver, Spener.

In allen diesen Zeiten waren es die frömmsten, in das Innerste des Christenthums am tiefsten eindringenden, auf frommen Wandel mehr als auf alles Wissen bestehenden Männer, die man unter den Mystikern fand. „Keiner von allen diesen (Vorhingenannten) konnte auf die Ehre eines Religionslehrers folche Ansprüche machen, als Thomas Brodwardin, zuleht Erzbischof zu Canterbury, Johann Tauler, ein beliebter Prediger zu Straßburg, und Johann von Ruysbroek, ein Augustiner in Brabant. Man zählt diese Männer zu den Mystikern, aber wenn irgend in der katholischen Kirche (sie lebten alle im 14. Jahrhundert, also gab es keine andere christliche Kirche) noch Religion zu finden war, so war es in den Kirchen oder Schulen, oder auch Schriften solcher Mystiker," sagt Henke; und an einem andern Orte: Der gelehrte Johann Bonn war noch

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ganz ohne Tadel in verschiedenen Schriften, ein Lobredner und Beförderer jener stillen praktischen Privatreligion, welcher man von jeher diesen Namen (Mystik) beigelegt hat." —,,Eine Lieblingsdarstellung von Clemens (von Alexandrien) war die, von dem über alle Menschen ausgegossenen göttlichen Logos die wahre Quelle der in allen Zeitaltern von guten Seelen so innig geliebten Religion des Gefühls und der Vereinigung mit Gott oder der mystischen Theologie." Mosheim beschreibt Mystik als eine Mahnung an die himmlische, und der Vernunft fähige Seele, daß sie sich über alle, den Sinnen ausgesehte Dinge erhebe, daß sie durch Betrachtung aus dem Körper herausgehe, daß sie, eingedenk ihres göttlichen Ursprungs, zu ihrem Vater aufsteige, daß sie die Fähigkeiten und Kräfte des Körpers und der Sinne schwäche. Einer solchen über irdische eitle Dinge erhabenen Seele wird dann himmlisches Licht und eine unbeschreibliche Wollust verheißen. Wenn er indeß in der Folge zu zeigen sucht, daß die Mystiker ihre Lehren aus Philo oder Plato geschöpft haben, so irrt er offenbar. Was wußten die ungelehrten Fischer und Zöllner von diesen Philoso= phen und Gelehrten? Und doch ist das Wesentliche dieser Lehren auch in ihren Neden und Schriften enthalten. Was wußten die ungelehrten Mån

ner, Tauler, der Verfasser der deutschen Theolo gie, Månner, wie Thomas von Kempen, die Guyon, Bouvignon und andere Weiber da von? Nein, sie gründeten sie auf ihre innere Anschauungen und Erfahrungen, die bei Allen, im Ganzen genommen, die nämlichen seyn mußten, weil sie Alle den nåmlichen Gang gingen oder ge= führt wurden. Es war eine sehr richtige Lehre von Origines, daß die Seele Jesus die Natur aller Seelen gehabt habe. Sie könne ja keine Seele (und Jesus kein Mensch) genannt werden, wenn sie nicht wirklich eine Seele daraus schlossen, daß der Mensch, der in Verleugnung, Willenlosigkeit, Erhebung über die Sinnlichkeit und reiner Liebe zu Gott, den Weg gehe, den Jesus ging, daß er auch das werden könne, was Jesus (als Mensch) war. Und Mosheim gesteht, daß das Streben nach Vollkommenheit bei diesem Glauben sehr verstärkt und aufgeregt werde. Was wollen die Mystiker?" sagt Reinhard in seiner Moral, ,,reine Liebe zu Gott, bei der es auf keinen Genuß angesehen ist, die sich Gott ergibt, lediglich um sein selbst, um seiner höchsten Vollkommenheit willen." Freilich wenn dieser Sinn Fanatismus heißt, so wäre zu wünschen, daß die Christenheit voll solcher Fanatiker wäre.

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Die Mystiker waren auch wirklich Licht und

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