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gehörig deuten könnten; zum Theil sind ihre Traditionen selbst allmählig verfälscht, und das Natursymbol einer Kraft der Gottheit zu der ganzen Gottheit erhöhet worden. Auf alle Fälle liegt aber die Idee von einer den Menschen ge näherten Gottheit zu Grunde, und man kann sicher darauf rechnen, daß in allgemeinen, nur auf mancherlei Art modificirten Verirrungen Wahrheit verhüllt sey. Da indeß der Mensch dem Menschen immer am nächsten steht; da nach der Analogie in den göttlichen Einrichtungen die tiefsten und geistigsten Bedürfnisse dem Menschen durch Men schen befriedigt werden; da der Mensch nach seiner Organisation einen Menschen am leichtesten lieben, durch das Gefühl der Liebe am innigsten mit ihm zusammenfließen und durch eben dies Gefühl am natürlichsten gehoben, veredelt werden kann; so wåre ein fehlerloser, göttlicher, mit hoher Gotteskraft ausgerüsteter, dabei liebenswürdiger und liebender Mensch ohne Zweifel das passendste Medium, der angemessenste Mittler zwischen Gott und dem Menschen, für den Menschen, zu Gotteserkenntniß, Gottesverehrung und Religiosität, wenn wir auch von einem Jesus Nichts wüßten. „Ich bedarf einen Gott, der mir so nahe ist wie ein Freund, oder einen Freund, der so mächtig wäre wie Gott," schrieb mir einmal Jemand, der von

einem Jesus nichts wissen wollte, weil er ihn verkannte.

Wenn sich aber nun ein Wesen findet, wie wir eins an Jesus haben, wenn durch dasselbe und in ihm die Gottheit uns so nahe tritt, wie sie Menschen treten kann; wenn der Jesus Alles an sich hat, wodurch man das volleste Zutrauen zu ihm faffen, was man ehren und lieben muß; wenn er Alles that, was Liebe zu uns durch That und Aufopfe= rung zeigen kann: wie muß ihm das Herz-des religiösen Menschen entgegen fliegen; wie muß es sich sehnen, ihm nahe zu werden, der alle seine tiefsten, heiligsten Bedürfnisse befriedigen kann und will! Und wenn es nun Menschen gibt, in denen sich eine Sehnsucht nach Gottähnlichkeit, Vereinigung mit der Gottheit als ihre Bestimmung entwickelte, die sie höchst unglücklich machen würde, wenn sie auf keine Art befriedigt werden könnte; was muß ihnen dieser Jesus seyn! In ihm ist ihnen die Gottheit aufgeschlossen und ihr Inneres und die ganze Welt. In ihm danken sie der Gott: heit, verehren sie die Gottheit, lieben sie die Gott heit, was man eigentlich Liebe nennt. In ihm können sie's, denn er liebt, wie reine Menschen lieben, und will geliebt seyn, wie Menschen von Menschen geliebt werden können. Und doch der eingeborne Sohn Gottes der höchsten Gottheit, dem

Vater, so lieb, so nahe, wie es nur der einzige Sohn seinem Vater ist. Mögen sich solche Menschen auch Anfangs nach der Nähe dieses Jesus sehnen um ihrer selbst willen, um Befriedigung ihrer geistigen Bedürfnisse von ihm zu erhalten; früher oder später wird er ihnen so lieb, daß sie fich über ihm ganz vergessen, wie ja die hohe Liebe sich immer über dem Gegenstande ihrer Liebe vers gißt. Mag es mit ihnen werden, wie es will, mag er Etwas geben oder nicht, mag er sich ihnen entziehen oder sich ihnen nähern; sie lieben ihn eben und wollen Nichts als lieben.,,Wenn ihnen auch Leib und Seele verschmachtet, so ist er doch ihres Herzens Trost und ihr Theil.“

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So sind die echten Mystiker! In ihrem Innern hat sich das Bedürfniß eines Mittlers entwickelt; es ist durch die Bibel zu einer Messiasidee geworden; nicht blos Idee, sondern Wirklichkeit; fie haben den Mittler nicht blos erkannt, sie lieben ihn, ihr ganzes Herz hångt an ihm. Sie finden in dieser Liebe ihren höchsten Genuß, ihre höchste Tugend, ihre vollste Seligkeit. Wer möchte nicht ein solcher Mystiker seyn?

Vier und dreißigster Brief.

A n denselben.

Allerdings muß ich Ihnen auch Etwas von dem

neuen Mysticismus sagen, von dem Sie so verächtlich sprechen und mit Recht sprechen, der auch Ursache ist, warum die ganze Mystik als Phantasiegeburt, dunkle Darstellung, ohne Sinn, als Schwärmerei verachtet wird. Indeß brauche ich Ihnen darüber nur wenig zu sagen. Sie haben die wahre alte Mystik aus meinen früheren Briefen und aus den Quellen kennen gelernt. Der neue Mysticismus ist aber das gerade Gegentheil von dieser alten frommen Mystik. Diese beruht auf innerer Erfahrung, die sich an Tausenden im Herzen auf einerlei Art bewährt hat, jene auf Phantasien, wie sie Dichter schaffen, oft toller, als sie je ein Dichter geschaffen hat. Diese beruht auf Demuth und Glaube, jene auf Stolz und Wissen.

Diese hat einen bestimmten Zweck, jene hat und will keinen Zweck. Es ist in ihr, wie Goethe unübertrefflich kurz und treffend sagt, ein Durst nach Durst. Die neueren Mystiker wären sehr unglücklich, wenn sie Etwas erreicht hätten; denn was wollten sie nun? Die wahre Mystik hat den erhabenen Zweck: Vereinigung mit Christus und der Gottheit durch die einzigen Mittel, wodurch man sich mit einem höhern, geistigen Wesen vereinigen kann, durch Demuth, Glauben und Liebe. Die wahren Mystiker blieben blos bei ihren innern Anschauungen und Erfahrungen, und ihr Gang kam in Hauptumschwungen überein mit dem Gang der Natur und des Christenthums, ohne daß sie es wollten, oder auch nur daran dachten. Die neue= ren Mystiker wollen auch einen Abrahams -, Josephs, Israelsgang gehen; sie wollen ihn gehen, und so zwingen sie sich Etwas auf, ma= chen sich ein Schicksal, was dem Schicksal Abrahams, Josephs zc. ähnlich ist, ahmen jene Månner im Kleinen nach, wie manche Menschen glauben Jesus ähnlich zu seyn, wenn sie einen ungenähten Rock tragen. Sie sind Schwärmer, im eigentlichsten Sinne des Worts, Menschen, die auf's Ungewisse hin mit ihrer Phantasie herumschwärmen. Proben davon habe ich Ihnen ja auch aus einigen ålteren Mystikern gegeben.

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