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diesen aus der Luft gegriffenen, der Bibel geradezu widersprechenden Behauptungen ist, so kann man doch nicht verkennen, daß eine gewisse Messiasidee bei den Juden herrschend und durch ihre Propheten in ihnen herrschend worden war. Wie konnten sie den Ausspruch Moses lesen: Einen Propheten wie mich wird der Herr erwecken, dem sollt ihr folgen;" *) wir lesen von einem König, der herrschen solle von einem Meer bis zum andern, von dem Wasser bis zum Ende der Erde, den man fürchten werde, so lange Sonne und Mond währt;"**) durch den „,,der Blinden Augen aufge-, than und der Tauben Ohren geöffnet werden;" ***) ,,der gesalbt werden sollte, und gesandt, zu verkündigen das Evangelium den Armen, zu heilen die zerstoßenen Herzen, zu predigen den Gefangenen, daß sie los seyn sollen, und zu predigen das angenehme Jahr des Herrn;" ****) „durch den das goldene Zeitalter herbeigeführt werden folle;” *****). ich sage, wie konnten sie solche und so viele åhnliche Stellen lesen, ohne die Messiasidee zu fassen,

*) 5. Buch Mos. 18, 15. **) Ps. 72, 5. 8.

***) Jef. 35. 5.

****) Jes. 61, I. *****) Jef. II,

die sie hatten? Und wenn sie nun Jesus handeln sahen, ihn reden hörten, kräftiger als alle Schriftgelehrten und Pharisåer, wie natürlich, daß sie sagten:,,Das ist wahrlich der Prophet, der in die Welt kommen soll." *) Wahr ist's auch, daß Jesus die bedeutendsten dieser Stellen auf sich anwandte; **) daß er bei der Frage Johannes: ob er der Messias sey, sich auf die Wunder berief, die er that. ***) Er ließ also die Juden nicht blos in dem Wahne, daß er Wunder thue, weil dies zu ihrer Messiasidee gehörte; er gab sich nicht das Ansehen, daß er Wunder thue. Er that sie wirklich und berief sich bestimmt darauf. ****) Wie müßte man ihn nennen, wenn er nicht wirklich Wunder gethan, wie seine Gesandten, wenn sie davon so geschrieben hätten, wie sie schrieben?

Man spricht aber auch davon, daß die Messiasidee eine in der Natur des Menschen begründete Idee, daß sie durch das Streben und die Schwäche des Menschen bedingt sey. Das ist in sofern unrichtig, da sie unter diesem Namen nicht in

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der menschlichen Natur liegen kann. Es ist eine ausschließlich jüdische Idee; blos unter den Juden fand sie sich und konnte sich nur unter ihnen finden. Ihre Propheten, Priester und Könige wurden gesalbt wie Alles, was dem gemeinen Ge= brauche entzogen und zu einem Heiligen geweiht wurde. So hieß denn der größte Prophet Priester und König, der Gesalbte oder Mefsias κατ ̓ ἐξοχην.

Aber richtig ist's, daß die Idee eines Mittelwesens zwischen Gott und dem Menschen tief, obgleich mehr oder weniger entwickelt, in dem religiösen Menschen liegt. Er bedarf ein solches Wesen, wenn er seine Bestimmung erreichen will, nach der er strebt, und jedes wahre Bedürfniß, in den Menschen gelegt, ist prophetisch. Er fühlt, wenn er sich's auch nicht deutlich entwickeln kann, daß dies Bedürfniß irgend einmal und auf irgend eine Art befriedigt werden müsse. Einmal trägt er ein Ideal von sittlicher Vollkommenheit in sich, das er rings umher nirgends erreicht sieht, Er selbst möchte es erreichen, vermag es aber nicht. So göttlich, Gott ähnlich ist Niemand, ist er selbst nicht, wie man doch nach seinem, nicht in sich herein phantasirten, sondern aus ihm heraus sich selbst construirten Ideal seyn müßte. Ein Ideal und Nichts, nirgends Etwas, das er erreichte,

widerspricht seinem innern Sinne. Wenn er es nur irgendwo gesehen hätte, so würde er es doch eher für möglich halten, daß es, und auch von ihm erreicht werden könnte. Richter, Verfasser eines wohldurchdachten Auffaßes in Bertholds kritischem Journal, hat Dies gut entwickelt. Über noch auf andere Art bei einem andern Ideen und Gefühlsgang regt sich dies Bedürfniß, wirkt alfo auf diese Idee hin. Eine unmittelbare Erkenntniß der Gottheit scheint für den Menschen unmöglich, denn da das Unendliche als solches nie von einem endlichen Wesen erkannt werden kann, weil das Endliche erst selbst unendlich werden müßte, so muß sich das Unendliche endlich darstellen; es muß in Zeit und Raum erscheinen; muß uns auf irgend eine Art, und da Personification bei uns eine nothwendige Denkform ist, in einer Person fymbolisirt werden, wenn es von uns gefaßt, und noch mehr, wenn durch dasselbe religiós auf uns gewirkt werden soll. Es muß inniger mit der Gottheit, und eben so innig mit der Menschheit zusammenhängen. Sie sehen, im Vorbeigehen ge= sagt, daß die Theologen, die aus unserm Jesus blos einen Menschen machen, eben so wenig dies Bedürfniß befriedigen als die, die ihn nicht reinmenschlich_handeln, sondern nur wie einen Schauspieler die Rolle eines Menschen spielen lassen.

Alle Völker, zu allen Zeiten, haben dies Bedürfniß gefühlt und es sich auf mancherlei Art, immer aber durch die Idee von einer Symbolisirung der Gottheit zu befriedigen gesucht. Fast alle Völker der Erde erwarteten eine vom Himmel herabstei= gende Gottheit. Die Römer einen König, den die Sybillen angekündigt hatten. In dem Orakel von Delphi war eine alte und geheime Weissagung eines Sohns des Apollo niedergelegt, der das Reich der Gerechtigkeit wieder auf die Erde bringen sollte. Die Perser erwarteten Aly am Ende der Tage, die Chineser Phelo, die Japaner einen Pürum und einen Cambadori. Auch Plato im Alcibiades sagt, es müsse ein Gott auf die Erde kommen. In den mancherlei Erzählungen von Gotterscheinungen bei den Griechen, besonders in der sinnvollen von Ovid erzählten Fabel von Jupiter und Semele, ist offenbar die große Wahrheit verhüllt, daß das Wesen der Gottheit sich uns nicht anders als in dem gemilderten Licht der Menschheit offenbaren könne. Freilich haben sich andere Völker bei dieser Symbolisirung verirrt, oft unbegreiflich grob verirrt. Sie haben verächtliche, verabscheute Dinge zu Symbolen der Gottheit erhoben und verehrt; allein zum Theil sind uns die Sitten und Ansichten mancher Völker zu fern und fremd, als daß wir ihre Mythologie und Poesie

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