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in Gott. Nie ist etwas Wahreres und Tieferes gesagt worden, als das Wort Johannes: „Wer lieb hat, der ist aus Gott geboren und kennt Gott. Wer nicht lieb hat, der kennt Gott nicht (bei aller Besonnenheit und allem Verstande), denn Gott ist die Liebe, und nur Liebe versteht Liebe. Ich verstehe darum den sonst so gemüthlichen Boost nicht, wenn er Thomas einen mystischen Abålard nennt, weil seine Herzensergießungen hier und da eine so sapphisch (warum sapphisch? Grillparzers Sappho hat wenigstens mit dem geistigen, frommen Thomas, oder wer das Buch von der Nachfolge Chrifti geschrieben hat, Nichts gemein), seraphische Gluth athmen. Thomas sagt: ,, Jesus, Abglanz der ewigen Herrlichkeit, Trost der herumwandernden Seele! vor dir ist mein Mund ohne Stimme, und doch redet mein Schweigen zu dir. Wie lange zögerst du, zu kommen, mein Herr?" Und warum soll Thomas nicht so reden? Hat die warme, schmachtende, nach der innigsten Verbindung dürstende Liebe je anders geredet, wer auch der Gegenstand ihrer Liebe gewesen seyn mag? Und sollte man den Liebenswürdigsten, Rein- und Hochliebendsten nicht so warm lieben können, wie einen gewöhnlich Liebenswürdigen und Liebenden? Mit Entzücken erzählt Friedländer in seiner Reisebeschreibung von Italien:

,,Sechs blinde Männer und Frauen sizen vor der Kirche ara coeli in Rom im Kreise, und singen, mit Mandolinen, Triangeln und Flöten begleitet, um Weihnachten Wiegen und Hirtenlieder in einfach sanften Melodien, unter andern:

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Dormi, dormi, nel mio seno;
Dormi, o mio flor Nazareno
Il mio cor, culla sara...

Fa la ninna, nanna Na.

Der gemüthliche Friedländer überseht es naiv, aber doch minder glücklich als das Original: Schlafe, schlafe an meiner Brust, Blume von Nazareth, meine Luft! Wiege soll mein Herz dir seyn, Eya Popeya schlafe ein.

Kann die Liebe etwas Zárteres, Innigeres singen? Gibt's aber auch etwas Frömmeres? Und ist's nicht wahre Mystik?,,Das religiöse Gefühl vieler Devoten," sagt Boost,,,kann seine Verwandtschaft mit eigentlicher Liebe nicht verleugnen.“ - Und braucht es, sie zu verleugnen? Kann Liebe etwas Anderes seyn als Liebe? Und foll fie etwas Anderes seyn? Der Sinn und Gegenstand kann die Empfindung erniedrigen und erhöhen, verunreinigen und reinigen, verunedeln und veredeln. Sie erinnern sich ja wohl noch des Worts von dem Kirchenvater Auguftinus:,,Der Mensch ist, was seine Liebe ist. Liebst du Erde,

was foll

Die Grundem

Freilich, wenn

so bist du Erde; liebst du aber Gott ich sagen? - so bist du Gott." pfindung bleibt aber die nämliche. man lieben und lüsten nicht unterscheidet, wohl gar nicht unterscheiden kann; wenn man wohl gar das bloße Lüften Liebe nennt, so kann man von dieser sogenannten Liebe zu Menschen Nichts übertragen auf die Liebe zu Jesus, zu Gott; aber wer heißt auch den Unreinen seine sogenannte Liebe zum Muster aller menschlichen Liebe nehmen? Wer heißt es unsere Moralisten, Theologen? Es ist ein Beweis, daß man die eigentliche Liebe, wie sie Paulus und Johannes beschreiben, wie sie sogar unsere bessere Romandichter darstellen, gar nicht kennt, wenn man glaubt, daß die Gesinnungen gegen Gott und Jesus entweiht würden, sobald man sie Liebe nennt.

Unsere echten Mystiker glauben das nicht. Sie finden das höchste Gut in der Vereinigung einer Seele mit Jesus durch Liebe. Sie reden sogar von einem geistlichen Kuß, von einer geistlichen Vermählung. Wo wollten sie auch Ausdrücke, Bilder von dieser innigen Annäherung, Verbindung mit Jesus finden, als in der Annäherung, Verbindung zweier liebenden Menschen? „Ich achte, daß Niemand leicht weiß, was der Kuß sey," sagt Bernhard,,, ohne der ihn empfäht, denn er ist

das verborgene Manna, und wer davon ist, der wird nach Mehr hungern, und wer trinkt, der wird mehr dursten. Es ist nicht einem Jeden gegeben, sondern wer ihn einmal von Christi Mund empfångt, der hat eine eigene Erfahrung davon, die ihn reizt, Mehr zu begehren." - Um die finnlichen Bilder blos als Bilder darzustellen, von der Sache selbst aber alles Sinnliche zu entfernen, seht er hinzu:,,So halten wir nun, daß der Kuß nichts Anders sey, als der heilige Geist, der einer heiligen Seele zum Trost gesendet wird; denn wie bei einem Kuß sich der Athem vermengt und wie Ein Hauch wird; also wenn der heilige Geist in unseren Geist sånftiglich eingeflößet wird, so wird er mit ihm Ein Geist." Von der geistlichen Vermählung sagt der nämliche Bernhard: ,,Die Gleichförmigkeit vermählt die Seele mit dem ewigen Worte, da sie sich demselben im Willen åhnlich bezeugt, dem sie nach der Natur gleich ist und ihn liebt, wie sie geliebt ist. Liebet sie nur vollkömmlich, so ist sie vermählt. Dies ist der Contract, oder vielmehr die Umfassung der heiligen Ehe; dies Band überwindet alle natürliche Bande, ja darüber wird der Mensch seinen Vater und seine Mutter verlassen. So lieben heißt sich also vertrauen (getraut werden); denn in der Einstimmung Zweier besteht eine vollkommne Ehe,

welches nichts anderes ist als die heilige, keusche, süße, innigste und starke Liebe, welche die Zwei nicht in Einem Fleisch, sondern in einem einigen Geiste vereinigt und sie Eins macht." Schon aus diesen Stellen sieht jeder Geradsinnige, daß die Bilder von der reinsten, innigsten Verbindung un ter Menschen nur Bilder seyn sollen, die übri gens alles Sinnliche ausschließen, blos darum ge wählt, weil es auf Erden keine anderen für sie gibt. Damit indeß kein Unreiner oder Unerfahr ner an irgend etwas Sinnliches denke, so wird ausdrücklich davor gewarnt.,,Obschon diese Gleichnisse von der Ehe gesezt werden," sagt die from= me, reine Therese à Jesu,,,so ist es doch also zu verstehen, daß hie auf die Leiber nicht mehr gesehen wird, als wenn die Seele ohne Leib und ein lauterer Geist wåre; und dies noch vielmehr in der geistlichen Vermählung, dieweil sich diese geheime Vereinigung in dem innersten Centro oder Grund der Seele zuträgt." Und Philo Carpathus warnt:,,Du, der du dieses hörst oder liefest, magst ja denken, daß es Alles geistlich sey. Dennt der Kuß des heiligen Geistes ist rein, keusch und heilig, ja ganz göttlich. Darum sollst du Nichts für fleischlich, vergånglich, schändlich oder unzüchtig halten, damit dein Herz nicht mit Schuld be: schweret werde, wenn es Etwas wollüstig gedenkt

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