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Zwei und dreißigster Brief.

2 n denselben.

Sie fragen mich, ob denn die Mystiker Nichts

über das höchste Gut bestimmen, was sie dafür halten, und ob es mit dem höchsten Gut der Griechen übereinstimme, oder worin es davon verschieden sey. Sie meinen, das Idealisiren eines höchsten Guts liege so ganz in dem Bezirk der Mystik, daß es von ihren Verehrern wohl nicht übergangen werden könne. Ob es denn nicht idealischer als das griechische sey? Viele Fragen auf einmal, auf die verschieden geantwortet wer den muß.

Sie wissen vielleicht aus Ihren früheren philologischen Uebungen, daß die Alten gar verschiedene Meinungen über das höchste Gut hatten. Sie wissen auch, daß in späteren Zeiten darüber gespottet wurde, wenn man nur von einem höchsten

Gute redete. Le souverain bien n'existe pas plus, que le souverain carré, ou le souverain cramoisi," sagt Voltaire, unter dessen Feder Alles, was sich dem Religiösen nahete, Gegenstand des Spottes ward. Aristipp erklärte Lust in Bewegung, freies Ueberlassen feinen Lüsten, Epikur bleibende, ruhige, mit Besonnenheit und Mäßigung ausgeübte Lust, jede Art von Genuß umfassende Wollust, die Stoiker Weisheit und Tugend, und in Beiden den höchsten, allein des Menschen würdigen Genuß für das höchste Gut. Die Lehteren sprechen in gar erhabenen Ausdrücken von sich und ihrer Lehre. Der Weise (das ist der Stoiker) ist ihnen ein Gott, über das Schicksal und über Alles erhaben. Er kann durch Nichts beunruhigt werden, weil Weisheit und Tugend ganz und allein von ihm abhångt, und weil diese die einzigen Güter sind, die diesen Namen verdienen. Daß Aristipp und Epikur die Menschheit erniedrigen, indem der Erstere sie zu Thieren, der Andere zu besonnenen, aber ganz egoi stischen, blos Genuß berechnenden Roués macht, sehen Sie leicht. Wie brauchte ich Ihnen das zu beweisen? Aber daß auch die Stoiker, tros ihrer übererhabenen Sprache, das höchste Gut nicht gefunden haben, ist leicht zu zeigen. Ich will Ihnen die Worte Boost's abschreiben, der eine treffliche kleine Schrift über das höchste Gut geschrieben

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hat, von der dieser Brief zum Theil ein Auszug ist.,,Indem der Stoiker Alles, was von Affecten herrührt und mit Affecten zusammenhängt, von seinem höchsten Gut ausscheidet, ja so weit geht, die Freuden der Tugend selbst nicht zugleich als Bestandtheile desselben gelten zu lassen, vergißt er, daß nicht die Menschheit in der Tugend, sondern die Tugend in der Menschheit aufgehe, in ihr wurzele. Sein Wesen ist ein Gott, aber ein Gott, über den sich die Menschheit erbarmen möge. Er fürchtet nicht, weil er nicht hofft; er haßt nicht, weil er nicht liebt; er trauert nicht, weil er sich nicht freuet; er hat Alles, weil er Nichts verlangt. Er ist Feldherr, König, reich, schön, weil ihm Alles gleichgültig ist." Sollte man glauben, daß ein Mensch so wenig Mensch seyn könne, um mit Epictet zu sagen: Was klagst du über einen verstorbenen Freund? Suche dir einen andern. Wer wird über einen alten Topf klagen, wenn er zerbricht? Man geht auf den Markt und kauft fich einen neuen." Oder gar:,,Krieg und Pest sind unbedeutend; denn wer wird sich Etwas daraus machen, wenn Tausende von Ochsen und Schafen fallen, oder tausend Schwalbennester zerstört werden? Mit Recht sagt Boost: „Wie in der Kälte des cyrenaischen und attischen Weisen alle Tugend, so muß in der stoischen alle Liebe absterben."

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nur Nur

Sie sehen wohl, bei den Griechen war das höchste Gut nicht zu finden; es war da nicht, wo sie es suchten; es war nicht einmal ein Gut, was fie gefunden zu haben glaubten, aber sie suchten es doch in der Gegend, wo es zu finden ist. Der, der mit Wahrheit sagen konnte: „Ich und der Vater sind Eins," in dem,, die Fülle der Gottheit leibhaftig wohnte," das ausgedrückte Ebenbild des göttlichen Wesens,,,und der zugleich Mensch wie wir," versucht sogar von allen Seiten, der einen ganzen Glaubens und Menschengang ausging, aber reiner Mensch blieb, der kann uns führen zu dem höchsten Gute. in ihm, der von Seite der Menschlichkeit an uns, und von Seite der Unendlichkeit an den Vater grenzt, können wir uns dem höchsten Wesen nåhern. Es war die höchste Wahrheit, wenn gesagt wird:,,Niemand hat den Vater gesehen; nur der, der bei dem Vater war, hat ihn uns verkündigt." Und es waren hauptsächlich die echten Mystiker, die uns mit ihm bekannt gemacht haben; weniger durch ihre Reden und Schriften als dadurch, daß man in ihrem ganzen Wesen sah, sie besäßen es. ,,Nur Ein Gut ist das Unendliche und Ewige, und dieses Unendliche, Ewige ist Gott. In der Anschauung des Höchsten, in der Annäherung zu Gott liegt das höchste Gut; und wie kann innere,

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geistige Annäherung anders Statt finden als durch Liebe? Sie ist ohnstreitig das Göttlichste im Menschen. Wenn sie nun auf das erhabenste Wesen geht, oder auf einen Stellvertreter Jesus, der der Menschheit näher steht; wenn die Liebe von diefem Wesen im Innersten erwidert wird; könnte es denn ein höheres Gut geben?: Plato will zwar auch weder Wollust noch Besonnenheit, sondern das Urschöne und Wahre, das Ebenmaß, kurz alle Eigenschaften, die der ewigen Natur verwandt find, in deren Anschauen sich Wollust (die reinste) und Besonnenheit durchdringen und vermischen, so jedoch, daß Besonnenheit, oder der Verstand, der König des Himmels und der Erde, in dieser Vereinigung das Uebergewicht behaupte; allein einmal hat Besonnenheit und Wollust (Ge= fühl in Plato's Sinn) jedes sein eigenes Departement, wo es herrscht, weil man so wenig durch den Verstand empfinden als durch das Herz denken kann. Das Lehtere in einem gewissen Sinn noch eher; denn, wäre das Urschöne und Wahre wirklich das höchste Gut, so kann es doch nicht als Abstractum angeschaut werden, sondern als Concretum in einer Person. Endlich ist der Sinn dafür nicht Besonnenheit oder der Verstand, sondern die Liebe. Sie allein öffnet den Sinn für das Göttliche in sich selbst, in Menschen und

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