Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

Vernunftgründe bessern will, blos der schon ge= besserte Mensch sich durch sie leiten läßt. Daß die Vernunft allein den Menschen nicht bessern könne, das behaupten nicht blos Christen oder soge= nannte Gefühlsmenschen. Selbst der tiefe Denker Hume sagt:,,Es ist augenscheinlich, daß die Vernunft oder die Fähigkeit das Wahre vom Falschen zu unterscheiden nie für sich allein den Willen bewegen, oder den geringsten Einfluß auf ihn ausüben könne, als insofern sie eine gewisse Empfindung oder Neigung erreicht, weil abgezogene Verhältnisse nur ein Gegenstand der Neugierde, nicht aber des Wollens sind, und Thatsachen oder wirkliche Gegenstände, die weder gut noch böse sind und weder Begierde noch Abscheu erregen, uns gänzlich gleichgültig lassen.“ Und wer find denn die, die jene durch außerordentliche Thaten bestätigte Lehre Jesus und der Apostel verbessern wollen? Was haben sie daran verbessert? Und was ist, wie es wohl jezt ziemlich zu Tage liegt, ihr Zweck?,,Die rasch fortschreitende Lehrfreiheit," sagt ein gelehrter Theolog (Feßler),,,konnte es dabei unmöglich bewenden lassen" (aus der Bibel Beweise für seine subjectiven Vorstellungsarten herauszukünsteln);,,die Theologie verbündete sich mit der Welt= weisheit; auch das bisherige Ansehen der Schrift mußte untergehen, sobald man anfing, seine sub

jectiven Vorstellungsarten und Ansicht in ihre Aussprüche wie in veraltete Hieroglyphen hineinzukünfteln. Die Freiheit dieser Schriftbehandlung war nicht mehr zu begrenzen, nachdem Semler seinen Grundsaß,,von der Perfectibilität der göttlichen Offenbarung in ihrem Inhalt durch Menschen" (welcher innere Widerspruch!), gelehrt und die Adoption desselben, die Geburt einer neuen Theologie begonnen hatte. Das künstlich erzeugte Kind führte in seiner Entstehung" (als ob man es zum Spott so getauft håtte),,den Namen, reinbiblische Theologie, und gab sich alle erdenkliche Mühe, seine wunderbare Gestalt in der heiligen Schrift abzudrücken und sie hernach als das unverkennbare Urbild der Bibel zur gefälligen Aufnahme darzustellen. In seinem Jünglingsalter hieß es Exegese, und es beschäftigte sich in seinem kräftigen Muthwillen damit, aus der heiligen Urkunde des Kirchenglaubens mit der Fackel einer weltweisen Kritik ein Wunder nach dem andern, jeht dieses kirchliche Dogma und dann ein anderes wegzubrennen. (Unwillkürlich erinnert man sich dabei des Affen in der Fabel, der auch mit einer Fackel alles für ihn nicht Genießbare wegbrannte und dann triumphirend sprach: Ich habe die Ge= gerd aufgeklärt.),,Gegenwärtig steht der Mann als Rationalismus in voller Kraft da, im in

nigen Bunde mit der Weltweisheit, frei und muthig kämpfend gegen. Bibel und kirchliches Dogmensystem, mit kühner Hand die evangelische Kirche zu demjenigen Ziele hinleitend, welches ihre berühmten Repräsentanten im fleißigen Gebrauch ihrer Lehrfreiheit bereits aufgesteckt haben. Sie wird nun fortfahren, die Offenbarungs- und Inspirationslehre, das Glaubensgeheimniß der Dreieinigkeit, die übernatürliche Heilsordnung, das Versöhnungswerk Jesus, die geistliche Wiedergeburt des Menschen durch die Gnade, die Auferstehung der Todten c. noch eine Weile nach den Ansichten der Weltweisheit aufzuklåren, und sich sodann ganz in die Arme derselben werfen müssen, um wenigstens in der Form einer reinen Moralschule fortzudauern. Was demnach aus der immer nachkommenden Anzahl ihrer Unmündigen werden soll, die ihr neues Licht nicht ertragen, ihre Riesenschritte nicht mithalten können; wo diejenigen Befriedigung finden werden, welche weniger einer gepredigten Pflichtenlehre für ihren ohnehin selbstthätigen Verstand als einer heilsamen Nahrung für ihre le= bendige Phantasie und ihr gefühlvolles Herz bedürfen," (und welcher Mensch, der nicht blos über Pflichten raisonniren, sondern wirklich Pflichten erfüllen will, bedarf nicht hauptsächlich Etwas, was ihm Lust und Kraft gibt, sie zu erfüllen?)

[ocr errors]

,,wohin die Glücklichen sich wenden sollen, welche anfangen, im frommen Gemüth zu ahnen, daß es außer der Weltweisheit und Pflichtenlehre wohl noch Etwas geben müsse, durch dessen Macht Specu lation und Moral in Verbindung gebracht" (oder vielmehr aus dem Innern des Gemüths entwickelt) werden können; dies Alles durchschaut nur der Geist des Universums, und er wird auch Rath schaffen." Sicher wird er das, und hat es zum Theil schon gethan. Jede Verirrung muß erst ihren höchsten Grad erreicht haben; man mußte zu der Behauptung kommen, zur Religion sey ein Gott nicht erfor= derlich; man mußte Wunder erst auf eine Art natúrlich erklären, die noch größere Wunder vorausseßt, ehe sich die Religion von den Fesseln einer hyperspe culativen Philosophie losriß und sich einfältig an die Bibel als Gottesoffenbarung hielt.

Allerdings ist auch das Christenthum in einem gewissen Sinn perfectibel. Aber die Perfectibilität geht nicht im Aeußeren vor, daß wir etwa Mehr als unsere Offenbarung, oder gar eine an= dere håtten und gutmüthig lächelnd auf die Bibeloffenbarungen wie auf Kinderfabeln hinsehen könnten. Sie geht im Innern und bei einzelnen Menschen vor. Die echten, weitgekommenen Mystiker und Christen beweisen die hohe Perfectibilitåt des Christenthums; subjective Erkenntniß des

Christenthums und die objective Erfahrung selbst sind sehr verschieden; die Erstere ist sehr perfectibel, aber die Lehtere nicht; es verhält sich mit ihr gerade wie mit der Natur; sie bleibt, was sie ist; aber ihre Erkenntniß hat keine Grenzen, wenigstens bis jeht nicht gefunden; denn wir entdecken mit jedem Jahre noch Neues in ihr; je. mehr sie der Mensch studirt, desto Mehr findet er in ihr und hat er an ihr. Der einfachste, ungebildetste Mensch kann sie nußen, sich ihrer freuen, erkennt Manches von ihrem Gang und ihrer Natur; sie gibt aber auch dem tiefsten Forscher Gegenstände zum Nachdenken; er entdeckt immer mehr Dinge, Verhältnisse, Tiefen, die er nicht geahnet hatte, und auch sie behålt für ihn Geheimnisse, die er nicht durchschauen kann. Wenn Sie in Ihren Naturbeobachtungen fortfahren, so werden Sie es sicherer finden, als ich es Ihnen darlegen kann. Herzlich freue ich mich, daß Ihnen Treviranus Biologie zugeschickt worden ist. Neben allem Klaren, Entwickelten, was sie hat, zeigt sie uns doch die Mystik der sichtbaren Natur, die eine Mystik der unsichtbaren wahrscheinlich macht. Ihnen mehr darüber sagen zu können. es sich übrigens bei der Lecture des Buchs wohl seyn.

Ich hoffe Lassen Sie lehrreichen

« ZurückWeiter »