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Höhern unter dem schwankenden Bilde des Unendlichen. Verstehen Sie, wie dieser den Mystikern selbst fremde Unterschied mit jenem praktischen Mißgriff zusammenhängt? Ich verstehe es nicht. Und dann: Ist das Unendliche ein Bild, ein schwankendes Bild? Es drückt die Sache so eigentlich und so bestimmt aus, wie sie nur irgend ausgedrückt werden kann. Der Ausdruck muß ja von dem Endlichen ausgehen, wenn er das Unendliche bezeichnen will, wie wir überhaupt von etwas Bekanntem ausgehen müssen, um einen Begriff von etwas Unbekanntem zu haben oder zu geben. Der Gegensatz davon ist seine einzig mögliche Bestimmung. Die Sache selbst, das Unendliche, ist unbegrenzt seiner Natur nach, kann also nur durch einen seiner Natur nach unbestimmten Ausdruck bezeichnet werden. Der Ausdruck wäre der Sache gar nicht angemessen, wenn er in dem Sinne unsers Philosophen bestimmt wåre. Was er schwankend nennt, ist gerade das Bezeichnende des Unendlichen. Ferner, ist denn wohl zwischen dem, was wir das Höhere nennen, und dem Unendlichen so ein großer Unterschied, daß dadurch der Mensch von der Welt abgelöst werden kann? Das Höhere, noch besser das Höchste, das Unendliche, muß den Menschen innig ergriffen, intcressirt haben, es muß ihm be

ständig vor Augen schweben, sein Gefühl beleben, es muß ihm das höchste, heiligste Princip seines Wesens seyn. Um dieses Princips, Gefühls, um dieses begeisternden Blicks willen muß und wird er thun, was er nach Gottes Willen thun, unterlassen, tragen, dulden soll. Dabei wird kein Geschäft verlieren, jedes muß gewinnen, jedes, auch das kleinste wird eine höhere Bedeutung haben. Was Paulus von den Sclaven sagt: Lasse dir dünken, daß du dem Herrn dienest und nicht den Menschen"; *) das sagt sich der echte Mystiker bei jedem, auch dem kleinsten Geschäfte; und ob bei diesem Blick nicht jedes Geschäft pünctlicher, gewissenhafter, mit edlerem, frómmerem Sinn verrichtet werden wird, das frage sich Jeder selbst, dem ein solcher Blick wird.,,Man kann in Got= tes Namen Windeln waschen, und in des Teufels Namen die Sacramente austheilen," sagt der derbe, naive Luther. Nichts hält der wahre Mystiker für wichtiger als völlige Willenlosigkeit (von Unthätigkeit himmelweit verschieden) und Demuth. Man muß keine Seite in ihren Schriften gelesen haben, um Dies zu bezweifeln. Der ist also gewiß kein echter Mystiker, der sich eigen

*) Ephef. 6, 7.

willig den Geschäften des Lebens, oder der sich dem kleinsten Geschäfte entzieht. Sie sehen nun, wie viel Wahrheit in dem absprechenden Ausspruch des Philosophen liegt.,,Das zweite Charakteristische der Mystik ist also (weil das Höchste, Unendliche ihnen vorschwebt?) Dieses, daß sie den Menschen in sich hinein, und von den Geschäften des Lebens abführt." Ich frage vor Allem: War denn Dies der Fall auch bei Gerson, Tauler, Fenelon, Arndt, Arnold, den bekanntlich thätigsten Männern ihrer Zeit? Ja, Mystik führt den Menschen in sich hinein, und das ist desto besser. Nun weiß er auch, was er kann und nicht kann, welcher Sinn ihn beleben sollte, und welcher ihn belebt. Und diese tiefe Selbstkenntniß macht es ihm zum Bedürfniß, sich zu dem zu wenden, durch den er werden kann, was er werden soll und noch nicht ist. Ja, der echt Religiöse soll sich von den Creaturen als seinem höchsten Ziele losreißen und sich allein Gott ergeben.,,Irren wir uns nicht," sagt der treffliche Mystiker Fenelon. ,,An Etwas muß unser Herz hången." (,,Ohne Du kein Ich," sagt Lavater.) Hångt es sich darum nicht fest an Gott, so hångt es sich fest an ein Geschöpf, oder es macht's wie der Schmet= terling, der von Blume zu Blume fliegt, um sich Nahrung zu holen, die ihn aber so wenig

fåttigt, daß eine große Menge nöthig ist, um ihn auszufüllen.“ Und wenn dies unser Philosoph und feines Gleichen für übertrieben und schwärmerisch halten, was sagen sie denn zu dem strafenden Worte Jeremias: *),,Mich, die lebendige Quelle, verlassen sie und graben sich hie und da ausgehauene Brunnen, die doch löcherig sind und (auf die Dauer) kein Wasser geben."

Wir wissen Alle wohl, daß vom Gößendienste die Rede ist; aber es ist ja wohl einerlei, ob die Hand sich einen Gößen schnißt, ob der Goldschmidt einen gießt, ob der Kopf sich einen herbeispeculirt, oder Herz und Phantasie sich einen idealisirt; oder wenn Fenelon nicht recht hat, wäre denn nicht die Schwärmerei auf's Höchste und Schädlichste ge= trieben, wenn Jesus sagt: **),,Wer Vater oder Mutter mehr liebt denn mich, der ist mein nicht werth; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt denn mich, der ist mein nicht werth"? Nicht, als wenn der Mensch diese ihm so nahen Wesen nicht lieben sollte. Sein Freund Johannes hat ihn schön commentirt: Wer Menschen nicht liebt, die der Gott lieben, den er nicht

er sieht, wie kann

*) Cap. 2, 13.

**) Matth. 10, 37.

fieht?" Von Menschen, die uns die Nächsten sind, foll die Liebe aufsteigen zu der höchsten Liebe und veredelt zurückkommen auf Menschen. Ich habe an einem andern Orte gesagt, Jesus sey der größte Mystiker gewesen, und man hat großes Aergerniß daran genommen. Ich wiederhole es aber auch hier, und es ist Nichts leichter, als es zu beweisen. Was war von jeher das Eigenthümliche der Mystik? Wie alle Schriften echter Mystiker zeigen, ein Leben in der beständigen Gegenwart Gottes; also ein steter Blick auf ihn, ein hohes Interesse für Alles, was göttlich ist, in Natur, Schicksalen, Offenbarungen und Anstalten; willenloses Handeln allein nach Gottes Willen, Gebrauch seiner Kräfte und Zurückhalten seiner Kräfte, nach diesem Willen; stilles Warten, bis er sich offenbart; nackender, auf nichts Aeußeres sich stüßender Glaube; hingebende, reine Liebe zu Gott, ohne Rücksicht auf sich selbst. Und das war die Virtuositat Jesus, des Menschenfohns. Er bearbeitete Holz für seinen Pflegevater und weckte Todte auf. Er war dreißig Jahre unthätig und ermüdete sich drei Jahre mit Wohlthun. Man sagt ihm, daß der todte Lazarus schon stinke, und er ruft ihm in die Gruft hinein, wie einem Lebenden; er konnte Legionen Engel zu seiner Rettung herbeiwinken, und er ließ das fürchterliche Gefühl über sich kommen, Gott

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