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derung in uns erzeugt wird und zur Geburt kommt, das wird keine Philosophie je erklären. Was sie davon erklären kann, ist blos das Gemeine, Oberflächliche, Alltägliche, nicht das Mystische. Der Verstand oder die Philosophie hat blos genau zu sehen, daß die Erscheinung, Veränderung, Einwirkung rein aufgefaßt werde als Thatsache, und dann vermag die Phantasie weder despotisch noch listig einzugreifen, und man ist vor Fanatis: mus gesichert. Daß man innerlich beruhigt ist nach Unruhe, sich frei fühlt nach schweren Fesseln, die man trug, daß uns Dinge anekeln, die man sonst sehr liebte, und daß man mit Vergnügen lebt bei Dingen, die uns sonst die tödtlichste Langeweile machten; das sind eben so gut Thatsachen, als daß ich Tag sehe, wo vorher Nacht, Frühling, wo vorher Winter war. Und diese Thatsachen leugnen oder für Phantasie erklären, weil man sie etwa nicht selbst erlebte, ist eben so widersinnig als die Ueberweisheit jenes Negerfürsten, der glaubte, die Europäer spotteten seiner, weil sie behaupteten, in ihrem Lande werde manchmal das Wasser so hart wie Stein.

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Ferner: Selbst in Gegenständen der Intelligenz gibt es Urwahrheiten, Urideen, die eigentlich innere Anschauungen sind, die der anmaßende Verstand demüthig so nehmen muß, wie sie sind, aus

denen er schließen, die er aber weiter nicht erklåren, gar nicht vor sein Forum ziehen darf. Sie müssen geglaubt werden. Der Unterschied zwi= schen Erdichtungen und dem, was wir glauben, liegt in einer gewissen Empfindung, welche mit diesem (dem Glauben) verknüpft, mit jenen (den Erdichtungen) nicht verknüpft ist; einem Gefühl, das nicht von unserem Willen abhangt und nach Wohlgefallen kann hervorgerufen werden." —,,Der Versuch, von diesem Gefühl eine Erklärung zu geben, würde ein sehr schweres, wo nicht unmögliches Unternehmen seyn; gerade so, als wenn wir Einem, der eine Kålte oder Zorn empfunden håtte, jenes Gefühl und diese Leidenschaft begreiflich ma= chen wollten. (Und nun gar die Liebe!) Glaube ist der wahre, eigentliche Name." So sagt der Alles bezweifelnde, demonstrirende und wegdemonstrirende Hume; und selbst Büffon hålt unsere inneren Anschauungen, worauf alle Mystik beruht, noch für gewisser, als alle äußere durch die Sinne. ,,Wir können glauben," sagt er, „daß es Etwas außer uns gibt, aber wir sind dessen nicht gewiß, statt daß wir von dem wirklichen Daseyn dessen, was in uns ist, ganz gewiß sind."

Endlich, was die Hauptsache ist: Die Hauptwahrheiten der Mystik find Gegenstände des Gefühls und nicht des Verstandes, des Denkvers

mögens. Die einzige Anschauung des Glaubens ist Glaube; die einzige Anschauung für Liebe ist Liebe und die einzige Erklärung. Man muß so Etwas empfunden haben, und man empfindet nicht durch den Verstand. Sie sind von dem Verstande nicht zu zergliedern; sie würden aufhören das zu seyn, was sie sind, wenn sie zu zergliedern wären. Dem Mystiker fehlt es also nicht an Erkenntniß, aber das, was er in sich trägt, muß durch einen ganz andern Sinn erkannt werden, als die Verstandswahrheiten, an denen der oberflächliche Philosoph grübelt. Man kennt und genießt ja wohl eine gute Musik, wenn man sie auch nicht sehen kann! Nun gibt es Menschen, Denker, Gelehrte, ,,allgewaltige Wisser," wie sie Bouterweck nennt, die aber von Seiten des Gefühls vernachlässigt sind, sich vernachlässigt oder es verstudirt haben. Diese Menschen glauben aber, auch über Gegenstände des tiefsten Gefühls, der reinen innern Anschauung urtheilen und absprechen zu können, weil sie sich über Alles abzuurtheilen anmaßen, und eben darum so bestimmt darüber absprechen, weil sie gar kein solches Gefühl kennen. Es sind Taube, die alle Musik zu verwerfen ein Recht zu haben glauben, weil sie ein gutes, malerisch geübtes Auge haben; Blinde, die den Reiz eines Sonnenaufgangs leugnen, weil sie Nichts davon sehen.

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Solche Menschen wären nur dann zu bessern, wenn sie wüßten, was sie wåren und nicht wåren. Es ist sehr natürlich, das zu verdammen, was man nicht erfuhr," sagt die nachsichtsvolle Guyon; (sehr gewöhnlich ist es leider! aber sehr anmaßend). Denn das Vernünfteln reicht nie bis dahin, auch die Wissenschaft nicht. Also wundere ich mich nicht darüber, daß so viele Leute die inneren Anschauungen verwerfen, die sie nicht ken= nen. Gott muß ihnen das Verständniß darüber öffnen durch eine Erfahrung, die sie von ihrem Vernünfteln zurückbringt, das allzubeschränkt sich niemals über Alles verbreiten kann, was Gott wirkt. Wäre ja Gott nicht Gott, wenn er nicht unzählige Mittel håtte, um sich seinen Geschöpfen mitzutheilen! Indeß glaube ich kaum, daß solche Wisser und Absprecher zu inneren Anschauungen kommen werden, obgleich vor Gott kein Ding unmöglich ist, der aus dem pharisäisch gelehrten Saulus einen demüthig einfältigen Paulus gemacht hat. Wenigstens weiß ich gewiß: wer von bloßen Kenntnissen, von einer Verstandsreligion hinaufzusteigen wähnt zu der Gefühlsreligion, zu den inneren Anschauungen, die man Mystik nennt, der geht irre. Dieser Weg, so hoch er führen mag, führt dahin nie, führt aber davon ab in dem Maße, wie er höher geht. Religions

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kenntniß und Religiosität sind sehr verschieden. Religiosität wohnt im Herzen, dem Siß der Dankbarkeit, des Zutrauens und der Liebe; der Verstand bringt es zum Bewußtseyn. Er kann aber Nichts zum Bewußtseyn bringen, wenn er Nichts vorfindet, wenn ihm Nichts gegeben wird. Es folgt indeß gar nicht, daß Nichts da sey, weil ihm, dem einzelnen Subject, Nichts gegeben ward.,,Non omnibus datum est, habere nasum," sagt Scaliger.

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Der nåmliche Philosoph, der die wahre Mystik so arg gelåstert hat durch seine absprechende Behauptung, daß sie immer mit Sinnlichkeit, selbst mit der gröbsten, zusammenhänge, hat die Stirn, schnurgerade gegen die Lebensgeschichte Gerson's, Tauler's, Arndt's, Thomas von Kempen, Fenelon's zu behaupten, die Mystiker lösten den Menschen von der Welt, gerade wie der Mönchsgeist im Felde der Moral die Form von der Moral; selbst die feineren seßten den, der losgerissen von jedem äußeren, gemeinschaftlichen Verhältniß, einzig der Betrachtung des Göttlichen sich widmete, schlechthin über den würdigen Geschäftsmann hinaus. Und was wäre die Quelle dieses (angeblichen) Mißgriffs? - Die Täuschung, die auch dem feineren Mysticismus in jeder Form zum Grunde liegen soll, der logische Schein des

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