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Fünfter Brief.

An denselben.

Ich habe Ihnen bisher blos im Allgemeinen meine Ansicht über Entstehung der wahren Mystik mitgetheilt, um Sie vorerst auf den rechten Gesichtspunct zu stellen, von dem sie betrachtet werden muß, wenn man sie nicht verkennen will, was so häufig geschieht. Darum habe ich aber diese Mystik nicht geseht; nicht etwa eine Theorie gegeben, wie sie wohl entstanden seyn könnte, sondern ich habe das, was ich sagte, aus der Geschichte von dem innern Zustande der christlichen Kirche abstra= hirt. Dies will ich Ihnen jezt aus der Geschichte nachweisen.

Sie wissen, in welchem traurigen Zustande die jüdische Kirche war um die Zeit, als Jesus auf der Erde erschien, dies,,Einzelwesen auf der Erde," wie Jean Paul sagt, „das blos mit sittlicher

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Almacht fremde Zeiten bezwang und eine eigene Ewigkeit gründete, das fanft-blühend und folgsam wie eine Sonnenblume brennend und ziehend, wie eine Sonne selber, dennoch mit seiner milden Gestalt sich und Völker und Jahrhunderte nach der Al- und Ursonne bewegte und richtete; der stille Geist, den wir Jesus Christus nennen.“ " Getheilt, hingegeben in die Gewalt unter die Leitung oder vielmehr Verleitung blinder Führer, die dem armen. nach Licht und Kraft dürftenden Volke schwere unerträgliche Bürden banden und sie den Menschen auf den Hals legten, sie selbst aber nicht mit einem Finger berührten *), oder verstoßen unter die hohlen, selbstischen Sadducåer, denen jeder Arme, Leidende ein verruchter Mensch war, den man verschmachten lassen mußte, um nicht zu handeln gegen Gottes Sinn. Sie wissen, wie tief versunken das Heidenthum war, das uns Paulus in einem gråßlichen, feurigen Gemälde darstellt *), was auch die Schriftsteller jener Zeit nur zu sehr bestätigen. Jeht trat der größte Mystiker auf, den die Erde je trug. Er war's, weil er mehr wie Einer auch als Mensch nach der innigsten Gemeinschaft mit der

*) Matth. 23, 4

**) Rdm. 1.

Gottheit strebte durch Glauben und Liebe, weil er mehr wie Einer den geheimen Sinn in der Natur und in den Menschenherzen fand, weil Ihm mehr wie Einem die Gottheit überall offenbaret ward im Fleisch. Sie wissen, welche Schüler er bildete, wie in jedem Einzelnen derselben sein Geist, sein göttlicher Sinn eingepflanzt wurde, einem Senfkorne gleich, das der kleinste ist unter allen Samen, wenn es aber erwächst, wird es ein Baum, daß die Vôgel unter dem Himmel kommen und wohnen unter feinen Zweigen. Auf sie folgten die Kirchenvåter, deren Manche die tiefste, heiligste Mystik vortrugen und Andere erweckten. Wenn auch die Schriften des Areopagiten Dionyfius erdichtet seyn sollten, wie man jezt sehr zuverlässig behauptet, was aber noch lange nicht ausgemacht ist; denn man hat ge= wiß eben so viele Beispiele, daß Bücher für erdichtet erklärt wurden, weil sie Behauptungen enthielten, die man nicht gelten lassen wollte, als man andere hat, daß Bücher erdichtet wurden, um gewisse Behauptungen zu bestätigen, die man in Curs sehen wollte; wenn er auch nicht ein Schüler des Paulus war, da doch ein Dionysius, Ap. Gesch. 17, 33 durch Paulus zum Christenthume bekehrt wurde, da ihn doch das ganze Alterthum dafür erklårt; so war doch der Verfasser, der auf alle Fälle früh gelebt haben muß, ein echter Mystiker, wie

seine Schrift,,von der Hierarchie der Kirche" deutich zeigt. Sie enthält so manchen, warmen, lebendigen Erguß über die Gemeinschaft mit Gott, die Mittel dazu zu gelangen, so manches freimůthige, treffende Urtheil über die Kirche; das Ideal einer wahren Kirche schwebt ihm so lebendig vor der Seele, und er drückt Alles mit so hohen, einzigen Worten aus, daß man wohl merkt, die gewöhnliche Sprache war ihm zu eng, sein Gemüth war so voll von himmlischen Gefühlen, daß er nicht mehr reden oder schreiben, sondern kaum noch lallen konnte, wie denn auch Paulus von ,,unaussprech lichen Worten redet, die er gehört habe *). Eben darum war er freilich allen denen ein Aergerniß und eine Thorheit, die nur das Flache kennen, das man durch und durch sehen kann, weil sie nie empfunden haben, daß das Tiefe eben darum nicht zu durchschauen ist, weil es tief ist; aber in allen Jahrhunderten wurden seine Schriften geschäßt und wirkten auf kindliche, tiefe Gemüther, was nur folche Schriften wirken können. Chrysostomus nennt ihn einen ,,Vogel des Himmels." Der berühmte Patriarch zu Antiochien, Anastasius Sinaita redet von ihm als von dem berühmten und aposto= lisch geheimen Lehrer göttlicher Dinge. Der be

*) 2. Korinth. 12, 4.

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indem er

rühmte Marimus im siebenten Jahrhundert beklagt es, daß viele aus Mangel der wahren Beschauung · Gottes der Wahrheit wenig nachforschten, also auch Dionyfium nicht achteten. So ging es durch alle Jahrhunderte durch, der treffliche Hugo de S. Victore meint, das, was Dionysius von den Seraphim geschrieben, sey so, als wenn es ein Engel geschrieben hätte. Und selbst Luther zählte diesen Dionysius unter die besten Theologen, die deutsche Theologie so hoch gerühmt. Er führt des Dionysius Worte an Timotheus an, um daraus zu beweisen, daß ein Mensch über alle Wesen und Erkenntniß kommen könne. (Sie sehen, daß Luther auch ein Mystiker, oder, welches bei Manchen für Einerlei gilt, ein Schwärmer war.) Elemens von Alexandrien sprach mit Entzücken von dem über alle Menschen ausgegossenen göttlichen Logos, der wahren Quelle der in allen Zeitaltern von guten Seelen so innig geliebten Religion des Gefühls und der Vereinigung mit Gott. So drückt sich selbst Henke in seiner Kirchengeschichte über ihn aus, den man doch wohl nicht des Mysticis mus beschuldigen wird. Mit Entzücken spricht er von diesem Logos.,,Was die Griechen von Amphion und Arion auf eine sehr lächerliche Art ge= dichtet haben, das hat Christus auf sehr würdige Art geleistet.

in der That und Seine Lehre ist

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