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Zwei und zwanzigster Brief.

2 n denselben.

Die Perfon, von der ich Ihnen in meinem leszten Briefe sprach, hieß Antoinette Bourignon. Sie wurde im Jahre 1616 in der flandrischen Stadt Ryssel geboren, war anfangs sehr ungestalt, wurde jedoch geheilt, aber von der Mutter gehaßt, von den Geschwistern gequålt, zwar von dem Vater geliebt, der aber wenig zu Hause seyn konnte. Von Jugend auf liebte und suchte sie die Einsamkeit, merkte auf Gottes Stimme in ihrem Innern und in ihren Schicksalen. Schon in ihrer frühen Jugend wurde ihr in ihrem Innern Vieles vom Christenthume klar, und sie wurde durch manche Verkehrtheit der Geistlichen empört. (,,Die mich frühe suchen, die finden mich." Ich danke dir, Vater, daß du es den Unmündigen offenbart hast.") Ihre älteste Schwester beredete

Jeden, fie sey nicht recht bei Verstande; (sie hatte also gleiches Schicksal mit unserm Herrn. Mark. 3, 21.), sie tauge also nicht zum Umgange. Um das Gegentheil zu beweisen, ließ sie sich in die Welt ziehen, bereuete es aber so tief, daß sie fich alle Nahrung entzog. Dies mißfiel ihrem Vater, der sie in dem Weltleben haben wollte. Eben darum drang er in sie, einen reichen Kaufmann zu heirathen. Dies war ihr so unerträglich, daß sie sich nicht anders zu helfen wußte, als ohne Geld das väterliche Haus zu verlassen und sich zu einem frommen Priester in Blatton zu flüchten. Dieser ließ sie in der Kirche verwahren, bis sie von dem Bischof verhört worden war. Ihre Weltern holten sie aber zurück, die jedoch dem Bischof versprechen mußten, sie nach ihrer Ueberzeugung leben zu lassen, sonst solle sie zu ihm zurückkehren, er wolle wie ein Vater für sie sorgen. Der Vater hielt seyn dem Bischof gegebenes Versprechen nicht, sondern zog sie wieder in die Welt und drang heftig in sie, an ihren Freuden Theil zu nehmen. Dies war ihr aber unerträglich; sie bat deßwegen den Vater um die Erlaubniß, wieder zu dem Bischof zu gehen. Als ihr aber der Vater dies abschlug, so beredete sie sich mit ihrem Beichtvater und andern frommen Männern, die ihr nicht ab= riethen, als sie das väterliche Haus verlassen wollte.

Sie that's und ging wieder zu dem Bischof, der ihr erlaubte, einsam zu leben, bald aber diese Erlaubniß zurücknahm. Jest wurde sie zu einer frommen Gräfin (Villerval) berufen, die fie zwar sittlich gut, aber nicht christlich fand, sich also bei ihr allein fühlte und von ihr wegging, besonders da sie hörte, daß ihre Mutter krank sey. Sie verpflegte diese bis an ihren Tod. Als ihr Vater wieder heirathete, wurde sie sehr übel be= handelt und endlich aus dem Haus gestoßen. Da ihr Vater ihr ganzes Erbtheil behalten hatte, so suchte sie die Einsamkeit, wo sie årmlich und kårglich ihren Unterhalt mit ihrer Händearbeit verdiente. Indeß fühlte sie sich so glücklich in dieser Lage, daß sie einst Gott fragte, ob es denn im Himmel noch eine größere Seligkeit gebe. Ein Beweis, daß Ruhe und Einsamkeit ihre größte Se= ligkeit war. Aber sie konnte nicht lange in diefer Ruhe bleiben. Ein Jüngling liebte sie rasend; und als sie seine Liebe nicht erwidern konnte, haßte er sie eben so heftig, wie er sie geliebt hatte, und sagte ihr die årgsten Vergehungen nach. (Leidenschaftliche Liebe auf eine Person des andern Geschlechts gerichtet, ist wie Sonnenstrahlen in einem Brennspiegel concentrirt. Sie entzünden, verbrennen, verzehren, aber sie erleuchten, erwårmen, beleben nicht um sich her.) Durch den

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Krieg gezwungen, ihren Wohnort zu verlassen, begab sie sich wieder zu der Gräfin Villerval, die sie sehr darum gebeten hatte. Hier blieb sie auch, bis sie zu ihrem kranken Vater berufen wurde, der sie segnete und starb. Jeht gerieth fie in Zweifel, ob sie ihr Erbtheil, das die Stiefmutter widerrechtlich zurückhielt, begehren solle. Sie war gar nicht dazu geneigt, weil, wie wir schon gesehen haben, Geld keinen Werth für sie hatte, und sie voraussah, daß sie in Weitläufigkeiten verwickelt werden würde. Indeß wurde es ihr in ihrem Innersten klar, daß sie es thun solle, besonders da ihre Mutter Alles auf Befriedigung ihrer Eitelkeit verwandte. Sie erhielt dies Erbtheil, aber nach vielem Verdruß und mancherlei Schwierigkeiten. Indem sie noch im Streit war, traf sie auf einen Mann von frommem Ansehen, der sie beredete, Alles auf gewisse arme Waisen zu wenden, die in einem Hospital lebten. Sie sah alle Mühseligkeiten und allen Verdruß voraus, den sie dadurch haben würde, fie, die in Stille und Einsamkeit ihre ganze Glückseligkeit fand, entzog sich dem Berufe aber nicht, weil sie glaubte, daß es Gottes Wille fey. Vorher hatte sie noch eigenwillig ge= sucht, nach ihrem Geschmack zu leben; jezt war fie aber zu der Willenlosigkeit gekommen, die, mit dem kindlichen Blick auf Gott verbunden, die.

wahre und höchste Religiosität ist. Im November 1653 ging fie in das Hospital, fand dort Alles in Schmutz und Unordnung, schuf aber Alles um und bildete die Mädchen so, daß sie andern zum Muster dienten. Saulieu, der sie zu Aufopfe= rung ihres Vermögens für die Waisen bewogen hatte, zeigte sich aber jezt als Heuchler und wendete Alles an, sie zu einer Heirath mit ihm zu bewegen. Die, Bourignon wies ihn aber ernstlich zurück, blieb bei ihrem Entschlusse, allein dem Herrn zu leben, und wollte Saulieu nicht mehr sehen. Um ihren Entschluß desto sicherer auszuführen, sperrte sie sich ganz in das Hospital ein. Bald wurde ihr aber gezeigt, daß dies nicht der rechte Weg für sie sey. Sie hatte den tödtlichsten Verdruß mit und von den Mädchen. Man be= schuldigte fie, die Mädchen würden von ihr zu hart behandelt, weil sie, jedoch ohne strenge Mittel, durchaus auf Ordnung bestand. Sie wurde verklagt, bekam einen Proceß und verließ das Hospital. Jest begab sie sich nach Gent, Brüssel und Mecheln, wo sie in Bekanntschaft mit einem Prediger de Cort an der großen Kirche in Mecheln kam. Dieser gab seine Stelle auf und reisete mit ihr nach Amsterdam. Auch gegen diese Reise hatte sie einen großen Widerwillen, theils weil sie in Amsterdam viele Zerstreuungen fürchtete, theils

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