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Vierter Brief.

2 n denselben.

Sie fragen mich, wann und wie doch Mystik,

mystische Theologie entstanden seyn möge. Werthester Herr Pr.; die wahre Mystik ist nicht zu einer gewissen bestimmten Zeit durch besondere Anlässe von Außen als Vorstellungsart wie eine Secte oder Confeffion entstanden. Sie hat sich aus dem Innersten des Menschen von selbst entwickelt. Mystische Theologie entstand, als die Menschen von Gott abgefallen waren und sich nach Wiedervereinigung mit ihm sehnten. Sie streckten sich aus nach Etwas, das sie nicht kannten, und das ihnen doch nöthig schien zu Vollendung ihres Wesens. Sobald sie nun in sich hineinblickten, sobald es sich in ihnen als ihre Bestimmung entwickelte, das

Bedürfniß nach Gottesnähe, Gottähnlichkeit, Zusammenfließen mit der Gottheit, das sich in ihrem Innern auf die mannigfaltigste Art aussprach, und sobald sie in sich fühlten, daß sie sich von der Gottheit entfernt haben, wenigstens ihr nicht so nahe seyen, als es das Heilige in ihnen wünschte: so mußten sie Mystiker werden, auch ohne das Wort zu kennen. Das heißt, sie mußten in sich einkehren, ihr Inneres beobachten, die Reste des Göttlichen in sich aufsuchen und jeden Gottesfunken anzufachen suchen. Dunkel anfangs, aber immer inniger, lebendiger mußten fie fühlen, daß die Annäherung an die Gottheit nicht unmittelbar, sondern durch eine Zwischenstufe, einen Mittler ge= schehen, in ihrem Innern beginnen müsse. Manche Erfahrungen zeigten ihnen dann, daß sie durch bloße Anspannung, durch eigenwilliges Treiben nicht weiter kamen, daß nicht in Sturm und Donner, sondern nur in sanftem Såuseln die Gottheit erscheinen, daß sich der Mensch kindlich und willenlos Gott hingeben müsse, nur durch stilles, ruhiges Gebet Ihm, ich möchte sagen, auf halbem Wege entgegen kommen dürfe, um nach dem heiligsten Bedürfniß seines Wesens der Gottheit immer nåher und endlich mit ihr vereinigt zu werden. Und wenn sich auch kein Wort dafür findet, und wenn es auch keins dafür gibt, sie fühlten, daß nur Liebe

nåhere, daß man nur durch Liebe mit Jemand zusammenfließen könne. Sehnsucht nach Gottesvereinigung, die schon nåher bringt, indem sie inniger wird, Gefühl der langsamen Annåherung an die Gottheit, Hören seiner Stimme im Innern, innere, von dem Menschen unabhängige, dem Menschen allein unmögliche Belebung seines Wesens ist eine Gottesgabe, die Niemand kennt, als der sie empfångt. Sie ist gleich dem Winde und dem Existe, dessen Daseyn man blos durch seine Wirkungen erkennt, dessen Sausen man hört, aber nicht weiß, woher er kommt, und wohin er fährt. *) ,,Beobachtung des Stufengangs dieses innern Lebens in und durch Liebe zu Gott und dem Herrn, Glaube an seine Liebe und Gefühl dieser Liebe ist Mystik. Darstellung dieses Stufengangs, so weit er sich darstellen läßt, meist in Bildern, weil man das Geistigste nicht anders darstellen kann, ist mystische Theologie und heißt mit Recht mystisch, (geheimnißvoll) weil man sie Niemand erklären kann, der nicht wenigstens Etwas von diesem Stufengange in sich selbst beobachtet hat. Ist dies ja auch der Fall bei dem Höchsten und Tiefsten in der Schöpfung und in dem Menschenherzen! Wie

*) Joh. 3, 8.

wollte man so etwas Andern begreiflich machen, was selbst der, der es erfährt, nur erzählen aber nicht begreifen kann? Wie wollte man es Menschen begreiflich machen, die nie Etwas von der Sehnsucht nach Gottesvereinigung in sich empfanden, nie angezogen wurden von dem Göttlichen in der Natur und in dem Menschenherzen? Eher würden Sie dem Blindgebornen die Herrlichkeit eines Sonnenaufgangs auf der See, eher dem Huronen die Schönheiten Homers oder Offians begreiflich machen, als dem trockenen Dogmatiker das innere Leben eines Gott fuchenden Gemüths, das er für nichts Anders als für baare, blanke Schwärmerei halten muß, und auch dafür erklären wird, wenn er nicht den großen Ausspruch Shakspears ehrt:,,Es gibt im Himmel und auf Erden gar viele Dinge, von denen unsere Philosophie nichts weiß.“

Das tiefe Gefühl des Abfalls von Gott wird am auffallendsten entwickelt durch die Erfahrung von dem ungöttlichen Wesen und von dem trockenen, todten und tödtenden Speculatismus, Philosophismus, Theologismus rings um uns her, bei welchem der Mensch doch oft fühlt, daß er noch etwas Fleisch habe von solchem Fleisch. Gerade in solcher Zeit müssen Mystiker auftreten, Licht und

Salz ihrer Generation seyn, damit nicht Alles in Finsterniß versinke und in Fäulniß gerathe. So bereitet also das Verderben die Arzenei dagegen durch sich selbst, wie die Fülle schädlicher Dünste das Gewitter entwickelt, wodurch die Luft gereinigt wird. Gleicher Proceß in der physischen und sitt= lichen Welt!

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