Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

zu Saint Germain-en-Laye versammelten Bischöfe, nachdem sie das Leben der Guyon auf das strengste untersucht hatten, ihr das Zeugniß gaben, daß ihre Sitten rein seyen, und dabei erklärten, daß von den Abscheulichkeiten, die man als Folge ihrer Grundsäße ansah, nie die Rede war, sons dern daß sie immer ihren Abscheu dagegen bezeugte. Auch stellen sich alle die selbst an den Pranger, die es merken lassen, daß es keine Freundschaft zwischen einem männlichen und weiblichen Wesen ohne Sinnlichkeit gebe.

Die Freundschaft, die Fenelon kannte, beschreibt er in einem Briefe an den Herzog von Bourgogne: ,,Die göttliche Freundschaft," sagt er, ist nicht immer gefühlvoll und leidenschaftlich, aber sie ist wahr, traulich, treu, beståndig und kräftig. Sie hat auch ihre Zärtlichkeiten und Entzückungen. Eine Seele, die Gott angehörte, würde nicht mehr ausgetrocknet und eingeengt seyn durch die falschen Delicatessen und wunderlichen Verirrungen der Eigenliebe. Die Liebe würde Alles tragen, Alles dulden, Alles hoffen für den Freund. Die Liebe würde alle Schwierigkeiten überwinden. Aus dem Innern des Herzens würde sie sich in den Sinnen verbreiten. (Und wie?) Sie würde gerührt werden von Anderer Leiden und für Nichts rechnen die ihrigen? Sie würde trösten, sich gleich machen,

klein machen mit den Kleinen, sich aber erhe ben mit den Großen. Sie würde weinen mit den Weinenden und froh seyn mit den Frohen. Sie würde Allen allerlei seyn, nicht durch einen ge= zwungenen Schein und eine trockene Demonstration, sondern durch die Fülle des Herzens, in dem die göttliche Liebe eine lebendige Quelle seyn würde für die zårtlichsten, stärksten, angenehmsten Gefühle. Nichts ist so trocken, so kalt, so eng als ein Herz, das sich allein in allen Dingen liebt. Nichts ist so zärtlich, so offen, so lebendig, so sanft, so liebenswürdig und liebend als ein Herz, das die göttliche Liebe besißt und liebt."

Fragen Sie sich nun selbst, ob eine solche Liebe Etwas gemein mit sinnlicher Liebe habe. Dann wåre Paulus der årgste Lüstling gewesen; doch, Sie fragen nicht.

Ein und zwanzigster Brief.

An dense ben.

Erlauben Sie mir, daß ich Sie heute mit einer Mystikerin bekannt mache, die der treffliche FeneIon, so lange er sie kannte, seiner Freundschaft gewürdigt hat, und die ihrer auch würdig war. Sie können aus ihr den Geist der wahren Mystik sehen, besser als ich ihn darstellen könnte. 3ugleich haben Sie den Vortheil, daß Sie mit eige= nen Augen sehen, mit eigenem Kopfe prüfen können. Ein Stück aus ihrer Lebensgeschichte kann Ihnen zugleich zeigen, wie sich ihr Sinn und Glaube in Thaten gezeigt hat.

Jeanne Marie Bouviére, vermählte de la Motte Guyon, war sehr reich geboren, sehr jung verheirathet und im acht und zwanzigsten Jahre Wittwe. Sie zeichnete sich nun vor andern Damen ihres Standes durch ihre Eingezogenheit, ihre

Religiosität und ihre Talente aus. Nach einigen kleinen Reisen, die sie gemacht, und einem kurzen Aufenthalte in Genf kam sie nach Paris und brachte dort durch ihre Beredtsamkeit und ihr Beis spiel mehrere Damen und Herren vom ersten Range dahin, daß sie den Bållen und öffentlichen Lustbarkeiten entsagten und mehr ihren häuslichen Pflichten lebten, Den Geschmack an Puß und die Liebe zu Schauspielen verwechselten sie mit Frommigkeit und ernstem Nachdenken über ihre Pflich= ten. In einer so verdorbenen Stadt mußte eine solche Einwirkung auf Andere natürlich Haß und Verfolgung wirken. Man schrie über Fanatismus, wie immer, erklärte fie für eine Keherin (Molinistin), wie immer, und der Erzbischof von Paris ließ sie in ein Kloster sperren, wie es mehrmals geschehen ist. Fenelon sah indeß ihr Wirken und Leben anders an, machte Bekanntschaft mit ihr, wurde ihr Freund, was zu Beider geistigem Vortheil gereichte, wie die großentheils herrlichen Briefe zeigen, die er mit ihr wechselte. Als die Guyon hörte, daß ihre Briefe und Schriften Aergerniß gaben, so übergab sie alle einem sehr frommen Prälaten, der sie las und bezeugte, daß er darin eine Salbung und ein Licht finde, das er überall vergebens gesucht habe, daß er sich unter dem Lesen derselben in der Gegenwart Gottes ges

fühlt habe. Er hatte eine weitläufige Unterredung mit ihr und versicherte nachher den Herzog von Chevreuse, daß sie den wahren Glauben nicht verleke, und er bereit sey, ihr ein Zeugniß von echtem Katholicismus zu geben. Jeht ging die Guyon wieder in ihr Kloster und betete tåglich zu Gott, daß er doch dies Ungewitter stillen möge, das nur ergerniß und Unordnung veranlasse. Aber die Verfolgung hörte darum nicht auf. (Freis lich hatte sie auch sehr viel Uebles gestiftet, da durch ihre Einwirkung so manche große Familien mehr in ihren Häusern und weniger auf Bållen lebten!) Man suchte insonderheit die Freundschaft zwischen Fenelon und Bossuet zu zerreißen.,,Man suchte," wie der Verfasser der Lebensgeschichte Fenelons sagte,,,zwei Menschen zu trennen, die das zu gemacht waren, sich einander aufzuklåren, zu unterrichten, sich zu lieben und zu ehren." Mas dame Guyon, empört über die Ungerechtigkeiten, die man gegen ihre Freunde, besonders gegen Fenelon beging, verließ ihre Einsamkeit und bat um eine Commission zur Untersuchung ihrer Behauptungen und ihres ganzen Lebens. Zugleich erbot fie sich, in ein Gefängniß zu gehen, um dort die Strafe abzuwarten, die man ihr auflegen würde, wenn man sie schuldig finden könnte. Sie schrieb an die bekannte Frau von Maintenon und

« ZurückWeiter »