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chen Ausdruck. Die geistigen Dinge an sich zu nennen ist nicht des Menschen Sache, da er sie auch nicht an sich erkennen kann.

Ich sagte einmal bei Gelegenheit, jede Wissenschaft habe ihre Mystik, und man erwiderte mir Niemand habe noch das Geheime in Wissenschaften Mystik genannt. Aber könnte man es nicht recht gut so nennen? Von der Idee des Verbor genen, Geheimnißvollen ging doch der Ausdruck: Mystik aus. Das Geheime, Unerklärliche ist doch der Mittelpunct des Begriffs: Mystik. Ich wollte nur sagen: in jeder Wissenschaft ist Etwas, das man nicht ganz erklåren kann. Je tiefer die Wissenschaft, desto mehr Unerklärliches. Warum nicht in der geistigsten aller Wissenschaften, Religion, und in der geistigsten aller Religionen, im Christenthum? Gerade das Erhabenste, Tiefste kann nicht zergliedert, dem Verstande ganz begreiflich gemacht, das Wie desselben demonstrirt werden. Mystik ganz verwerfen heißt also das Erhabenste, Tiefste verwerfen, was es gibt. Den Mittelpunct, die Grundwahrheit alles Christenthums: „Gott ist geoffenbaret im Fleisch," nennt Paulus selbst ein großes Geheimniß. Sind wir etwa tiefer in den Geist des Christenthums eingedrungen als er?

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Doch ich bin des Widerlegens müde. Das nächste Mal etwas Besseres. Håtten Sie eine Zeitlang in der Nähe eines echten Mystikers ge= lebt, so würden Ihnen alle Einwendungen schwinden, wie der Schnee schmilzt, wenn die Frühlingssonne wirkt.

3 wanzigster Brief.

An denselben.

Ich wünschte, daß Sie diesen Brief gemeinschaft

lich mit Ihrer Gattin låsen; denn er redet von einem Mann, dessen zartestes Inneres vielleicht am tiefsten von einem feinfühlenden Weibe nachempfunden werden kann. Ich rede von dem allbekannten Fenelon, einem verschrieenen Mystiker, einem Freund der noch verschrieenern Guyon, und doch einem Welt- und Geschäftsmann, wie es selten und in dieser Verbindung wohl keinen. einzigen gab. Von seinen Schriften will ich Ihnen weniger sagen, weil Sie gewiß schon mit mehreren bekannt sind, aber an Züge aus seinem Leben, an Aeußerungen in dem Kreise des gesellschaftlichen Lebens möcht' ich Sie erinnern, auf die oft weniger als auf seine beredten, berühmten Schriften geachtet wird, und die uns doch mehr

in das Innere dieses wahrhaftig vergotteten Mannes (ein passender mystischer Ausdruck) blicken laffen als jenë Schriften; denn was läßt sich nicht Alles schreiben? Und ist man darum das Alles, was man ge und beschrieben hat? Bei den Mystikern besonders muß man ihr Leben mit ihren Schriften zusammennehmen. Nicht blos, weil diese dadurch am besten erklärt werden, und weil sich manche der wichtigsten Einwendungen gegen ihre Schriften durch ihr Leben am besten widerlegen, sondern hauptsächlich, weil sie auf das Leben gehen, auf das Innere, das sich in dem Aeußern ausspricht. Man wirst den Mystikern oft vor, daß sie zu unduldsam gegen Andere, besonders gegen Fehlerhafte seyen. Hören Sie dagegen, was Fenelon mit dem Scharfsinn der Liebe sagt:,,Oft ist's eigene Unvollkommenheit, daß man die Unvollkommenen tadelt. Es ist eine feine und durchdringende Eigenliebe, die der Eigenliebe Anderer Nichts verzeiht, die Leidenschaften Anderer scheinen unendlich lächerlich und unerträglich Jedem, der den feinigen hingegeben ist. Die Liebe zu Gott ist voll Achtung, Duldsamkeit, Schonung und Herablassung. Sie thut nie zwei Schritte auf einmal. Je weniger man sich selbst liebt, je mehr fügt man sich in Anderer Unvollkommenheiten, um sie geduldig davon zu heilen. Man macht nie Ein

schnitte, ohne viel Balsam und Del auf die Wunde zu thun. Man wagt keine Operation, bis die Natur selbst winkt, daß sie darauf vorbereite. Man kann ganze Jahre warten, bis man einen einzigen heilsamen Rath anbringt." Mystiker sollen zum Absprechen und Richten geneigt seyn. Fenelon aber läßt Sokrates dem Menschenfeind Timon in seinen Todtengesprächen sagen:,,Die unvollkommene Tugend unterliegt, im Dulden den Unvollkommenhei ten Anderer. Man liebt sich selbst noch zu viel, um das zu ertragen, was unserem Geschmack und unseren Grundsägen zuwider ist. Die Eigenliebe will weder von der Tugend noch von dem Laster Widerspruch dulden. Die unvollkommene Tugend ist schwierig, kritisch, rauh, streng und unversöhnlich. Die wahre Tugend ist immer gleich sanft, freundlich, mitleidig. Sie nimmt Alles auf fich und denkt an nichts Anderes, als Gutes zu thun.“

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Darum fagte Fenelon dennoch seinen Freunden die Wahrheit, wenn sie sie hören konnten. So bewies er einem derselben sehr scharfsinnig, daß er von Jugend an eine zügellose Eigenliebe, aber unter der Maske eines musterhaften Zartgefühls und einer einzigen Großmuth genährt habe. Er wollte aber auch das Nämliche von seinen Freunden, ihn nicht zu schonen. Glaubten sie auch einmal einen Fehler an ihm zu sehen, den er vielleicht nicht

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