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bleiben, wenn uns Gott auch ewig verdammte, so ist es doch besser als die Lohnsucht, die für jede dankbare Empfindung bezahlt seyn will, oder der Mangel von Sinn, der der Liebe zu Gott eine steife Ehrerbietung oder einen kalten Gehorsam unterschieben will, weil Liebe zu Gott Alles, was man will, nur nicht Liebe seyn soll. Ernstliches Streben nach einem hohen Ziele bringt dem Ziele immer nåher, wenn es auch nicht erreicht wird. Steckt man sich das Ziel aber willkührlich niedriger, so bleibt man viel weiter zurück. Und darum ist nichts Widersinnigeres, als in unserer Zeit unbestimmt und allgemein gegen Mystik zu schreiben. Es gibt Etwas, was man auch wohl Mystik nennt, was aber blos Phantasiespiel ist und allerdings eher zu Schwärmerei als zu Christenthum führt; aber in unserem schlaffen, lauen, eigensüchtigen, anmaßenden, allwisserischen Zeitalter, gegen das innere Leben in und mit Christus, gegen den kindlichen Glauben und die reine, selbstlose Liebe zu Gott eifern, die das Wesen des echten Mysticismus ausmacht, das heißt einem Menschen Mittel gegen ein hißiges Fieber vorschreiben, wenn er an der Wassersucht leidet. O der Seelenärzte!

Achtzehnter Brief.

An denselben.

Schon einigemal machte ich Sie aufmerksam dar

auf, daß sich die Lehren und Ausdrücke der Mystiker auch in der Bibel finden; aber ich muß es Ihnen ausführlich darlegen; weniger um Ihrer selbst willen Sie haben mir schon gesagt, daß Sie manche Ihnen bekannte Mystiker, Thomas von Kempen, Arndt, Fenelon ehrten und gern Etwas von ihnen låsen aber um Andere, die die Ausdrücke der Mystiker ins Lächerliche ziehen, durch Vorhalten gleicher Ausdrücke in der Bibel zum Stillschweigen zu bringen. Eine Autorität, die man nicht verwerfen darf, imponirt mehr als alle Beweise von Erfahrungen gegen Menschen, die diese Erfahrungen nicht kennen. Wirklich sagt Gerson, ein echter, tiefer Mystiker, mit Recht: Es ist eine schändliche Verleumdung, als ́håtten

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die Mystiker selbst diese Geheimnisse erdichtet, und es fånde sich Nichts davon in unseren heiligen Schriften. Sie führen vielmehr viele Stellen der Schrift an, worauf sie sich gründen. In der mystischen Theologie findet man kaum ein Wort, das nicht an das Lesen der heiligen Schrift erinnert.“

Eine Hauptlehre der Mystiker ist die geheimniß: volle Vereinigung mit Gott und Jesus, wovon ihre Schriften voll sind. Und wie kann man stårker dayon reden, als Jesus davon geredet hat?

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,,Bleibet in mir und ich in euch. Gleich wie der Rebe kann keine Frucht bringen, er bleibe denn am Weinstock; also auch ihr nicht, ihr bleibet denn in mir. Ich bin der Weinstock, Ihr seyd die Reben; wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht. Ohne mich könnt ihr Nichts thun." (Joh. 15, 4. 5.)

„Ich bitte nicht allein für sie (die zwölf Schüler), sondern auch für die, die auf ihr Wort an mich glauben werden, auf daß sie Alle Eins seyen, gleich wie du, Vater! in mir und ich in ihnen, daß auch sie in uns Eins seyen, u. f. w." (Joh. 17, 21.)

Eben so redet Paulus.

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Wenn Christus in euch ist, so ist der Leib zwar todt um der Sünde willen, der Geist aber ist das Leben um der Gerechtigkeit willen. Wenn nun der Geist dessen,

der Jesum von den Todten auferweckt hat, in euch wohnt, so wird auch der, der Christum von den Todten auferweckt hat, eure sterblichen Leiber lebendig machen, weil sein Geist in euch wohnt." (Rom. 8, 10. 11.)

,,Was hat der Tempel Gottes für Gemeinschaft mit den Göhen? Ihr aber seyd der Tempel des lebendigen Gottes, wie denn Gott spricht: Ich will in ihnen wohnen und in ihnen wandlen, und will ihr Gott seyn, und sie sollen mein Volk seyn." (2. Kor. 6, 16.)

Von stolzen Werkheiligen sagt Paulus: „Sie halten sich nicht an das Haupt, aus welchem der ganze Leib durch Gelenke und Fugen Handreichung empfångt und sich an einander hålt, und also wächst zu göttlicher Größe." (Kol. 2, 19.)

Die innige Verbindung zwischen Haupt und Gliedern, als Bild von der innigen Verbindung zwischen Christus und Christen, kommt bei Paulus öfter vor. Eine Hauptstelle ist Eph. 4, 15. 16. ,,Lasset uns rechtschaffen seyn in der Liebe und wachsen in allen Stücken, an dem, der das Haupt ist, Christus, aus welchem der ganze Leib zusammengefügt, und ein Glied an dem andern hångt, durch alle Gelenke, nach dem Werke eines jeden Gliedes in seiner Maße, und macht,

daß der Leib wächst zu seiner Selbstbesserung. Und das Alles in der Liebe."

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Darum wird denn auch gesagt, daß Christen ,,theilhaftig würden der göttlichen Natur" (2. Petr. 1, 4.), sie seyen Ein Geist mit Jesus. (1. Kor. 5, 17.) Die Mystiker reden von einer Gestaltung Jesus in uns, nicht äußerlich, sondern innerlich, und auch Paulus wünscht, daß Christus in den Chriften eine Gestaltung gewinne." (Gal. 4, 19.) Daß diese innige Verbindung durch Liebe geschehe, versteht sich von selbst. Wodurch anders wår' eine solche zwischen Geistern und Geistern möglich? - Darum find auch die Schriften der Mystiker voll von dieser Liebe, die, wie alle Liebe, Nichts will, als lieben. Auch sagt Paulus:,,Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den heiligen Geist, welcher uns gegeben ist.“ (Róm. 5, 1.) Und Johannes: „Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm;" (1. Br. 4, 16.) und in wie vielen Stellen mehr! Die Mystiker reden häufig von einer Vermählung mit Christus, von einem verborgenen Leben mit ihm. Und Paulus braucht die nämlichen Bilder: Christus liebe die Gemeinde, wie ein Mann seine Gattin liebt. Wenn die Mystiker von einem verborgenen Leben in Christus reden, so sagt ja auch Paulus:,,Ich lebe, aber

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