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werde? Der ganze Zweck der Gottkenntniß für den Menschen ist, Zutrauen, Ehrerbietung und dankbare Liebe in ihm zu erregen. Und dazu ist ihm genug offenbart. Ich denke, dabei wollen wir bescheiden bleiben. Ich wenigstens bin dabei ganz ruhig, und bin es erst, seit ich nicht mit wächsernen Flügeln in die Sonne fliegen will.

Si e ben zehnter Br i ef,

W n denselben.

Das habe ich erwartet, daß man Ihnen fagen würde, Mystik führe nur allzuleicht zu Fanatismus oder sey es wohl gar; die Mystiker übertrie ben Alles, die Verleugnung, die Willenlosigkeit, den Glauben, die Liebe, die christliche Vollkommenheit. Man müsse sich also vor ihr hüten u. s. w.

Lieber, theurer Mann! Fanatismus heißt heut zu Tage oft Alles, was über das feinsinnliche Thier erhebt, das auch Mensch heißt; Alles, was man nicht zergliedern und dem kaltraisonnirenden Verstande begreiflich machen kann. Abraham in der erhabensten Epoche seines kindlichsten Glaubens, da er seinen Sohn opfern wollte, weil er nicht zweifeln konnte, daß Gott es ihm befohlen habe, ist ihnen ein gutmüthiger Fanatiker, den man aber,

um ihn unschädlich zu machen, in ein Irrenhaus håtte bringen, ihn dort aber recht gut behandeln sollen. Jesus selbst ist ihnen ein trefflicher Sittenlehrer, ein Feind alles Pharisäismus, Licht und Salz seiner Zeit, der sich aber ehrlich für den von den Propheten angekündigten jüdischen Volksretter hielt und sich kreuzigen ließ, weil er wähnte, das müsse so seyn. Als Paulus vor Festus von seiner himmlischen Erscheinung, von dem Leiden, dem Tode und der Auferstehung Jesus redete, da sagte der Weltmensch Festus:,,Paulus! du rasest." Und doch waren es lauter Thatsachen, die er dem Kö: nige vortrug; und er konnte dem Könige ins Ge ficht sagen: du weißt es recht gut, was geschehen ist. Es ist ja nicht in einem Winkel, sondern öf fentlich geschehen. In Mystikern ist freilich eine innere Erhebung ihres Wesens, die der gewöhrliche Mensch nicht begreift. Aber der Mensch muß auch, nach Richters Wort,,,wie alte Gebäude erst gehoben werden, eh' er reparirt, gebessert werden kann." Etwas Höheres, Kräftigeres, Ein: greifenderes als unsere kalte, kaltlassende Moral muß in dem Menschen aufgeregt werden, went die so mächtige Sinnlichkeit, die Welt außer urd in uns, überwunden werden soll. Dies Höhere, Eingreifendere finden nun die Mystiker in der Liebe zu Gott oder Christus, die natürlich, wenn sie da

ist, wie alle Liebe und mehr als jede andere hoch erheben, jede Faser unseres Wesens beleben muß, die dem Menschen jenen edlen Stolz einflößt, der nichts Sinnliches seiner würdig hålt, weil er etwas Besseres anstrebt, der jedoch nie Hochmuth wird, weil der Mensch weiß, „daß Alles Gnade und ihm gegeben ist, weil er sein Gedächtniß, seinen gesunden Menschenverstand verloren haben müßte, wenn er anders dächte. Mag es denn übertrieben seyn, wenn Mystiker das Ziel der christlichen Vollkommenheit darin sehen, daß der Christ gar nicht mehr sündige, obgleich Johannes das Nämliche sagt. *) Aber es ist doch immer besser, als wenn man behauptet, manches oft und streng Verbotene sey nur Befriedigung eines natürlichen Bedürfnisses; man könne eine Geliebte umarmen,,,mit eben so viel Wollust als Religion." Wenn die Mystiker Manches verleugnen, was nicht gerade verleugnet zu werden braucht, so wird es doch dem Ziele nåher bringen als das epikuráische System, in dem man zu beweisen sucht, man brauche gar nichts zu verleugnen, was Vergnügen macht. Wenn sich Mystiker ganz von der Sinnlichkeit los machen wollen, was ihnen freilich

*) Joh. 3, 6. 5, 18.

nicht gelingen wird, so ist es doch besser, als sich der Sinnlichkeit ganz überlassen und den Bauch zu seinem Gott machen, was freilich den Antimystikern trefflich gelingt. Wenn auch die strengen Enthaltungen, die sich manche Mystiker auflegen, nicht gerade Christenpflicht, wenigstens an sich kein Verdienst sind, so sind es doch sittlich gymnastische Uebungen, die eine Kraft zu Ueberwindung der Sinnlichkeit geben, die der Mensch oft so sehr bedarf und fie selten hat, die er nur durch Uebung erlangen kann. Wenn Mystiker sich über das Urtheil gewöhnlicher Menschen wegsehen, so kann dies freilich leicht zu Verachtung dieser Menschen, zu einer Art von geistlichem Stolz führen, wozu es aber die echten Mystiker nicht geführt hat, da Demuth das Princip ihres innern, geistigen Lebens ist.

Auf alle

Fålle ist es aber besser als die erbårmliche Feigheit, fich durch das frivolste Urtheil gemeiner, zu Gemeinheit und Charakterlosigkeit versunkener Menschen verführen lassen, Etwas zu thun, was man aus eigener Ueberzeugung nicht thun, oder Etwas zu unterlassen, was man unabhängig von Andern nicht unterlassen würde; besser als der verächtliche Sclavenfinn, der mehr fürchtet, sich lächerlich zu machen, als Gott zu mißfallen und gegen sein Gewissen zu handeln. Ist es auch übertrieben, zu behaupten, die Liebe zu Gott müsse die nåmliche

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