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Sechzehnter Brief.

An denselben.

Aber wer rettet uns denn die Vernunft von all diesen Uranschauungen, Gefühlen, von diesem Glauben, was Alles in der Mystik eine so bedeutende Rolle spielt? Wer sichert uns vor Phantasiegebilden, wovon doch die Mystiker nicht frei sind?" So sagt man freilich oft genug, aber wenn von wahrer Mystik, wie ich sie Ihnen aus den Quellen, den älteren Mystikern, dargestellt habe, die Rede ist, sehr mit Unrecht. Freilich, wenn man blos das Verworrene, Phantastische des neuen Mysticismus Mystik nennt, so ist bald darüber abgesprochen; aber das ist doch eben so unrecht, als ob man bios das Sophistische, Idealische, Skeptische eines

Be

Raisonnements Philosophie nennen wollte. stimmt sind die Gegenstände der Mystik so gut wie die Wahrheiten der Philosophie; bestimmt die innern Anschauungen; bestimmt die Empfindungen. Ganz erklärlich können sie nach der Beschränktheit unseres Erkenntnißvermögens nicht seyn. Aber nicht deßwegen, weil sie verworren, unsicher, phantastisch wåren, sondern weil unser Blick nicht so tief geht. Auf den Grund eines flachen Bächleins kann man sehen, aber nicht auf den Grund der See. Nicht darum, weil die See trüb, sondern weil sie für unser Auge zu tief ist. Das haben nicht blos Mystiker gesagt, sondern scharfe Denker vom ersten Range.,,Die Einbildungskraft hat über ihre Vorstellungen zu gebieten u. s. w.,,Da sie es aber dennoch für sich allein nie dahin bringen kann, den Glauben zu bewirken, so ist es klar, daß der Glaube nicht auf einer besondern Natur oder Ordnung der Vorstellungen, sondern auf der Art ihrer Wahrnehmung, und wie sie von der Seele empfunden werden, beruht. Ich gestehe, daß es unmöglich ist, dies Gefühl oder diese Art der Wahrnehmung vollkommen klar zu machen. Es gibt Worte, die etwas Aehnliches ausdrücken; aber das wahre, eigentliche Wort dafür ist Glaube, ein Ausdruck, den Jedermann im gemeinen Leben versteht; und die Philosophie kann

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nicht Mehr herausbringen, sondern muß dabei ste= hen bleiben, daß Glaube etwas von der Seele Gefühltes sey, welches die Bejahung des Wirklichen und seine Vorstellung von den Erdichtungen der Einbildungskraft unterscheidet. Dadurch erhalten jene Vorstellungen mehr Gewicht und Einfluß, sehen sich in größeres Ansehen, durchdringen die Seele und werden zum herrschenden Princip unserer Handlungen.,,Glaube ist das Element aller Erkenntniß und Wirksamkeit," sagt Jakobi.,,Alle Erkenntniß kann einzig und allein aus dem Glauben kommen, weil mir Dinge ge= geben seyn müssen, eh' ich Verhältnisse einzusehen im Stande bin. Wissen, Schauen und Glauben sind drei Fähigkeiten im Menschen, die alle drei ihr eigenes Gebiet haben, sich nach eigenen Gesezen bewegen. Das Reich der einen fångt da an, wo das Reich der andern aufhört. Schauen steht über Wissen, Glauben über Schauen. Man kann mehr schauen als wissen, mehr glauben als schauen, sagt der tiefe Denker, einer der speculas tivsten Köpfe, Hume. Unbegreiflich ist es darum, wie eine gewisse Philosophie das Wissen dem Glauben vorsehen und vorziehen kann, da alles Wissen Glauben vorausseht. Thut dies die Vernunft und hålt sich in diesen Schranken, daß sie an innere oder äußere Anschauungen glaubt, diese also vor

aussett und auf fie baut, was durch vernünftige Schlüsse auf sie gebaut werden kann, so wird und muß sie Jeder als hohe Gottesgabe ehren, der die Würde seiner Natur ehrt. Sie braucht keine Vertheidigung und noch weniger Rettung. Aber freilich, wenn sie Etwas seyn will, was sie nicht feyn kann; wenn ihre Despoten sie unvernünftig machen; wenn sie Alles aus sich selbst saugen, wie die Mollusken, sich selbst begatten und befruchten will, also freiwillig mit verkehrtem Eigensinn sich der niedrigsten Stufe der lebenden Wesen gleichstellt, Vater und Mutter zugleich seyn zu wollen, da sie bestimmt ist, bløs Mutter, nåhrende, pflegende, zur Geburt bringende Mutter, einer von dem Vater, innerer oder äußerer Anschauung, erzeugten Frucht zu seyn; so spricht man nicht gegen die Vernunft, wenn man dies tadelt, sondern gegen den Mißbrauch der Vernunft, gegen die Unvernunft. Man seht ja das Auge nicht herab, wenn man sagt, daß es nicht zugleich hören, schmecken und fühlen könne. Ueberhaupt muß der Mensch Verzicht darauf thun, die Dinge, beson= ders geistige Gegenstände an sich, was sie eigent= lich sind, erkennen zu wollen. Da wir alles Erkennbare nur durch das Medium unserer Seh-, Hör, Gefühls, Denkformen erkennen, so können wir eigentlich nur sagen, uns erscheint es so.

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Wollten wir versuchen, zu wissen, was Gott an fich, objektiv ohne allen Anthropomorphismus sey; so müßten wir ganz consequent dahin kommen Nichts von Gott zu wissen. Denn was wissen wir von Weisheit, Gerechtigkeit, Güte, Liebe, ohne Menschen, die Etwas von diesen Eigenschaften haben? Was von Allmacht ohne menschliche Macht, von Alwissenheit ohne menschliches Wissen? Wir müßten mit Fichte behaupten, es sey Gotteslåsterung, eine Eristenz von Gott zu behaupten, weil wir keine Existenz ohne Beschränkung durch Zeit und Raum kennen.

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,,Aber", fragen Sie vielleicht,,,wie kann sich denn der Mensch beruhigen, wenn er nur Erscheinungen erkennt und nie fähig ist, die Wahrheit an sich einzusehen?" Mich dunkt auf die einfachste Art. Er weiß ja, daß Gott ihm diese Denkform gegeben hat. Das Wesen, das ihn so organisirte, wollte also offenbar, daß er die Dinge so und nicht anders ansehen sollte, weil er sie nicht anders ansehen kann. An der Gottheit wär' also die Schuld, wenn er getäuscht würde, wenn er nicht so viel Wahrheit erkennte, als für ihn gerade hinreichte. Wie kann der Mensch, das unterste Glied des Geisterreichs, erwarten, daß er die ganze Gottheit, den höchsten Geist, übersehen

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