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Funfzehnter Brie f.

A n denselben.

Sie haben über die Hauptsache der Mystik nachgedacht, und Sie ahnen eine Spur von Wahrheit darin, ob Ihnen gleich Manches übertrieben und wirklich schwärmerisch scheint. Sie haben zwar an Shakspeare's Wort gedacht: „Es gibt viel Dinge im Himmel und auf Erden, wovon unsere Philosophie Nichts weiß;" aber doch fragen Sie, was denn die Philosophie zu einer Lehre sage, die so weit von ihren kategorischen Aussprüchen abweiche, von denen sich Manches wohl schwerlich werde beweisen lassen.

Verehrter Mann! lassen Sie mich es offen sa= gen: ich glaube nicht, daß die Wahrheit der Mystik von den Aussprüchen der Philosophie_abhångig sey oder abhängig gemacht werden sollte; und ich glaube Ihnen dies beweisen zu können, auf

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die Gefahr hin für einen Schwärmer erklärt zu werden. Als Schuß dagegen berufe ich mich so= gleich auf ein Wert von Jean Paul, der allenfalls in ästhetischer, aber gewiß nicht in religiöser Hinsicht ein Schwärmer genannt werden kann. „Religion, als solche“, sagt er, „kann von Philosophie nicht erzeugt und erklärt, folglich auch nicht vernichtet werden. Alles Denken kann nur das Gemeine, nie das Göttliche, nur das Todte, nicht das Lebendige auflösen und åndern, so wie uns nur die runde Erde, nie der gewölbte Himmel eben und platt erscheinen kann." Mit diesem Bild ist nun freilich Nichts bewiesen, aber die Sache ist wahr und kann auch philosophisch bewiesen werden. Unsere Vernunft hat ihre Grenzen, und es gehört wesentlich zur wahren Philosophie, diese Grenzen zu erkennen. „Niemand frage mich Etwas," sagt Augustin,,,wovon ich weiß, daß ich es nicht weiß, außer vielleicht um zu lernen, daß man es nicht wissen könne." *) Kant hat diese Grenzen aufgesucht, und in seinen Antinomien der reinen Ver

*) Augustin sagt das in seiner Sprache weit kürzer und beffer:

Ex me nemo scire quaerat, quod me nescire scio, nisi forte, ut nescire discat, quod scire non posse sciendum est,

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nunft durch Beispiele gezeigt, wohin sich die spe= culative Vernunft verirre, wenn sie diese Grenzen überschreite, daß sie nämlich zugleich beweisen könne, die Welt habe einen Anfang in der Zeit, und sey, dem Raume nach, in Grenzen eingeschlossen, und die Welt habe keinen Anfang und keine Grenzen im Raum, sondern sey sowohl in Ansehung der Zeit als des Raumes unendlich; die Causalitát nach Gefehen der Natur sey nicht die einzige, aus welcher die Erscheinungen der Welt insgesammt abgeleitet werden können; es sey noch eine Causalitåt aus Freiheit zu Erklärung derselben anzunehmen nothwendig, und es gebe keine Freiheit, sondern Alles in der Welt geschehe lediglich nach Gesezen der Natur. Zu der Welt gehört Etwas, das entweder als ihr Theil oder ihre Ursache ein schlechthin nothwendiges Wesen ist, und es eristirt überall kein schlechthin nothwendiges Wesen, weder in der Welt noch außer der Welt, als ihre Ursache. Wie unglücklich wären wir also, wenn die zu unserer Ruhe so unentbehrlichen Wahrheiten auf keinen andern, als auf solchen philosophischen Gründen ruhten? Ueber seinen Zweck, warum er diese Antinomien aufgestellt hat, erklärt sich Kant selbst in der Vorrede zu dem zweiten Theil seiner Kritik der reinen Vernunft: „Man wird bei einer flüchtigen Uebersicht dieses Werks wahrnehmen",

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sagt er, daß der Nuhen davon doch nur nega= tiv sey, uns nåmlich mit der speculativen Vernunft niemals über die Erfahrungsgrenze hinauszuwagen, und das ist auch in der That ihr erster. Nußen. Dieser wird aber alsbald positiv, wenn man innewird, daß die Grundsäße, mit denen fich die speculative Vernunft über ihre Grenze hinauswagt, in der That nicht Erweiterung, sondern wenn man sie näher betrachtet, Verengung unseres Vernunftgebrauchs zum unausbleiblichen Erfolg haben, indem sie wirklich die Grenzen der Sinnlichkeit, zu der sie eigentlich gehören, über Alles zu erweitern und so den reinen, praktischen Vernunftgebrauch gar zu verdrängen suchen." Daß Religion nicht von der Vernunft, sondern vom Gefühl ausgehe, hat auch Plato schon erkannt. „Religion ist keineswegs lehrbar", sagt er,,wie andere Lehren, sondern nachdem man sich lange diesen Bestrebungen hingegeben, und unser Leben mit ihnen zusammen gewachsen ist, fållt sie plößlich wie ein zückender Strahl in die Seele und leuchtet in ihm und nåhrt sich von selbst in ihm." (Auf welche Art von Religiosität paßte dies wohl besser als auf Mystik?),,Nicht die Vernunft selbst ist das Princip der Vernunft," sagt Aristoteles, sondern etwas Höheres. Was ist aber außer Gott, das Erkenntniß überträfe? Tugend (Sehnsucht nach

Gottähnlichkeit) ist das Organ der Seele. Darum haben die Alten den Namen der Glücklichen denen beigelegt, welche ohne durch ihre Vernunft und ihren Willen (auf gewöhnliche Art) bestimmt worden zu seyn, richtig zu Werk gegangen waren; denn sie hatten in sich ein höheres Princip als Verstand und Willen. (Sie sehen, wie mystisch dies wieder ist.) Indeß kann die Form der Religion allerdings mystisch und philosophisch zugleich seyn, wenn Philosophie wahre Philosophie, und Mystik wahre Mystik ist, da das Eigenthümliche der religiösen, besonders der mystischen Unschauungen Sehnsucht nach Vereinigung mit der Gottheit und Annäherung an dieselbe, Facta des innern Menschen sind, die die Philosophie zwar nicht ergründen kann, die ihr unbegreiflich erscheinen müssen, aber darum nicht von ihr verworfen werden dürfen. Die reine, vom Christenthum ausgegangene Mystik ist genau mit dem Platonismus verwandt. Man könnte dies Zusammentreffen den heiligen Kuß der alten mystischen Religion und des Christenthums nennen. Was im Platonismus Anschauung des Urguten (Autoagathon) war, das ist im Christenthume Seligkeit. Befriedigung aller Triebe im Unendli= chen, Richtung aller Gedanken und alles Strebens nach dem Ewigen, Auflösung aller Neigungen in

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